Normen
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
MRK Art3
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021140167.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 7. Februar 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), den er im Wesentlichen damit begründete, dass sein Vater von den Taliban umgebracht und seine Familie bedroht worden sei.
2 Mit Bescheid vom 21. Februar 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 Insoweit sich die Revision gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet und dazu vorbringt, das Bundesverwaltungsgericht habe die Minderjährigkeit des Revisionswerbers im fluchtauslösenden Zeitpunkt nicht berücksichtigt und sei damit von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Revisionswerber zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, in der sich der erkennende Richter einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber und der Glaubwürdigkeit seiner Angaben verschaffen konnte, bereits volljährig war. Die Revision übersieht in diesem Zusammenhang, dass das Bundesverwaltungsgericht zwar die Angaben des Revisionswerbers zu den Umständen zum Tod des Vaters und der Bedrohung der Familie als unglaubwürdig gewertet hat, aber die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten tragend darauf gestützt hat, dass der Revisionswerber eine konkrete gegen seine Person gerichtete persönliche Bedrohung oder Handlung nicht vorgebracht habe und nicht nachvollzogen werden könne, warum er aufgrund der Tätigkeit seines Vaters nicht mehr in Afghanistan leben könne. Letztlich verneinte das Bundesverwaltungsgericht eine dem Revisionswerber im Fall der Rückkehr nach Afghanistan drohende Verfolgungsgefahr durch die Taliban. Diesen Ausführungen tritt die Revision nicht entgegen, so dass selbst die mangelnde Berücksichtigung der Minderjährigkeit zum Zeitpunkt der Ausreise nicht entscheidungsrelevant war. Abgesehen davon legt die Revision nicht dar, welche vom Bundesverwaltungsgericht als unkonkret und widersprüchlich bewerteten Angaben aus welchen auf die damalige Minderjährigkeit des Revisionswerbers zurückführenden Gründen in einem anderen Licht zu sehen wären, sodass ein relevanter Verfahrensfehler in Bezug auf den Sachverhalt nicht erkennbar ist (vgl. VwGH 21.2.2020, Ra 2020/18/0003).
8 Im weiteren wendet sich die Revision unter mehreren Aspekten gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten.
9 Die Revision will darauf hinaus, dass es hinsichtlich des im Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichts erst seit wenigen Wochen volljährigen Revisionswerbers unsachlich erscheine, ihn aufgrund seiner Unreife und Unselbständigkeit anders zu behandeln als Fälle von Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht erreicht hätten. Unter dieser Prämisse macht die Revision Mängel des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens geltend, wie die Nichtberücksichtigung der Minderjährigkeit bei der Rückkehrentscheidung im Licht des Urteils des EuGH vom 14.1.2021, C‑441/19, und damit in Zusammenhang stehende Ermittlungsmängel, die Nichtberücksichtigung des Kindeswohls als auch die fehlende Auseinandersetzung mit den UNHCR‑Richtlinien hinsichtlich der Rückkehrsituation von Kindern.
10 Unbestritten war der am 8. Jänner 2003 geborene Revisionswerber im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses am 25. März 2021 18 Jahre alt und damit volljährig.
11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat (insbesondere auch) die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. VwGH 12.4.2021, Ra 2020/14/0444, mwN).
12 Maßgeblicher Zeitpunkt der Beurteilung der Rückkehrsituation ist jener der Erlassung des Erkenntnisses durch das Bundesverwaltungsgericht.
13 Das Bundesverwaltungsgericht führte eine mündliche Verhandlung durch und verschaffte sich auch in Bezug auf die Reife und Selbständigkeit des ‑ im Zeitpunkt der Verhandlung schon volljährigen ‑ Revisionswerbers einen persönlichen Eindruck. Das Verwaltungsgericht hat sowohl zu den persönlichen Umständen des Revisionswerbers als auch zur Lage in Afghanistan im Allgemeinen sowie den Städten Kabul, Mazar‑e Sharif und Herat im Besonderen hinreichende Feststellungen getroffen. Entgegen dem Vorbringen in der Revision hat das Verwaltungsgericht bei seiner Beurteilung auf die fallbezogen entscheidungsrelevanten Umstände ‑ auch unter Zugrundelegung des von der Revision zitierten Betreuungsberichts ‑ ausreichend Bedacht genommen. Dabei hat das Bundesverwaltungsgericht keine in der Person des Revisionswerbers liegende ‑ entscheidungsrelevante ‑ Vulnerabilität angenommen und es zeigt auch die Revision eine solche mit Hinweis auf den ohnehin berücksichtigten Betreuungsbericht der Kinder- und Jugendhilfe nicht auf.
14 Wenn der Revisionswerber bei seinen rechtlichen Überlegungen zur Begründung für die Zulässigkeit der Revision dann allerdings ausdrücklich als Prämisse voraussetzt, dass er insbesondere bei der Beurteilung der Rückkehrsituation als Minderjähriger zu behandeln sei, geht er nicht von den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts aus. Schon deshalb wird mit dem auf der eigenen Prämisse aufbauenden weiteren Vorbringen keine auf den gegenständlichen Fall bezogene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dargetan.
15 Nur der Vollständigkeit halber ist drauf zu verwiesen, dass dem gegenständlichen Fall somit auch eine andere Fallkonstellation zugrunde liegt als der Entscheidung des EuGH vom 14. Jänner 2021, C‑441/19, weil der Revisionswerber im Zeitpunkt der Erlassung der Rückkehrentscheidung die Volljährigkeit bereits erreicht hatte.
16 Insoweit die Revision vorbringt, das Bundesverwaltungsgericht hätte ein Sachverständigengutachten aus dem Bereich der Sozial- und Traumapädagogik einholen müssen, wenn Zweifel am Fehlen der ausreichenden Reife und Selbständigkeit des Revisionswerbers bestanden hätten, ist sie auf die entsprechenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts im angefochtenen Erkenntnis zu verweisen, wonach solche Zweifel für den erkennenden Richter nicht vorgelegen sind. Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass die Frage, ob amtswegige Erhebungen erforderlich sind, in der Regel keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung darstellt, weil es sich dabei um eine einzelfallbezogene Beurteilung handelt. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. VwGH 4.2.2020, Ra 2020/14/0024, mwN). Dass fallbezogen solche Umstände vorhanden gewesen wären, sodass das Bundesverwaltungsgericht von der Notwendigkeit weiterer amtswegiger Erhebungen hätte ausgehen müssen, wird in der Revision jedoch nicht aufgezeigt.
17 Soweit die Revision die Verwertung der Stellungnahme des „länderkundlichen“ Sachverständigen in der Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts rügt, macht sie einen Verfahrensmangel geltend. Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss in der gesonderten Zulässigkeitsbegründung auch deren Relevanz dargetan werden, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können. Dies setzt voraus, dass ‑ auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 27.4.2021, Ra 2020/14/0536 bis 0537, mwN).
18 Der Revision gelingt es jedoch bereits deshalb nicht, die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel darzulegen, weil das Bundesverwaltungsgericht ‑ wie die Revision selbst zugesteht ‑ seine Beweiswürdigung nicht ausschließlich auf diese gutachterliche Stellungnahme gestützt hat. Vielmehr hat es die Fluchtgeschichte des Revisionswerbers einer umfassenden Beweiswürdigung unterzogen hat und lediglich ergänzend auf die länderkundliche Stellungnahme verwiesen. Da bereits diese Beweiswürdigung die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts trägt, kommt es auf die länderkundliche Stellungnahme im gegenständlichen Fall nicht an.
19 Soweit die Revision eine unzureichende Auseinandersetzung mit den Richtlinien des UNHCR und der „Country Guidance“ des EASO rügt, ist ihr ebenfalls entgegen zu halten, dass es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht ausreicht, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der genannten Verfahrensmängel darzulegen. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. etwa VwGH 12.3.2020, Ra 2019/14/0179, mwN). Dieser Anforderung wird die Revision mit dem allgemein gehaltenen Vorbringen nicht gerecht. Wenn der Revisionswerber in diesem Zusammenhang darauf verweist, dass eine Ansiedelung in Kabul nicht möglich sei, ist festzuhalten, dass das Bundeverwaltungsgericht alternativ das Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative in den afghanischen Städten Mazar‑e Sharif und Herat unter Berücksichtigung seiner persönlichen Verhältnisse bejaht hat. Auf diese Ausführungen geht die Revision nicht ein.
20 Soweit sich die Revision gegen die Erlassung der Rückkehrentscheidung wendet, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, nach der eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel ist (vgl. VwGH 28.04.2021, Ra 2021/14/0131).
21 Dass das Bundesverwaltungsgericht bei der nach § 9 BFA‑Verfahrensgesetz (BFA‑VG) durchgeführten Interessenabwägung die in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs aufgestellten Leitlinien nicht beachtet oder diese in unvertretbarer Weise ‑ insbesondere in Bezug auf die Gewichtung der fallbezogen gegebenen Umstände ‑ zur Anwendung gebracht hätte, wird nicht aufgezeigt. Ferner ist nicht ersichtlich, dass die im angefochtenen Erkenntnis erfolgte einzelfallbezogene Abwägung unter Berücksichtigung der in der Revision angeführten Aspekte gemessen am Prüfmaßstab des Verwaltungsgerichtshofs zu beanstanden wäre.
22 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 7. Juli 2021
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