European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020180400.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger Somalias, stellte am 21. April 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2 Das aufgrund einer Säumnisbeschwerde zuständig gewordene Bundesverwaltungsgericht (BVwG) wies diesen Antrag zunächst mit Erkenntnis vom 13. November 2018 zur Gänze ab, erteilte dem Mitbeteiligten keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung des Mitbeteiligten nach Somalia zulässig sei, und setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.
3 Dieses Erkenntnis hob der Verwaltungsgerichtshof aufgrund der vom Mitbeteiligten erhobenen außerordentlichen Revision mit Erkenntnis vom 16. Juli 2020, Ra 2019/19/0419, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf. Maßgeblich für die Aufhebung war, dass das BVwG seine Begründung, weshalb es das Fluchtvorbringen des Mitbeteiligten als nicht glaubhaft erachtete, tragend darauf gestützt hatte, dass dieser eine Verfolgung durch die Al‑Shabaab‑Miliz nicht bereits in der Erstbefragung erwähnt habe, ohne vor dem Hintergrund der hg. Rechtsprechung zur Erstbefragung auf das Vorbringen des Mitbeteiligten, seine Erstbefragung sei sehr kurz ausgefallen und der vernehmende Polizist habe ihn auf die spätere nähere Einvernahme verwiesen, einzugehen. Zudem habe sich das BVwG in seinen beweiswürdigenden Erwägungen darauf gestützt, dass der Mitbeteiligte problemlos und legal über den internationalen Flughafen in Mogadischu ausgereist sei, ohne dessen Vorbringen, wonach er dabei unter Verwendung eines gefälschten Passes ausgereist sei, zu würdigen. Damit habe das BVwG seine Begründungspflicht verletzt.
4 Mit dem nunmehr angefochtenen, im zweiten Rechtsgang erlassenen Erkenntnis gab das BVwG dem Antrag des Mitbeteiligten auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten statt, stellte gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 fest, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme, und erklärte die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof für nicht zulässig.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA), deren Zulässigkeit zusammengefasst damit begründet wird, dass das BVwG die Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründungspflicht und zur Erlassung von Ersatzentscheidungen verletzt habe, weil es in seinem Erkenntnis keine Tatsachenfeststellungen, keine nachvollziehbare Beweiswürdigung sowie keine rechtliche Beurteilung getroffen habe.
6 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er auf das Desinteresse der Amtspartei am bisherigen Verfahren verwies (Übergang der Entscheidungsbefugnis auf das BVwG nach Säumnisbeschwerde; keine Teilnahme der Behörde an der mündlichen Verhandlung).
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
8 Die Amtsrevision ist aus dem genannten Grund zulässig und begründet.
9 Zur Begründungspflicht der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG hat der Verwaltungsgerichtshof allgemein bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. etwa VwGH 17.12.2020, Ra 2020/18/0177, mwN).
10 Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach festgehalten, dass die Herstellung des der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustands iSd § 63 VwGG ‑ wenn die Aufhebung eines Erkenntnisses wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erfolgt, weil es das Verwaltungsgericht unterlassen hat, die für die Beurteilung des Rechtsfalls wesentlichen Sachverhaltsermittlungen zu treffen ‑ darin besteht, dass das Verwaltungsgericht nunmehr jene Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens durchführt, die eine erschöpfende Beurteilung des maßgebenden Sachverhalts ermöglichen (vgl. VwGH 27.11.2020, Ra 2020/03/0086, mwN; VwGH 18.2.2021, Ra 2020/18/0516).
11 Diesen Anforderungen wird das angefochtene Erkenntnis nicht gerecht.
12 Das BVwG, welches im ersten Rechtsgang davon ausging, dass das Fluchtvorbringen des Mitbeteiligten nicht glaubhaft sei, legte seinem nunmehr zum gegenteiligen Ergebnis kommenden Erkenntnis im zweiten Rechtsgang ‑ abgesehen von Negativfeststellungen zur Identität des Mitbeteiligten ‑ keinerlei Feststellungen oder eine diesbezügliche Beweiswürdigung zugrunde. Die rechtliche Beurteilung erschöpft sich in einem Verweis auf das (allerdings lediglich Verfahrensfehler im ersten Rechtsgang aufzeigende) aufhebende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. Juli 2020, Ra 2019/19/0419.
13 Damit ist das angefochtene Erkenntnis jedoch grob fehlerhaft und einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof nicht zugänglich, weil es sich in jeglicher Hinsicht als unzureichend erweist, um beurteilen zu können, weshalb das BVwG nunmehr davon ausging, dass der Mitbeteiligte eine asylrelevante Verfolgung habe glaubhaft machen können.
14 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Wien, am 23. Juni 2021
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