Normen
BFA-VG 2014 §9 Abs1
BFA-VG 2014 §9 Abs2
FrPolG 2005 §52
MRK Art8
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021140005.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Türkei, stellte am 11. September 2006 nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
2 Dieser Antrag wurde vom (damals zuständigen) Bundesasylamt mit Bescheid vom 27. September 2006 abgewiesen. Unter einem wurde gegen ihn eine Ausweisung in die Türkei erlassen. Die dagegen erhobene Beschwerde blieb, soweit es die Versagung von internationalen Schutz betraf, erfolglos. Jedoch wurde der Ausspruch über die Erlassung einer Ausweisung vom Bundesverwaltungsgericht im Jahr 2015 aufgrund der Übergangsvorschrift des § 75 Abs. 20 AsylG 2005 behoben und das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung an das (mittlerweile zuständig gewordene) Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
3 Zwischenzeitig hatte die (damalige) Bundespolizeidirektion Graz gegen den Revisionswerber, der straffällig geworden war, nach den damals geltenden Vorschriften des Fremdenpolizeigesetzes 2005 im Jahr 2008 ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Rückkehrverbot erlassen. Ein vom Revisionswerber im Jahr 2014 gestellter Antrag auf Aufhebung desselben blieb erfolglos.
4 In der Folge erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Bescheid vom 14. Juli 2016, mit dem dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt wurde, dass seine Abschiebung in die Türkei zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise setzte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 23. März 2020 als unbegründet ab.
5 Daraufhin stellte der Revisionswerber am 6. Mai 2020 einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz.
6 Mit Bescheid vom 18. Juni 2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurück, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung sowie ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot und stellte fest, dass seine Abschiebung in die Türkei zulässig sei. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde dem Revisionswerber nicht gewährt.
7 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 Nach den in der Revision enthaltenen Revisionspunkten bleibt die Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz unbekämpft. Auf das der Sache nach darauf abzielende Vorbringen, darzulegen, warum die Voraussetzungen für die Gewährung von internationalen Schutz vorlägen, war daher schon deshalb nicht weiter einzugehen.
12 Der Revisionswerber wendet sich im Übrigen gegen die vom Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Erlassung der Rückkehrentscheidung und des Einreiseverbotes vorgenommene Interessenabwägung nach § 9 BFA‑Verfahrensgesetz (BFA‑VG).
13 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG (vgl. VwGH 11.11.2020, Ra 2020/14/0149, mwN).
14 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA‑VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA‑VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. VwGH 14.12.2020, Ra 2020/20/0408 bis 0411, mwN).
15 Dabei geht der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Judikatur davon aus, dass bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen ist. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (vgl. VwGH 23.10.2020, Ra 2020/20/0056; 3.9.2020, Ra 2020/14/0385, jeweils mwN).
16 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes führt allerdings auch ein mehr als zehnjähriger Inlandsaufenthalt in Verbindung mit dem Vorliegen gewisser integrationsbegründender Aspekte dann nicht zwingend zu einem Überwiegen des persönlichen Interesses, wenn dem Umstände entgegenstehen, die das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren.
17 Insbesondere strafrechtliche Verurteilungen stellen derartige Umstände dar, die die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland und eine erfolgte Integration relativieren können, wobei in dem Zusammenhang auch länger zurückliegende Straftaten berücksichtigt werden können. Auch eine bereits erfolgte Tilgung von Straftaten führt nicht dazu, dass die Straffälligkeit eines Fremden bei der Abwägung gemäß Art. 8 EMRK nicht berücksichtigt werden dürfe (vgl. VwGH 6.10.2020, Ra 2019/19/0332, mwN).
18 Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigte im Rahmen der Interessenabwägung alle fallbezogen entscheidungswesentlichen Umstände. Dabei nahm es entgegen dem Revisionsvorbringen nicht nur auf die Verurteilungen des Revisionswerbers und der Missachtung eines früher gegen ihn erlassenen zehnjährigen Rückkehrverbotes Bedacht, sondern auch ausreichend darauf, dass er in der letzten Zeit (obgleich weitere gegen ihn jüngst geführte Strafverfahren aktenkundig sind) nicht rechtskräftig verurteilt worden war. Das Verwaltungsgericht ging auch auf die Dauer bisheriger Verfahren, die vom Revisionswerber geführte Beziehung und das Verhältnis zu seinen in Österreich lebenden Schwestern, seine sozialen und beruflichen Integrationsbemühungen sowie seinen unsicheren Aufenthaltsstatus ein.
19 Die Revision vermag nicht aufzuzeigen, dass die vom Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Interessenabwägung vorgenommene Beurteilung, wonach aufgrund des erheblichen Fehlverhaltens des Revisionswerbers trotz der langen Aufenthaltsdauer die Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht unverhältnismäßig sei, als unvertretbar einzustufen wäre.
20 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 26. Februar 2021
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