VwGH Ra 2021/14/0052

VwGHRa 2021/14/005217.3.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des A B, vertreten durch Dr. Farhad Paya, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Herrengasse 12/I, gegen das am 17. Dezember 2020 mündlich verkündete und am 13. Jänner 2021 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, L521 2199176‑1/14E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

FrPolG 2005 §52
MRK Art8

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021140052.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte am 11. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er damit begründete, aufgrund seiner Tätigkeit als Wachmann und seiner Konfession als Sunnit verfolgt zu werden.

2 Mit Bescheid vom 23. Mai 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in den Irak zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die belangte Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 Zu ihrer Zulässigkeit bringt die Revision zunächst vor, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung abgewichen, weil es die Verneinung der asylrelevanten Verfolgung des Revisionswerbers nicht nachvollziehbar begründet habe. Er befürchte aufgrund seiner Zugehörigkeit zum sunnitischen Zweig des Islam und seiner früheren Tätigkeit als Wachmann neuerlich Opfer von Verfolgungshandlungen zu werden. Nach der Judikatur genüge für die Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu einer Gruppe und es sei eine Prognoseentscheidung zu treffen. Nach den Erwägungen des UNHCR vom Mai 2019 und den Leitlinien des EASO vom Juni 2019 würden Personen wie der Revisionswerber Schutz benötigen, da sie Gegner von Gruppierungen darstellten, welche mit der Regierung verbunden seien.

8 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 19.11.2020, Ra 2020/14/0192 bis 0196, mwN).

9 Das Bundesverwaltungsgericht setzte sich ‑ nach Durchführung einer Verhandlung, in der es sich einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschaffen konnte ‑ mit dem Vorbringen zu den Gründen seiner Flucht auseinander und sprach diesem in nicht unschlüssiger Weise die Glaubwürdigkeit ab. Dabei stützte es sich in seinen umfassenden Erwägungen nicht bloß darauf, dass der Revisionswerber sein Vorbringen zu den Ausreisegründen in der mündlichen Verhandlung revidiert habe, sondern auch auf erhebliche Widersprüche, eine nicht ansatzweise stringente Schilderung sowie einen fehlenden zeitlichen Zusammenhang zwischen der behaupteten Bedrohung und der Ausreise aus dem Herkunftsstaat. Es könne auch keine Rückkehrgefährdung erkannt werden, weil der Revisionswerber kein exponiertes persönliches Profil aufweise und er keine Verfolgungshandlungen vor der Ausreise zu gewärtigen gehabt habe. Abgesehen davon, dass es der Revision nicht gelingt, aufzuzeigen, dass das Bundesverwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte, geht sie im Hinblick auf eine allfällige Verfolgung im Herkunftsstaat auch nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Entfernt sich das Vorbringen der Zulässigkeitsbegründung jedoch vom festgestellten Sachverhalt, wird schon deshalb keine fallbezogene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt (vgl. VwGH 27.5.2020, Ra 2019/14/0394, mwN).

10 Soweit sich die Revision gegen die Nichtgewährung von subsidiärem Schutz wendet und insbesondere auf die schlechte Sicherheitslage im Herkunftsstaat verweist, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach es sich hierbei letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall handelt, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit zu treffen ist (vgl. etwa VwGH 13.1.2021, Ra 2020/14/0287 bis 0288, mwN).

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt festgehalten, dass für die Gewährung von subsidiärem Schutz die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK nicht ausreichend ist. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, dass exzeptionelle Umstände vorliegen (vgl. VwGH 28.12.2020, Ra 2020/14/0554, mwN).

12 Das Bundesverwaltungsgericht hat sich ausführlich mit den einschlägigen Länderinformationen auseinandergesetzt und hat konkrete, sowohl die persönliche Situation des Revisionswerbers als auch die allgemeine Lage im Herkunftsstaat betreffende Feststellungen getroffen. Es kam zum Ergebnis, dass die grundlegende Versorgung des Revisionswerbers bei einer Rückkehr nach Bagdad gewährleistet sei, weil er an keiner schweren Erkrankung leide, im Hinblick auf die Covid‑19‑Pandemie keiner Risikogruppe angehöre, arbeits‑ und anpassungsfähig sei, über Schulbildung und Berufserfahrung sowie eine Schwester und einen wohlhabenden Schwager im Herkunftsort verfüge, wo er eine Wohnmöglichkeit sowie Unterstützung vorfinden werde. Dies wird in der Revision nicht substantiiert bestritten. Die Revision legt somit nicht dar, dass ‑ auch im Hinblick auf die Covid‑19‑Pandemie ‑ in Bagdad solche exzeptionellen Umstände vorlägen, welche konkret die reale Gefahr einer Verletzung der nach Art. 3 EMRK garantierten Rechte darstellten.

13 Soweit die Revision schließlich die Erlassung einer Rückkehrentscheidung beanstandet, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel (vgl. VwGH 3.9.2020, Ra 2020/14/0398, mwN). Das Bundesverwaltungsgericht hat im vorliegenden Fall alle entscheidungswesentlichen, so auch die zugunsten des Revisionswerbers sprechenden Umstände, etwa seinen über fünfjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet, seine Beteiligung am gesellschaftlichen Leben, sein ehrenamtliches Engagement, seine Sprachkenntnisse und seine Erwerbstätigkeit, in seine Interessenabwägung einbezogen. Dass dem Bundesverwaltungsgericht dabei eine revisible Fehleinschätzung unterlaufen wäre, ist nicht ersichtlich.

14 Wenn die Revision auf den Gesundheitszustand des Revisionswerbers und seiner Behandlungsbedürftigkeit verweist, kommt bei dieser Abwägung auch dem Umstand Bedeutung zu, dass eine medizinische Behandlung in Österreich vorgenommen wird, die im Einzelfall zu einer maßgeblichen Verstärkung des persönlichen Interesses an einem Verbleib in Österreich führen kann (vgl. VwGH 17.11.2020, Ra 2019/19/0308, mwN). Nach der auf Art. 8 EMRK abstellenden (aus der Rechtsprechung des EGMR übernommenen) Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat im Allgemeinen jedoch kein Fremder ein Recht, in seinem aktuellen Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielstaat nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, fällt nicht entscheidend ins Gewicht, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielland gibt. Der Verwaltungsgerichtshof hat diesbezüglich auch schon festgehalten, dass es einem Fremden obliegt, substantiiert darzulegen, auf Grund welcher Umstände eine bestimmte medizinische Behandlung für ihn notwendig sei und dass diese nur in Österreich erfolgen könnte. Denn nur dann wäre ein sich daraus (allenfalls) ergebendes privates Interesse im Sinn des Art. 8 EMRK an einem Verbleib in Österreich ‑ auch in seinem Gewicht ‑ beurteilbar (vgl. wiederum VwGH 17.11.2020, Ra 2019/19/0308, mwN).

15 Im vorliegenden Fall gelangte das Bundesverwaltungsgericht auf der Grundlage entsprechender Feststellungen zum Ergebnis, dass der Revisionswerber weder lebensbedrohlich erkrankt sei, noch an einer schweren Krankheit leide. Er nehme Medikamente ein, stehe jedoch in keiner laufenden Behandlung oder Therapie und bedürfe keiner operativen Eingriffe. Befürchtungen im Hinblick auf eine unzureichende medizinische Versorgung im Herkunftsstaat habe er nicht vorgebracht. Ausgehend von den Feststellungen sei ungeachtet einer Überlastung des irakischen Gesundheitswesens zufolge der Covid‑19‑Pandemie davon auszugehen, dass der Revisionswerber Zugang zu Apotheken und Medikamenten haben werde. Den vorgelegten Befunden könne zudem keine drohende Verschlechterung seines Gesundheitszustandes im Fall des Unterbleibens von Behandlungen oder Therapien (solche seien ohnehin nicht geplant) entnommen werden. Vor diesem Hintergrund gelingt es der Revision, die diese Feststellungen unbekämpft lässt, nicht, aufzuzeigen, dass sich das Bundesverwaltungsgericht von den dargestellten Leitlinien der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entfernt hätte.

16 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 17. März 2021

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