VwGH Ra 2020/19/0421

VwGHRa 2020/19/042110.3.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des K M H in P, vertreten durch Mag.a Nadja Lindenthal, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Siebensterngasse 23/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. November 2020, W148 2163362‑1/14E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art133 Abs4
MRK Art3
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020190421.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 31. Dezember 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab er im Wesentlichen an, Probleme mit den Taliban gehabt zu haben.

2 Mit Bescheid vom 19. Juni 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3 Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) wies mit dem angefochtenen Erkenntnis die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers ‑ nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ‑ als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

4 Begründend führte das BVwG zur Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten aus, dass dem mobilen, jungen, arbeits‑ und leistungsfähigen Revisionswerber zwar eine Rückkehr in seinen Heimatort nicht zugemutet werden könne. Ihm stehe jedoch vor dem Hintergrund der getroffenen Feststellungen zur Lage in Afghanistan ‑ insbesondere auch unter Berücksichtigung der Auswirkungen der Covid‑19‑Pandemie ‑ eine innerstaatliche Fluchtalternative (IFA) in den Städten Mazar‑e Sharif und Herat offen.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

6 Die vorliegende Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG hätte insbesondere zur Lage der als IFA genannten Städte aktuelle Informationen zum Zeitpunkt der Entscheidung einholen müssen. Im angefochtenen Erkenntnis fänden sich zahlreiche Feststellungen, die eindeutig zeigen würden, dass sich die Lage im Herkunftsstaat vor allem auf Grund der Covid‑19‑Pandemie sehr rasch ändern würde und bereits zum Zeitpunkt der Aktualisierung des vom BVwG herangezogenen Länderberichts im Juli 2020 von einer weiteren Verschlechterung, insbesondere der Versorgungslage ausgegangen worden sei. Hotels, Teehäuser und ähnliche Orte seien geschlossen und damit die Wohnraumbeschaffung für einen Rückkehrer ohne lokales Netzwerk massiv eingeschränkt, wenn nicht sogar unmöglich. Auch werde die Versorgungslage als äußerst volatil und besorgniserregend eingestuft, die meisten Tagelöhner seien ohne Arbeit, die ausreichende Versorgung mit Nahrungsmitteln und Trinkwasser sei fraglich, wobei Rückkehrer ohne lokales Netzwerk viel stärker betroffen seien als bereits ansässige Bewohner. Das BVwG hätte sich daher jedenfalls auch mit einem (näher genannten) Themenbericht der Staatendokumentation vom September 2020 auseinandersetzen und seiner Entscheidung zugrunde legen müssen. Diese Verfahrensfehler seien relevant, weil das BVwG unter Heranziehung aktueller Länderberichte zu dem Schluss hätte kommen müssen, dass der Revisionswerber bei einer Rückkehr nach Afghanistan jedenfalls in eine ausweglose Lebenssituation geraten und real Gefahr laufen würde, eine Verletzung seiner durch Art. 2 und 3 EMRK oder der durch die Protokolle 6 oder 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden, weil es ihm in der derzeitigen Lage als Rückkehrer nicht möglich sein werde, in absehbarer Zeit Arbeit zu finden und Zugang zu geeignetem Wohnraum und Wasser zu haben. Das BVwG hätte zum Schluss kommen müssen, dass derzeit bis auf weiteres in den als IFA genannten Städten die notwendige Infrastruktur nicht gegeben sei und eine reale Erwerbsmöglichkeit für Rückkehrer nicht bestehe.

7 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haben die Asylbehörden bei den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat als Grundlage für die Beurteilung des Vorbringens von Asylwerbern die zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten und insbesondere Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten Organisationen in die Entscheidung einzubeziehen. Das gilt ebenso für von einem Verwaltungsgericht geführte Asylverfahren. Auch das BVwG hat daher seinem Erkenntnis die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde zu legen. Bei instabilen und sich rasch ändernden Verhältnissen im Herkunftsstaat können auch zeitlich nicht lange zurückliegende Berichte ihre Aktualität bereits verloren haben. Es reicht aber nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel aufzuzeigen (vgl. VwGH 13.1.2021, Ra 2020/19/0200, mwN).

8 Das BVwG hat im vorliegenden Fall Feststellungen zur Covid‑19‑Pandemie in Afghanistan bzw. den Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und die Versorgungslage getroffen. Soweit die Revision diesbezüglich die Aktualität der Feststellungen rügt, legt sie nicht dar, welche Tatsachen sich hinsichtlich der Auswirkung der Covid‑19‑Pandemie konkret aus der Heranziehung neuerer Länderberichte ergeben hätten. Die Revision vermag daher eine Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht aufzuzeigen.

Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes reicht nämlich eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz‑ und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu verneinen (vgl. VwGH 1.10.2020, Ra 2020/19/0196, mwN). Im Besonderen hinsichtlich der aktuellen Covid‑19‑Pandemie in Afghanistan hat der Verwaltungsgerichtshof festgehalten, dass es für sich nicht entscheidungswesentlich ist, wenn sich für einen Asylwerber infolge der seitens afghanischer Behörden zur Verhinderung der Verbreitung von SARS‑CoV‑2 und von Erkrankungen an Covid‑19 gesetzten Maßnahmen die Wiedereingliederung im Heimatland wegen schlechterer wirtschaftlicher Aussichten schwieriger als vor Beginn dieser Maßnahmen darstellt, weil es darauf bei der Frage, ob im Fall seiner Rückführung eine Verletzung des Art. 3 EMRK zu gewärtigen ist, nicht ankommt, solange diese Maßnahmen nicht dazu führen, dass die Sicherung der existenziellen Grundbedürfnisse als nicht mehr gegeben anzunehmen wäre. Entsprechendes gilt auch für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative (vgl. VwGH 13.1.2021, Ra 2020/14/0287 bis 0288, mwN).

9 Die Revision vermag mit ihrem Vorbringen zur durch die Covid‑19‑Pandemie bewirkten schwierigeren wirtschaftlichen Lage in Afghanistan ‑ die Revision verweist insbesondere auf die Schließung von Teehäusern und Hotels sowie auf die finanzielle Situation von Tagelöhnern ‑ nicht aufzuzeigen, dass die vorliegende Einzelfallbeurteilung des BVwG, wonach dem Revisionswerber, der mobil, jung, arbeits- und leistungsfähig sei, über Berufserfahrung verfüge und mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut sei, zumindest anfänglich familiäre Unterstützung (davon abgesehen jedoch auch Rückkehrhilfe) in Anspruch nehmen könne, auch unter Beachtung der Auswirkungen der Covid‑19‑Pandemie in den Städten Mazar‑e Sharif und Herat, auch wenn er dort über keine sozialen Anknüpfungspunkte verfüge und die örtlichen Gegebenheiten nicht kenne, die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative zumutbar sei, unvertretbar wäre bzw. das BVwG in diesem Zusammenhang maßgebliche Umstände unbeachtet gelassen hätte (vgl. zu einer ähnlichen Sachverhaltskonstellation VwGH 18.12.2020, Ra 2020/20/0416, mwN).

Wenn die Revision in diesem Zusammenhang vorbringt, das BVwG wäre bei ausreichenden Feststellungen zur Größe der Familie des Revisionswerbers zum Schluss gekommen, dass es auf Grund der Größe der Landwirtschaft und der Familie nicht wahrscheinlich erscheine, dass die Familie ihn tatsächlich finanziell unterstützen könne, übersieht sie, dass die Argumentation des BVwG nicht ausschließlich auf der Möglichkeit der Unterstützung des Revisionswerbers durch seine Familie beruhte, sondern ‑ wie dargestellt ‑ sowohl eine Existenzsicherung durch Hilfs‑ und Gelegenheitsarbeiten als auch die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe in diese miteinbezog.

10 Auch mit dem Verweis auf einen näher bezeichneten Bericht wird die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht dargetan, weil diesem lediglich allgemeine Informationen zu Afghanistan zu entnehmen sind und ein konkreter Bezug auf die als IFA angenommenen Städte Mazar‑e Sharif und Herat nicht ersichtlich ist.

11 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 10. März 2021

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