VwGH Ra 2020/19/0440

VwGHRa 2020/19/044012.3.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des S D in W, vertreten durch Mag. Clemens Lahner, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. Juli 2020, I409 2131966‑1/49E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §55
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z5
MRK Art8

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020190440.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Guinea und Angehöriger der Volksgruppe der Peulh, stellte erstmals am 30. September 2012 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Erkenntnis vom 30. Jänner 2013 wies der Asylgerichtshof ‑ in Bestätigung eines Bescheides des Bundesasylamtes ‑ den Antrag als unzulässig zurück, erklärte Ungarn für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz für zuständig, wies den Revisionswerber nach Ungarn aus und stellte fest, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Ungarn zulässig sei.

2 Am 2. Mai 2014 stellte der Revisionswerber in Österreich einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen gab er an, er habe sich in Guinea für eine Oppositionspartei politisch engagiert, weshalb ihm Verfolgung drohe.

3 Das aufgrund einer Säumnisbeschwerde zuständig gewordene Bundesverwaltungsgericht (BVwG) entschied über diesen Antrag zunächst mit am 15. November 2019 mündlich verkündetem Erkenntnis. Mit Erkenntnis vom 9. Juni 2020, E 4749/2019-23, hob der Verfassungsgerichtshof dieses Erkenntnis auf.

4 Mit dem nunmehr in Revision gezogenen Erkenntnis wies das BVwG im fortgesetzten Verfahren den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Guinea zulässig sei, und setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

5 Das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers sei nicht glaubhaft. Es drohe ihm keine Verfolgung aufgrund einer Tätigkeit für eine Oppositionspartei. Zwischen den Ethnien Guineas komme es zu Spannungen, die sich auch in einer politischen Spaltung des Landes ausdrücke. Die Peulh, die die zahlenmäßig größte Ethnie des Landes seien, würden nicht verfolgt und auch nicht systematisch diskriminiert. Es bestehe vor dem Hintergrund der Lage in Guinea keine reale Gefahr, dass dem jungen, gesunden und arbeitsfähigen Revisionswerber bei einer Rückkehr nach Guinea die Lebensgrundlage entzogen wäre bzw. ihm sonst eine Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK drohe.

6 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluss vom 7. Oktober 2020, E3064/2020‑5, ablehnte und diese mit Beschluss vom 20. Oktober 2020, E3064/2020‑7, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10 Die Revision macht zu ihrer Zulässigkeit geltend, das BVwG habe keine ausreichenden Feststellungen zur humanitären Lage in Guinea getroffen und die Covid-19-Pandemie übergangen. Auch die Situation der Peulh in Guinea sei nicht ausreichend erhoben worden.

11 Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass die Asylbehörden bei den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat als Grundlage für die Beurteilung des Vorbringens von Asylwerbern die zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten und insbesondere Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten Organisationen in die Entscheidung einzubeziehen haben. Das gilt ebenso für von einem Verwaltungsgericht geführte Asylverfahren. Auch das BVwG hat daher seinem Erkenntnis die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde zu legen. Es reicht aber nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel aufzuzeigen (vgl. etwa VwGH 20.1.2021, Ra 2020/19/0334, mwN).

12 Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes reicht eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz‑ und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu verneinen (vgl. etwa VwGH 13.01.2021, Ra 2020/19/0200, mwN). Bei der Frage, ob im Fall der Rückführung eine Verletzung des Art. 3 EMRK zu gewärtigen ist, kommt es somit auch nicht darauf an, ob sich infolge von zur Verhinderung der Verbreitung des SARS‑CoV‑2‑Virus gesetzten Maßnahmen die Wiedereingliederung im Herkunftsland wegen schlechterer wirtschaftlicher Aussichten schwieriger als vor Beginn dieser Maßnahmen darstellt, solange die Sicherung der existentiellen Grundbedürfnisse weiterhin als gegeben anzunehmen ist (vgl. VwGH 8.2.2021, Ra 2021/20/0033, mwN).

13 Vor diesem Hintergrund zeigt die Revision nicht auf, dass dem BVwG hinsichtlich der Auswirkungen der Covid‑19‑Pandemie ein relevanter Ermittlungsmangel unterlaufen wäre. Aus den in der Revision zitierten Berichten ist nicht abzuleiten, dass dem jungen und gesunden Revisionswerber aufgrund der Folgen der Covid-19-Pandemie bei einer Rückkehr nach Guinea eine Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK drohen würde. Der Berücksichtigung der in der Revision zitierten Berichte zur Entwicklung der Covid-19-Pandemie in Guinea aus August und September 2020 steht im Übrigen im Verfahren des Verwaltungsgerichtshofes das aus § 41 VwGG abgeleitete Neuerungsverbot entgegen (vgl. VwGH 2.10.2020, Ra 2020/20/0346, mwN).

14 Zu den Konflikten zwischen den Ethnien Guineas, der Lage der Peulh und den politischen Verhältnissen des Landes hat das BVwG gestützt auf Länderberichte Feststellungen getroffen. Die in der Revision zitierten Berichte weichen von diesen Feststellungen nicht in entscheidungsmaßgeblicher Weise ab. Auch in diesem Zusammenhang vermag die Revision somit schon deshalb nicht darzulegen, dass dem BVwG ein relevanter Ermittlungsmangel unterlaufen wäre.

15 Die Revision wendet sich unter dem Gesichtspunkt ihrer Zulässigkeit weiters gegen die Rückkehrentscheidung. Das BVwG habe nicht beachtet, dass die Dauer des Aufenthaltes des Revisionswerbers der langen Verfahrensdauer geschuldet sei. Auch seien die Schwierigkeiten, die der Revisionswerber bei Aufbau einer Existenz in Guinea zu erwarten habe, bei der Interessenabwägung nicht berücksichtigt worden.

16 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn insoweit kein revisibler Verfahrensmangel vorliegt und sie in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel (vgl. etwa VwGH 29.1.2021, Ra 2020/19/0455, mwN). Eine derartige vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Mangelhaftigkeit bzw. Unvertretbarkeit der Interessenabwägung vermag die Revision nicht darzulegen.

17 Einer überlangen Verfahrensdauer käme lediglich dann Relevanz für den Verfahrensausgang zu, wenn sich während der Verfahrensdauer schützenswerte familiäre oder private Interessen herausgebildet hätten (vgl. VwGH 18.12.2020, Ra 2020/20/0149, mwN). Dass dies hier der Fall wäre, vermag die die Revision nicht aufzuzeigen.

18 Es trifft zu, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Frage, ob sich der Fremde bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat eine Existenzgrundlage schaffen kann, bei der Interessenabwägung Bedeutung zukommen kann. Derartiges hat freilich im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung nicht in jeder Konstellation Relevanz. Wie der Verwaltungsgerichtshof in mehreren (mit dem vorliegenden vergleichbaren) Fällen zum Ausdruck gebracht hat, vermögen in einem Fall wie dem hier vorliegenden Schwierigkeiten, die der Fremde beim Wiederaufbau einer Existenz im Heimatland begegnen wird, das Interesse an einem Verbleib in Österreich nicht in entscheidender Weise zu verstärken, sondern sind vielmehr ‑ letztlich auch als Folge des seinerzeitigen, ohne ausreichenden (die Asylgewährung oder Einräumung von subsidiärem Schutz rechtfertigenden) Grund für eine Flucht nach Österreich vorgenommenen Verlassens seines Heimatlandes ‑ im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen (vgl. VwGH 25.9.2018, Ra 2018/21/0178; 14.11.2017, Ra 2017/21/0188, jeweils mwN).

19 Zur Zulässigkeit der Revision wird weiters geltend gemacht, das BVwG habe zu Unrecht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen. Mit diesem Vorbringen wird übergangen, dass das BVwG ‑ ohne dass seitdem etwa eine Zuweisung der Rechtssache an einen anderen Richter im Sinn des § 25 Abs. 7 VwGVG erfolgt wäre ‑ bereits am 21. August 2018, 28. August 2018, 20. August 2019 und 15. November 2019 eine mündliche Verhandlung durchgeführt hat. Dass die Durchführung einer neuerlichen Verhandlung erforderlich gewesen wäre, legt die Revision, die nicht aufzeigt, dass der entscheidungswesentliche Sachverhalt sich seit der Durchführung der mündlichen Verhandlung geändert hätte, nicht dar (vgl. zum Erfordernis der Darstellung der Relevanz bei Behauptung eines derartigen Mangels ‑ auch im Anwendungsbereich von Art. 47 GRC bzw. von Art. 6 EMRK ‑ etwa VwGH 12.10.2020, Ra 2020/19/0230, mwN).

20 In der Revision werden somit insgesamt keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 12. März 2021

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