European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021190017.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 8. Februar 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2 Mit Bescheid vom 18. Jänner 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
4 Begründend führte das BVwG hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten insbesondere aus, dem jungen, gesunden und arbeitsfähigen Revisionswerber drohe bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit. Ihm stehe jedoch vor dem Hintergrund der getroffenen Feststellungen zur Lage in Afghanistan ‑ insbesondere auch unter Berücksichtigung der Covid‑19‑Pandemie ‑ eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Mazar‑e Sharif und Herat offen.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Zur Zulässigkeit der Revision wird geltend gemacht, das BVwG habe gegen seine Verpflichtung zur amtswegigen Ermittlung der zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Lage in Afghanistan verstoßen. Dies betreffe insbesondere die sich rasch ändernde Lage hinsichtlich der Covid‑19‑Pandemie, zu der die vom BVwG herangezogenen Berichte aus dem Sommer des Jahres 2020 stammten. In Hinblick auf die angespannte Versorgungslage und die Lage am Arbeitsmarkt stehe dem Revisionswerber keine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative offen.
9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haben die Asylbehörden bei den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat als Grundlage für die Beurteilung des Vorbringens von Asylwerbern die zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten und insbesondere Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten Organisationen in die Entscheidung einzubeziehen. Das gilt ebenso für von einem Verwaltungsgericht geführte Asylverfahren. Auch das BVwG hat daher seinem Erkenntnis die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde zu legen. Bei instabilen und sich rasch ändernden Verhältnissen im Herkunftsstaat können auch zeitlich nicht lange zurückliegende Berichte ihre Aktualität bereits verloren haben. Es reicht aber nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel aufzuzeigen (vgl. VwGH 13.01.2021, Ra 2020/19/0200, mwN).
10 Das BVwG hat im vorliegenden Fall Feststellungen zur Covid‑19‑Pandemie in Afghanistan bzw. den Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und die Versorgungslage getroffen. Soweit die Revision insoweit die Aktualität der Feststellungen rügt, legt sie nicht dar, welche Tatsachen sich hinsichtlich der Auswirkung der Covid‑19‑Pandemie konkret aus der Heranziehung neuerer Länderberichte ergeben hätten. Die Revision vermag daher eine Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht aufzuzeigen.
11 Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes reicht eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz‑ und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu verneinen (vgl. etwa VwGH 1.10.2020, Ra 2020/19/0196, mwN). Im Besonderen hinsichtlich der aktuellen Covid‑19‑Pandemie in Afghanistan hat der Verwaltungsgerichtshof festgehalten, dass für sich nicht entscheidungswesentlich ist, wenn sich für einen Asylwerber infolge der seitens afghanischer Behörden zur Verhinderung der Verbreitung des SARS‑CoV‑2‑Virus und von Erkrankungen an Covid‑19 gesetzten Maßnahmen die Wiedereingliederung im Heimatland wegen schlechterer wirtschaftlicher Aussichten schwieriger als vor Beginn dieser Maßnahmen darstellt, weil es darauf bei der Frage, ob im Fall seiner Rückführung eine Verletzung des Art. 3 EMRK zu gewärtigen ist, nicht ankommt, solange diese Maßnahmen nicht dazu führen, dass die Sicherung der existenziellen Grundbedürfnisse als nicht mehr gegeben anzunehmen wäre. Entsprechendes gilt auch für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative (vgl. VwGH 13.1.2021, Ra 2020/14/0287, mwN).
12 Die Revision vermag nicht aufzuzeigen, dass die vorliegende Einzelfallbeurteilung des BVwG, wonach dem Revisionswerber, der jung, gesund und arbeitsfähig sei, über Berufserfahrung verfüge und Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen könne, auch unter Beachtung der Auswirkungen der Covid‑19‑Pandemie zumindest in Mazar‑e Sharif die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative zumutbar sei, unvertretbar wäre bzw. das BVwG in diesem Zusammenhang maßgebliche Umstände unbeachtet gelassen hätte (vgl. idS etwa VwGH 22.1.2021, Ra 2020/01/0467; 13.1.2021, Ra 2020/14/0287; jeweils mwN).
13 Die Revision wendet sich weiters gegen die Rückkehrentscheidung. Der Revisionswerber habe sich zum Entscheidungszeitpunkt des BVwG bereits vier Jahre und zehn Monate in Österreich befunden. Unter Beachtung seiner beruflichen und sozialen Integration sowie seiner guten Deutschkenntnisse sei die Erlassung der Rückkehrentscheidung verfehlt.
14 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn kein revisibler Verfahrensmangel aufgezeigt wird und die Interessenabwägung in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel (vgl. etwa VwGH 12.10.2020, Ra 2020/19/0136, mwN). Die durch das BVwG durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK ist dann vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifen, wenn das BVwG die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hat (vgl. VwGH 17.11.2020, Ra 2020/19/0139, mwN). Nach den eigenen Ausführungen der Revision hat das BVwG vorliegend alle maßgeblichen Umstände in seine Interessenabwägung einbezogen. Dass die Beurteilung des BVwG auf dieser Grundlage unvertretbar wäre, vermag die Revision nicht aufzuzeigen.
15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 24. Februar 2021
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)