VwGH Ra 2020/18/0008

VwGHRa 2020/18/000824.1.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des M A, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Juni 2019, W169 2156001-1/14E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §52 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180008.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber ist Staatsangehöriger Afghanistans, stammt aus Mazar-e Sharif und stellte am 19. November 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, sein Bruder sei von unbekannten Personen entführt worden, die vom Vater Lösegeld gefordert hätten. Da der Vater dieses Geld nicht bezahlen habe können, sei der Bruder getötet und weiters damit gedroht worden, den Revisionswerber ebenfalls zu entführen.

2 Mit Bescheid vom 19. April 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass eine Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei und legte eine Frist von vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise fest.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen gerichtete Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Die Revision wurde vom Verwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.

4 Begründend führte das BVwG aus, das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers sei aus näher dargestellten Gründen nicht glaubhaft. Selbst bei Wahrunterstellung des Fluchtvorbringens stehe dem Revisionswerber eine innerstaatliche Fluchtalternative in Herat zur Verfügung. Es sei ihm auch der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen, da ihm unter Berücksichtigung der allgemeinen Gegebenheiten und seiner persönlichen Umstände eine Rückkehr in seine Herkunftsstadt Mazare Sharif möglich sei. Betreffend die Rückkehrentscheidung erwog das BVwG, dass fallbezogen die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung gegenüber den privaten Interessen des Revisionswerbers am Verbleib im Bundesgebiet überwiegen würden. 5 Mit Beschluss vom 24. September 2019, E 2766/2019-7, wies der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG ab und trat mit Beschluss vom 7. November 2019, E 2766/2019-9, die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

6 Gegen das Erkenntnis des BVwG wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit im Wesentlichen geltend gemacht wird, das BVwG habe veraltete Länderberichte herangezogen und sei dem Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens ohne nähere Begründung nicht nachgekommen. Das BVwG habe auch nicht ausreichend begründet, warum es das Vorbringen des Revisionswerbers als nicht glaubhaft erachte und dieses weder mit den eigenen noch mit den vorgebrachten Länderberichten abgeglichen. Teilweise fehle eine Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Revisionswerbers. Es beziehe sich entgegen eigener Ausführungen im gesamten Erkenntnis nicht auf die UNHCR-Richtlinien und habe auch nicht begründet, warum dem Revisionswerber in Herat oder Mazar-e Sharif keine Verletzung von Art. 3 EMRK drohe. Zudem sei entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK durchgeführt worden. 7 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 11 Die Zulässigkeit einer Revision setzt neben einem eine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufwerfenden Verfahrensmangel voraus, dass die Revision von der Lösung von dieser geltend gemachten Rechtsfrage abhängt. Davon kann im Zusammenhang mit einem Verfahrensmangel aber nur dann ausgegangen werden, wenn auch die Relevanz des Mangels für den Verfahrensausgang dargetan wird, das heißt, dass dieser abstrakt geeignet sein muss, im Falle eines mängelfreien Verfahrens zu einer anderen - für den Revisionswerber - günstigeren Sachverhaltsgrundlage zu führen (vgl. VwGH 18.9.2019, Ra 2019/18/0338, mwN).

12 Soweit die Revision erkennbar die mangelnde Aktualität und Vollständigkeit der herangezogenen Länderinformationen rügt, zeigt sie nicht auf, welche relevanten Feststellungen das BVwG unterlassen hätte. Im Übrigen ist eine mangelnde Aktualität auch nicht ersichtlich, zumal die dem Erkenntnis zugrunde gelegten Berichte die aktuellen Kurzinformationen zur Lage im Herkunftsstaat bis zum 26. März 2019 beinhalten.

13 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in der Unterlassung einer Beweisaufnahme dann kein Verfahrensmangel gelegen, wenn das von der Partei im Beweisantrag genannte Beweisthema unbestimmt ist (vgl. VwGH 5.6.2019, Ra 2019/18/0192, mwN). Beweisanträge dürfen weiters dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel (ohne unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung) untauglich ist. Ob eine Beweisaufnahme in diesem Sinn notwendig ist, unterliegt der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichts. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. VwGH 9.9.2019, Ra 2019/18/0169; 21.3.2018, Ra 2018/18/0033, mwN).

14 Zur gerügten unterlassenen Beiziehung eines länderkundlichen Sachverständigen ist auszuführen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Verwaltungsgericht in der Regel einen Sachverständigen beizuziehen hat, wenn ihm dies notwendig erscheint (vgl. VwGH 21.3.2018, Ra 2017/18/0474, mwN). Die Beiziehung eines Sachverständigen ist regelmäßig dann "notwendig" iSd § 52 Abs. 1 AVG, wenn zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts besonderes Fachwissen erforderlich ist, über das das entscheidende Organ selbst nicht verfügt (vgl. VwGH 23.11.2017, Ra 2016/11/0160). Der Revisionswerber legt in seinen Ausführungen zur Zulässigkeit in keiner Weise dar, welche fachkundigen Schlussfolgerungen erforderlich wären, die nur ein Sachverständiger zu ziehen in der Lage wäre. Eine Notwendigkeit ist im Übrigen auch nicht ersichtlich, zumal das BVwG dem Fluchtvorbringen bereits aufgrund von Widersprüchlichkeiten und unkonkreten Angaben schlüssig die Glaubwürdigkeit absprach.

15 Wenn die Revision die Beweiswürdigung des BVwG beanstandet, ist ihr zu entgegnen, dass eine im Einzelfall vorgenommene, nicht als grob fehlerhaft erkennbare Beweiswürdigung im Allgemeinen keine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufwirft (vgl. VwGH 4.11.2019, Ra 2019/18/0330, mwN). Eine solche Mangelhaftigkeit der Beweiswürdigung wird in der Revision nicht aufgezeigt und ist auch nicht ersichtlich, zumal es nicht zutrifft, dass das BVwG nicht begründet hätte, aus welchen Gründen es das Vorbringen des Revisionswerbers als nicht nachvollziehbar und daher nicht glaubhaft erachte.

16 Darüber hinaus gelingt es der Revision auch nicht, der - für sich tragfähigen - Alternativbegründung, wonach dem Revisionswerber auch bei Wahrunterstellung seines Fluchtvorbringens in der Stadt Herat eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehe, ein substantiiertes und konkretes Vorbringen entgegenzuhalten. 17 Entgegen dem Revisionsvorbringen hat sich das BVwG mit der behaupteten Verfolgungsgefahr aufgrund der Situation des Revisionswerbers als Rückkehrer aus Europa auseinandergesetzt und eine solche vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen verneint. 18 Soweit die Revision geltend macht, dass die Mitarbeit des Revisionswerbers in einer Kirche unberücksichtigt geblieben sei, zeigt sie indes vor dem eigenen Vorbringen des Revisionswerbers im Verfahren vor dem BVwG, dass seine Arbeit in der Kirche daraus bestehe, Wasser zu bringen und zu putzen, nicht auf, dass das BVwG bei Vermeidung dieses Verfahrensfehlers zu einem für den Revisionswerber günstigeren Ergebnis gelangt wäre.

19 Zum subsidiären Schutz hat das BVwG aktuelle Berichte zur Lage in Afghanistan sowie die persönlichen Umstände des Revisionswerbers berücksichtigt. Es hat sich entgegen dem Revisionsvorbringen mit den Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 in gebotener Weise auseinander gesetzt (vgl. dazu etwa VwGH 14.3.2019, Ra 2019/18/0079, mwN). Zudem hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen, dass die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK nicht ausreichend ist. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, dass exzeptionelle Umstände vorliegen (vgl. VwGH 17.9.2019, Ra 2019/18/0273, mwN). Solche Umstände zeigt die Revision jedoch nicht auf. Ausgehend davon ist die Einschätzung des BVwG, dem Revisionswerber sei eine Rückkehr in seine Herkunftsprovinz möglich, am Prüfmaßstab des Verwaltungsgerichtshofes nicht zu beanstanden.

20 Soweit sich die Revision im Zusammenhang mit der Rückkehrentscheidung gegen die Interessenabwägung des BVwG nach Art. 8 EMRK wendet, ist darauf hinzuweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - keine Rechtsfragen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufwirft (vgl. VwGH 18.11.2019, Ra 2019/18/0439, mwN). Mit dem - nicht zutreffenden - Vorbringen, das BVwG habe gar keine Interessenabwägung durchgeführt, zeigt die Revision jedenfalls nicht auf, dass die Interessenabwägung, in deren Rahmen die wesentlichen Umstände berücksichtigt worden sind, unvertretbar wäre.

21 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Wien, am 24. Jänner 2020

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