VwGH Ra 2020/22/0214

VwGHRa 2020/22/02141.4.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache des I M in W, vertreten durch Rast & Musliu Rechtsanwälte in 1080 Wien, Alser Straße 23/14, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 10. Juli 2020, Zl. VGW‑151/071/8675/2019‑54, betreffend Aufenthaltskarte (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
NAG 2005 §30 Abs1
NAG 2005 §54 Abs1
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020220214.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Nordmazedoniens, stellte am 27. Dezember 2017 beim Landeshauptmann von Wien (belangte Behörde) unter Berufung auf seine am 3. November 2017 geschlossene Ehe mit der slowakischen Staatsangehörigen AG einen Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte gemäß § 54 Abs. 1 Niederlassungs‑ und Aufenthaltsgesetz (NAG). Da die belangte Behörde keine Entscheidung getroffen hatte, erhob der Revisionswerber mit Schriftsatz vom 27. Juni 2019 Säumnisbeschwerde.

2 Mit dem auf Grund dieser Säumnisbeschwerde ergangenen Erkenntnis vom 10. Juli 2020 wies das Verwaltungsgericht Wien den Antrag des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 54 Abs. 7 NAG zurück und stellte fest, dass der Revisionswerber nicht in den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts falle (Spruchpunkt I.). Dem Revisionswerber wurde der Ersatz näher bestimmter Barauslagen (für die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren beigezogenen nichtamtlichen Dolmetscher) auferlegt (Spruchpunkt II.) und die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG für unzulässig erklärt (Spruchpunkt III.).

3 Für seine Feststellung, der Revisionswerber und AG würden kein gemeinsames Leben im Sinn des Art. 8 EMRK führen, stützte sich das Verwaltungsgericht zum einen auf einen (ersten, auf Grund eines Ersuchens der belangten Behörde gemäß § 37 Abs. 4 NAG erstatteten) Bericht der Landespolizeidirektion (LPD) Wien vom 5. September 2018 betreffend das Vorliegen einer Aufenthaltsehe. Darin sei ua. festgehalten worden, dass eine Begehung der ehelichen Wohnung von AG abgelehnt worden sei, weil der „Ex‑Mann“ (gemeint offenbar: ihr aus Portugal stammender ehemaliger Lebensgefährte und Vater ihres Sohnes) derzeit auf Besuch bei ihr sei. Der Revisionswerber habe sich demgegenüber mit einer Wohnungsbegehung einverstanden erklärt, allerdings erst im Stiegenhaus offengelegt, dass er keinen Schlüssel habe. Angesprochen auf die Aussage seiner Ehefrau, wonach ihr „Ex‑Mann“ bei ihr wohne, habe er angegeben, dies nicht gewusst zu haben. Eine Einsichtnahme in die Protokolle der Mobiltelefone der Ehegatten habe gezeigt, dass sich Einträge mit „Liebesbekundungen“ erst nach Zustellung der Ladung (zur Befragung durch die LPD Wien) fänden. Weiters verwies das Verwaltungsgericht auf den (zweiten, auf sein Ersuchen hin erstatteten) Bericht der LPD Wien vom 8. Mai 2020, dem zu entnehmen gewesen sei, dass der Revisionswerber nach der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 2. März 2020 in seine Heimat zurückgereist sei.

4 In seiner rechtlichen Beurteilung hielt das Verwaltungsgericht zunächst fest, dass die Voraussetzungen des § 8 VwGVG vorlägen und die Zuständigkeit zur Entscheidung über den Antrag auf das Verwaltungsgericht übergegangen sei.

Der Revisionswerber habe sich im Verfahren betreffend die Ausstellung einer Aufenthaltskarte auf seine Ehe mit AG berufen. Auf Grund der Berichte der LPD Wien sowie der Aussagen des Revisionswerbers und der AG sei das Verwaltungsgericht zum Schluss gekommen, dass der Revisionswerber und AG kein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK führen würden. Die ‑ nach nur zweimaligem Sehen und vier Monate nach dem Kennenlernen erfolgte ‑ Eheschließung sei zum Zweck erfolgt, dem Revisionswerber zu ermöglichen, nach Österreich zu kommen und legal in der Firma seines Schwagers zu arbeiten.

Nicht nachvollziehbar sei auch die Behauptung, die Ehegatten würden sich auf Serbisch verständigen. Zwar bestehe zwischen Mazedonisch (der Muttersprache des Revisionswerbers) und Serbisch ein hoher Grad an gegenseitiger Verständlichkeit, nicht jedoch zwischen Slowakisch (der Muttersprache der AG) und Serbisch. AG habe auch nicht angeben können, in welchem Ausmaß sie Serbisch spreche. Die Behauptung der Verständigung auf Serbisch sei vom Verhandlungsleiter (dessen Muttersprache „Serbisch/Bosnisch/Kroatisch“ sei) in der Verhandlung einer Überprüfung unterzogen und die Ehegatten seien aufgefordert worden, einige Sätze auf Serbisch zu sprechen. Dabei habe der Revisionswerber einen einfachen Satz mit Mühe und kaum verständlich aussprechen können; mit AG, die nur rudimentäre Kenntnisse der serbischen Sprache besitze, sei eine Unterhaltung auf Serbisch nicht möglich (gewesen). Eine Unterhaltung ‑ wie sie zwischen Ehegatten üblich wäre ‑ sei zwischen dem Revisionswerber und AG somit nicht bzw. nur in Grundzügen möglich. Zudem hätten die Antworten des Revisionswerbers und der AG in der Verhandlung emotionslos, einstudiert und nicht glaubwürdig gewirkt. Schließlich sei der Revisionswerber bei den Erhebungen durch die LPD Wien nie in der angeblichen Ehewohnung angetroffen worden.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 Der Revisionswerber moniert in seinem Zulässigkeitsvorbringen, das Verwaltungsgericht habe nicht die Feststellung getroffen oder nachgewiesen, dass der Revisionswerber die Ehe „zum ausschließlichen Zweck“ geschlossen habe, eine fremdenrechtliche Berechtigung zu erhalten. Damit weiche das Verwaltungsgericht von näher zitierter hg. Rechtsprechung ab (Verweis auf VwGH 4.6.2009, 2006/18/0346).

Weiters habe es das Verwaltungsgericht entgegen der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verabsäumt, die gebotene Gesamtbetrachtung vorzunehmen, die auf alle Umstände des Einzelfalles Bedacht nehme (Verweis auf VwGH 15.3.2018, Ra 2017/21/0203; 15.12.2015, Ra 2015/18/0265; 16.5.2012, 2011/21/0277).

8 Vorauszuschicken ist zunächst Folgendes: Die Revision richtet sich zwar ‑ ohne erkennbare Einschränkung ‑ gegen das dargestellte Erkenntnis insgesamt, allerdings enthält das Zulässigkeitsvorbringen keine Ausführungen zum Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung betreffend den ‑ als trennbar anzusehenden ‑ Spruchpunkt II. (vgl. insoweit VwGH 3.2.2021, Ra 2021/22/0016, Rn. 6, mwN). Soweit sich die vorliegende Revision gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Erkenntnisses richtet, war sie daher schon aus diesem Grund zurückzuweisen.

9 Nach § 11 Abs. 1 Z 4 NAG dürfen einem Fremden Aufenthaltstitel nicht erteilt werden, wenn (ua.) eine Aufenthaltsehe (§ 30 Abs. 1 NAG) vorliegt. Gemäß § 30 Abs. 1 NAG dürfen sich Ehegatten oder eingetragene Partner, die ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nicht führen, für die Erteilung und Beibehaltung von Aufenthaltstiteln nicht auf die Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen. Dies gilt nach § 30 Abs. 3 NAG auch für den Erwerb und die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts.

10 Der Tatbestand des § 30 Abs. 1 NAG ist ua. dann erfüllt, wenn sich der Ehegatte zur Erteilung eines Aufenthaltstitels auf eine Ehe beruft, obwohl kein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK geführt wird. Beantragt ein Fremder die Erteilung eines Erstaufenthaltstitels zum Zweck der Familienzusammenführung mit seinem Ehegatten, ist seine Absicht entscheidend, wie der angestrebte Titel genutzt werden solle. Ein formales Band der Ehe reicht nicht aus, um aufenthaltsrechtliche Wirkungen zugunsten des ausländischen Ehegatten abzuleiten (vgl. zu allem VwGH 8.7.2020, Ra 2019/22/0020, Rn. 9, mwN).

11 Das Verwaltungsgericht hat - wenn auch teilweise disloziert im Rahmen der rechtlichen Beurteilung - ausgeführt, dass der Revisionswerber und AG kein gemeinsames Leben im Sinn des Art. 8 EMRK führen würden, die Ehe „zu einem anderen Zweck, als die Führung eines gemeinsamen Familienlebens“ geschlossen worden sei, der Revisionswerber die Ehe mit AG „geschlossen hat, nur um die Möglichkeit zu erlangen, nach Österreich zu kommen und legal in der Firma seines Schwagers zu arbeiten“, und die rasche Eheschließung geplant worden sei, um dem Revisionswerber „einen legalen Aufenthalt in Österreich zu verschaffen“. In welcher Weise diesbezüglich Feststellungen des Verwaltungsgerichtes fehlen würden, vermag die Revision in ihrem Zulässigkeitsvorbringen ebenso wenig aufzuzeigen wie ein Abweichen von der oben (in Rn. 10) dargestellten hg. Rechtsprechung oder dem in der Revision ins Treffen geführten (zu einem Aufenthaltsverbot nach § 60 Abs. 2 Z 9 Fremdenpolizeigesetz 2005 ergangenen) hg. Erkenntnis 2006/18/0346. Zudem stellt § 30 Abs. 1 NAG auf das Nichtführen eines gemeinsamen Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK ab, und nicht auf den „ausschließlichen Zweck der Erlangung einer fremdenrechtlichen Berechtigung“.

12 Soweit sich der Revisionswerber mit seinem Vorbringen der Sache nach gegen die Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht wendet, ist auf die ständige hg. Rechtsprechung zu verweisen, wonach der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Die Beweiswürdigung ist nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorgangs, nicht aber um die konkrete Richtigkeit handelt, sowie wenn es darum geht, ob die in diesem Denkvorgang gewürdigten Beweisergebnisse in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt wurden (vgl. zu allem VwGH 3.2.2021, Ra 2021/22/0016, Rn. 8, mwN). Eine derartige Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes, die unter Heranziehung einer Mehrzahl von Aspekten und unter Bedachtnahme auf den in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck erfolgt ist, zeigt der Revisionswerber mit seinem insoweit nicht näher substantiierten Zulässigkeitsvorbringen nicht auf.

13 Dem Vorwurf des Revisionswerbers, das Verwaltungsgericht habe es verabsäumt, eine auf alle Umstände des Einzelfalles Bedacht nehmende Gesamtbetrachtung vorzunehmen, ist entgegenzuhalten, dass die derart ins Treffen geführte (in Rn. 7 zitierte) hg. Rechtsprechung zur Durchführung einer Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK ergangen ist, vorliegend eine Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK aber nicht durchzuführen war.

14 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

15 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

16 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 1. April 2021

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