Normen
BAO §198
BAO §20
BAO §224 Abs1
BAO §248
BAO §257
BAO §80 Abs1
BAO §9 Abs1
B-VG Art133 Abs4
EStG 1988 §5
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwRallg
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021130115.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Revisionswerber hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber wurde vom Zollamt als ehemaliger Geschäftsführer der N GmbH gemäß §§ 9, 80 ff iVm 224 Abs. 1 BAO als Haftungspflichtiger für die in der Zeit vom 6. September 2010 bis zum 23. November 2010 für das genannte Unternehmen entstandene und noch aushaftende Mineralölsteuer im Ausmaß von 2,500.000 € in Anspruch genommen. Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde sowie eine Beschwerde gemäß § 248 BAO. Nach abweisender Beschwerdevorentscheidung stellte er einen Vorlageantrag.
2 Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde gegen den Haftungsbescheid als unbegründet ab. Zum Sachverhalt führte es aus, das Zollamt habe mit Bescheid vom 13. Februar 2013 bei der N GmbH Mineralölsteuer und Säumniszuschlag festgesetzt. Über das Vermögen der N GmbH sei im Juli 2013 das Konkursverfahren eröffnet worden. Im Verfahren gegen die Primärschuldnerin sei das Zollamt davon ausgegangen, dass für die N GmbH für insgesamt 370 Mineralöllieferungen in den Monaten September, Oktober und November 2010 gemäß § 21 Abs. 1 Z 1 MinStG die Steuerschuld jeweils dadurch entstanden sei, dass sie das als steuerfrei deklarierte jedoch steuerpflichtige Mineralöl aus dem eigenen Steuerlager ohne anschließendes Steueraussetzungsverfahren weggebracht habe. Über die Beschwerde der Primärschuldnerin gegen den Bescheid vom 13. Februar 2013 sei rechtskräftig entschieden worden.
3 Mit Vorhalt vom 25. April 2016 habe das Zollamt dem Revisionswerber eröffnet, es beabsichtige, ihn für die von der Primärschuldnerin im Zeitraum vom 6. September 2010 bis zum 23. November 2010 nicht selbst berechnete und am jeweiligen Fälligkeitstag nicht entrichtete Mineralölsteuer in der Höhe von insgesamt 3,914.535,92 € sowie für die daraus resultierenden Säumniszuschläge im Betrage von insgesamt 78.290,72 € im Rahmen der ihn als ehemaligen Geschäftsführer treffenden persönlichen Haftung gemäß §§ 9, 80 iVm 224 Abs. 1 BAO heranzuziehen. Mit Bescheid des Zollamtes sei er wegen schuldhafter Verletzung der Aufsichtspflicht und weil er seinen ihm abgabenrechtlich auferlegten Pflichten nicht nachgekommen sei, in der Höhe von 2,500.000 € zur Haftung herangezogen worden.
4 In der rechtlichen Beurteilung führte das Bundesfinanzgericht aus, im Streitfall gehe es vor allem um die Klärung der Frage, ob dem Revisionswerber ein Verschulden an der Missachtung der in § 23 MinStG normierten abgabenrechtlichen Pflichten anzulasten sei. Dazu sei einleitend darauf hinzuweisen, dass die Behauptung des Revisionswerbers, bis heute sei kein Beweis erbracht worden, dass es im Zusammenhang mit der Herstellung des Produkts UTÖ („Universaltechnisches Öl“) zur Entstehung der Mineralölsteuerschuld gekommen sei, falsch sei. Richtig sei vielmehr, dass es laut Aktenlage in mehreren Staaten immer wieder zur Untersuchung des genannten Wirtschaftsgutes gekommen sei. Dabei sei jeweils übereinstimmend hervorgekommen, dass es sich beim UTÖ um ein mineralölsteuerpflichtiges Erzeugnis der Warennummer 2710 1941 der Kombinierten Nomenklatur handle. Es stehe zweifelsfrei fest, dass mehrmals steuerpflichtiges UTÖ hergestellt worden sei. Eine schriftliche Anmeldung dieses aus ihrem Steuerlager weggebrachten Mineralöls habe die Primärschuldnerin entgegen der Vorschrift des § 23 Abs. 1 MinStG nicht vorgenommen. Ebenso sei die Entrichtung der Mineralölsteuer unterblieben.
5 Gemäß § 9 Abs. 1 BAO würden Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit haften, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden könnten. Zu den abgabenrechtlichen Pflichten eines Vertreters gehöre es, dass die Abgaben zeitgerecht entrichtet würden. Mit dem Einwand, er habe zu dem Zeitpunkt, als mit dem Erkenntnis des BFG betreffend die Primärschuldnerin „die Abgabenschuld festgestanden“ sei, aufgrund des Insolvenzverfahrens keine Möglichkeit mehr gehabt, die Entrichtung der Abgabenschuld zu bewerkstelligen, könne der Revisionswerber nicht durchdringen. Denn der Zeitpunkt, für den zu beurteilen sei, ob der Vertretene über die für Abgabenentrichtung erforderlichen Mittel verfügt habe, bestimme sich danach, wann die Abgaben bei Beachtung der abgabenrechtlichen Vorschriften zu entrichten gewesen wären. Bei Selbstbemessungsabgaben sei maßgebend, wann die Abgaben bei ordnungsgemäßer Selbstberechnung abzuführen gewesen wären. Maßgebend sei daher der Zeitpunkt ihrer Fälligkeit, somit unabhängig davon, ob die Abgabe bescheidmäßig festgesetzt werde.Der Umstand, dass über das Vermögen der Primärschuldnerin im Jahr 2013 der Konkurs eröffnet worden sei, bleibe somit ohne Einfluss auf die bereits im Jahr 2010 für die genannte Gesellschaft entstandene verfahrensgegenständliche Abgabenschuld.
6 Der Revisionswerber sei seinen abgabenrechtlichen Pflichten schuldhaft nicht nachgekommen. Dass der Revisionswerber, wie behauptet, trotz der eindeutigen Hinweise aus dem eigenen Labor nichts von einer Steuerpflicht der von der Primärschuldnerin hergestellten Produkte gewusst haben wolle, erscheine nach der Aktenlage völlig unglaubwürdig. Dem Revisionswerber sei die Verletzung von Überwachungspflichten zur Last zu legen, weil er nicht kontrolliert habe, ob mineralölsteuerpflichtige Erzeugnisse widerrechtlich das Steuerlager verlassen hätten. Angesichts dieser Umstände und unter Bedachtnahme auf die hohe Abgabenbelastung von Mineralölerzeugnissen der verfahrensgegenständlichen Art sei es dem Revisionswerber zumutbar gewesen, seiner Überwachungspflicht in besonders hohem Ausmaß zu entsprechen und für die Möglichkeit des Nachweises seines pflichtgemäßen Verhaltens Vorsorge zu treffen.
7 Zum Ermessen führte das Bundesfinanzgericht aus, die Uneinbringlichkeit bei der Primärschuldnerin stehe als Folge des Insolvenzverfahrens fest. Das Zollamt habe den Revisionswerber nicht zur vollen Haftung der aushaftenden Abgabenschuld in Anspruch genommen. Substantiierte Einwände gegen das festgelegte Ausmaß von 2,500.000 € trage der Revisionswerber nicht vor. Unter Bedachtnahme auf die lange Verfahrensdauer erscheine nach der Überzeugung des Bundesfinanzgerichtes diese Lösung durchaus ermessensgerecht. Gegen eine noch großzügigere Handhabung der Ermessensübung sprächen sowohl general- als auch spezialpräventive Überlegungen, zumal gerade im besonders sensiblen Mineralölsteuerbereich die berechtigten Ansprüche der Behörde an die Erfüllung der gebotenen Sorgfaltspflichten der Wirtschaftsbeteiligten und ihrer Vertreter nicht verwässert werden sollten.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, das Bundesfinanzgericht habe das Ermessen falsch geübt, weil es die lange Zeitdauer zwischen Entstehen des Abgabenanspruches und Heranziehung zur Haftung überhaupt nicht berücksichtigt habe. Es hätte zudem die fehlenden Einbringungsmaßnahmen der Abgabenbehörden in seine Beurteilung miteinbeziehen müssen. Die Primärschuldnerin hätte in den Jahren 2010 bis 2012 ausreichend Mittel gehabt, um die Mineralölsteuerschulden zu tilgen. Der Revisionswerber habe kein Verschulden an der Uneinbringlichkeit der Abgaben, weil er im Jahr 2010 davon ausgegangen sei, dass keine Mineralölsteuerschuld entstanden sei. Er habe ausreichend qualifiziertes Personal angestellt. Die Uneinbringlichkeit sei erst mit Einleitung des Insolvenzverfahrens entstanden und nicht durch Fehleinschätzung der Produktionsumstände. Es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, ob die Haftung gemäß § 9 BAO auch dann auf den Fälligkeitszeitpunkt der Abgabe rückzubeziehen sei, wenn im Abgabenverfahren gerade die Frage offen gewesen sei, ob überhaupt eine Abgabenschuld entstanden sei.
9 Das Zollamt hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.
10 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
11 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.
12 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
13 Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.
14 Geht einem Haftungsbescheid gemäß § 9 BAO ein Abgabenbescheid voran, so ist die Behörde daran gebunden und hat sich in der Entscheidung über die Heranziehung zur Haftung grundsätzlich an den Abgabenbescheid (Haftungsbescheid) zu halten. Die Verschuldensprüfung hat dabei von der objektiven Richtigkeit der Abgabenfestsetzung auszugehen (vgl. VwGH 13.1.2021, Ra 2020/13/0104).
15 Soweit die Revision sich inhaltlich im Ergebnis gegen die Feststellung der Mineralölsteuerpflicht im Abgabenverfahren der Primärschuldnerin wendet, ist darauf zu verweisen, dass Einwendungen gegen die Richtigkeit der Abgabenfestsetzung in einem gemäß § 248 BAO durchzuführenden Abgabenverfahren und nicht im Haftungsverfahren geltend zu machen sind (VwGH 27.1.2011, 2010/16/0258).
16 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Vertreter darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten unmöglich gewesen sei, widrigenfalls die Abgabenbehörde eine schuldhafte Verletzung im Sinn des § 9 Abs. 1 BAO annehmen darf (vgl. VwGH 27.5.2020, Ra 2020/13/0027). Hat der Vertreter schuldhaft seine Pflicht verletzt, für die Abgabenentrichtung aus den Mitteln der Gesellschaft zu sorgen, so darf die Abgabenbehörde davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit ursächlich war (vgl. neuerlich etwa VwGH 18.3.2013, 2011/16/0187, mwN).
17 Abgabenrechtliche Pflichten werden nicht erfüllt, wenn Abgaben, die zu entrichten gewesen wären, nicht entrichtet worden sind (vgl. VwGH 16.12.1999, 96/15/0104).
18 Für die Beurteilung der schuldhaften Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten kommt es im Revisionsfall maßgeblich darauf, dass unrichtige Abgabenerklärungen abgegeben und keine Abgaben entrichtet worden sind.
19 Wenn die Revision vorbringt, der Revisionswerber habe qualifiziertes Fachpersonal angestellt, ist darauf zu verweisen, dass das Bundesfinanzgericht davon ausgegangen ist, dass der Revisionswerber seinen Überwachungspflichten nicht nachgekommen ist und es auch unglaubwürdig sei, dass er nichts von der Herstellung mineralölsteuerpflichtiger Produkte gewusst habe. Der Verweis auf die Anstellung qualifizierten (technischen) Fachpersonals kann somit das Verschulden des Revisionswerbers an der Nichtentrichtung der Abgaben nicht entkräften.
20 Wenn die Revision vorbringt, die fehlenden Einbringungsmaßnahmen der Abgabenbehörden bei der Primärschuldnerin hätten Eingang in die Ermessensbeurteilung finden müssen, weil in den Jahren 2010 bis 2012 ausreichend liquide Mittel vorhanden gewesen wären, wird damit ein Ermessensfehler nicht aufgezeigt (vgl. VwGH 27.5.2020, Ra 2020/13/0027, Rn 40). Bei den in Rede stehenden Abgaben handelt es sich um Selbstbemessungsabgaben, welche ohne Zutun der Behörde zu entrichten gewesen wären (vgl. VwGH 27.2.2008, 2005/13/0100).
21 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Verstreichen einer langen Zeit ‑ sei es seit der Entstehung der Abgabenschuld oder seit dem Hervorkommen der Uneinbringlichkeit beim Primärschuldner ‑ ein Umstand, der bei der Heranziehung zur Haftung im Rahmen der Ermessensübung nicht außer Betracht gelassen werden darf. Ein solcher Umstand kann jedoch auch lediglich einer von mehreren Gesichtspunkten sein, die im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigen sind. Inwieweit dieser Gesichtspunkt beim Ermessen Berücksichtigung findet, hängt vom Einzelfall ab. Eine Ermessensüberschreitung oder ein Ermessensmissbrauch läge dann vor, wenn ein solcher Umstand bei der Ermessensentscheidung überhaupt nicht berücksichtigt würde (vgl. VwGH 19.5.2021, Ra 2019/13/0046).
22 Das Bundesfinanzgericht hat die Dauer zwischen Entstehen des Abgabenanspruchs und Haftungsinanspruchnahme in seiner Ermessensübung berücksichtigt, indem es die Haftungsinspruchnahme für einen geringeren als den bei der Primärschuldnerin aushaftenden Betrag durch das Zollamt für ermessensgerecht befunden und begründet hat, warum eine weitere Reduktion des Betrages nicht erfolgen könne. Dass das Bundesfinanzgericht diesen Umstand gar nicht berücksichtigt hat, trifft somit nicht zu.
23 Wenn die Revision eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung darin erblickt, dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehle, ob die Haftung gemäß § 9 BAO auch dann auf den Fälligkeitszeitpunkt der Abgabe rückzubeziehen sei, wenn im Abgabenverfahren gerade die Frage offen gewesen sei, ob überhaupt eine Abgabenschuld bestehe, ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach der Umstand, dass die Abgabenpflicht strittig war und zur Abgabenpflicht auch Rechtsmittel erhoben wurden, für sich das Verschulden des Haftungspflichtigen nicht ausschließen kann, was bereits daraus folgt, dass der Gesetzgeber die parallele Bekämpfung des Haftungsbescheides und des Abgabenbescheides vorgesehen hat (vgl. VwGH 13.1.2021, Ra 2020/13/0104).
24 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
25 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014. Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 6. September 2022
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