European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020140546.L00
Spruch:
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind miteinander verheiratet, die Dritt‑ bis Sechstrevisionswerber sind ihre minderjährigen Töchter. Die revisionswerbenden Parteien sind Staatsangehörige Afghanistans. Sie stellten Anträge auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (die erst‑ bis fünftrevisionswerbende Partei am 17. Jänner 2016; für die am 26. April 2018 in Österreich geborene Sechstrevisionswerberin wurde der Antrag am 25. Juni 2018 gestellt). Der Erstrevisionswerber begründete seinen Antrag mit einer Verfolgung durch die Taliban. Für die Zweitrevisionswerberin und die gemeinsamen Kinder wurden keine darüber hinausgehenden (eigenen) Fluchtgründe geltend gemacht. Im Zuge des Verfahrens stützte sich die Zweitrevisionswerberin auch auf eine Verfolgungsgefahr aufgrund ihrer „westlichen Orientierung“. Die minderjährigen Dritt‑ bis Sechstrevisionswerberinnen ‑ so ein weiteres später erstattetes Vorbringen ‑ könnten in Afghanistan kein selbstbestimmtes, freies Leben führen.
2 Mit den Bescheiden je vom 10. September 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diese Anträge hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ab. Allerdings erkannte die Behörde den revisionswerbenden Parteien im Hinblick auf eine im Herkunftsstaat unzureichende medizinische Behandlung und ärztliche Versorgung der Drittrevisionswerberin aufgrund näher genannter körperlicher (orthopädischer und pulmologischer) Beschwerden sowie die Bestimmungen über das Familienverfahren den Status von subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihnen befristete Aufenthaltsberechtigungen.
3 Die gegen die Nichtzuerkennung von Asyl gerichteten Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht mit den angefochtenen Erkenntnissen nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG jeweils nicht zulässig sei.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 Da der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Sinn des Art. 133Abs. 4 B‑VG nur im Rahmen der dafür in der Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG gesondert vorgebrachten Gründe zu überprüfen hat, ist er weder verpflichtet, solche anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit der Revision hätten führen können, aufzugreifen. Dementsprechend erfolgt nach der Rechtsprechung die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision durch den Verwaltungsgerichtshof ausschließlich anhand des Vorbringens in der Zulassungsbegründung. In der gesonderten Zulassungsbegründung ist konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht bzw. konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat (vgl. VwGH 19.1.2012, Ra 2020/14/0467, mwN).
8 Zur Begründung der Zulässigkeit der Revisionen wird vorgebracht, das Bundesverwaltungsgericht habe seine amtswegigen Ermittlungspflichten verletzt. Es hätte Länderinformationen zu einem drohenden sozialen Stigma aufgrund der angeborenen Behinderung der Drittrevisionswerberin einholen müssen. Ebenso habe sich das Bundesverwaltungsgericht nicht damit auseinandergesetzt, dass nach den getroffenen Feststellungen den minderjährigen Revisionswerberinnen ohne Schulbildung, welche in von den Taliban beherrschten Gebieten - wie der Heimatprovinz der revisionswerbenden Parteien - unmöglich sei, eine frühe Verheiratung drohe.
9 Soweit die Revision Verfahrensmängel im Zusammenhang mit der Berücksichtigung von (weiteren) Länderberichten geltend macht, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach es nicht ausreicht, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel aufzuzeigen (vgl. VwGH 27.11.2018, Ra 2018/14/0187, mwN). Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt (in Bezug auf Feststellungsmängel) voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung der Verfahrensfehler als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 18.5.2020, Ra 2020/20/0062, mwN).
10 Die Frage, ob das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungspflichten weitere Ermittlungsschritte setzen muss, unterliegt einer einzelfallbezogenen Beurteilung. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn die Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 7.9.2020, Ra 2020/01/0273, mwN).
11 Mit dem pauschal gehaltenen Zulässigkeitsvorbringen, das Bundesverwaltungsgericht hätte, sofern es sich nach Einholung entsprechender Länderinformationen mit dem drohenden sozialen Stigma aufgrund der angeborenen Behinderung der Drittrevisionswerberin auseinandergesetzt hätte, den revisionswerbenden Parteien den Status von Asylberechtigten zuerkannt, wird die Relevanz des behaupteten Ermittlungsmangels nicht dargelegt. Dass der physische Gesundheitszustand der Drittrevisionswerberin derart sei, dass dieser eine asylrelevante Verfolgung drohe, wurde zudem erstmals in den Revisionen ausdrücklich thematisiert (vgl. dazu, dass Rechtsausführungen dann nach § 41 VwGG im Revisionsverfahren dem Neuerungsverbot unterliegen, wenn zu deren Beurteilung zusätzliche Sachverhaltsfeststellungen erforderlich wären, etwa VwGH 29.6.2020, Ra 2020/16/0066, mwN). Anhand des Zulässigkeitsvorbringens ist mit Blick auf das Vorbringen in den vorangegangenen Verfahren eine grob fehlerhafte Beurteilung des Verwaltungsgerichts bezüglich des Umfangs der konkret gebotenen, amtswegig durchzuführenden Ermittlungen nicht ersichtlich.
12 Von den revisionswerbenden Parteien werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 12. März 2021
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