Normen
AVG §58
AVG §60
VwGG §42 Abs2 Z3
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §29 Abs1
VwGVG 2014 §29 Abs2
VwGVG 2014 §29 Abs4
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020140520.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 16. April 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005. Er brachte vor, dass seine Herkunftsregion von den Taliban angegriffen worden sei sowie sich für das Christentum zu interessieren.
2 Mit Bescheid vom 8. Mai 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die belangte Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit am 22. Jänner 2020 mündlich verkündetem und am 6. Mai 2020 schriftlich ausgefertigtem Erkenntnis nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
4 Mit Beschluss vom 22. September 2020, E 645/2020‑9, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Beschwerde ab und trat diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Die vorliegende Revision führt zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst aus, das Bundesverwaltungsgericht habe die Beweiswürdigung einseitig zu Lasten des Revisionswerbers vorgenommen. Es habe sprachliche Unschärfen zum Nachteil des Revisionswerbers ausgelegt und Unzulänglichkeiten in den Aussagen der Zeugen aufgegriffen, ohne zu versuchen diese durch gezieltes Nachfragen aufzuklären. Ungeachtet der Angaben des Revisionswerbers, dass er zum evangelischen Glauben konvertiert sei, habe das Gericht Ermittlungsschritte dahingehend angestellt, ob der Revisionswerber Wissen über den römisch‑katholischen Glauben habe oder ob religiöse Aktivitäten gesetzt worden seien, die für den römisch‑katholischen Glauben relevant seien. Eine Auseinandersetzung mit dem weiteren fluchtrelevanten Vorbringen, wonach der Revisionswerber vom Islam abgefallen sei, sei der Niederschrift des mündlich verkündeten Erkenntnisses nicht zu entnehmen. Die Entscheidungsgründe im Protokoll seien daher grob lückenhaft ergangen und dieser Mangel könne auch nicht durch Ergänzung der schriftlichen Ausfertigung beseitigt werden.
9 Mit diesem Zulassungsvorbringen gelingt es der Revision nicht, Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG aufzuzeigen:
10 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung der vorliegenden Beweismittel, etwa von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten, zu ermitteln ist. In Bezug auf die asylrechtliche Relevanz einer Konversion zum Christentum ist nicht entscheidend, ob der Religionswechsel durch die Taufe erfolgte oder bloß beabsichtigt ist. Wesentlich ist vielmehr, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines (behaupteten) inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden (vgl. etwa VwGH 10.9.2020, Ra 2020/14/0402; 12.8.2020, Ra 2020/14/0322, jeweils mwN).
11 Maßgebliche Indizien für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel sind beispielsweise das Wissen über die neue Religion, die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, welche sich etwa in regelmäßigen Gottesdienstbesuchen oder sonstigen religiösen Aktivitäten manifestiert, eine mit dem Religionswechsel einhergegangene Verhaltens‑ bzw. Einstellungsänderung des Konvertiten sowie eine schlüssige Darlegung der Motivation und des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel (vgl. VwGH 21.10.2020, Ra 2020/18/0284; jeweils mwN).
12 Soweit sich das Zulässigkeitsvorbringen der Revision gegen die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts wendet und einzelne Begründungselemente der umfassenden Beweiswürdigung herausnimmt und unter Hinweis auf das Vorliegen behaupteter Begründungs‑ und Ermittlungsmängel zu relativieren versucht, ist ihr entgegenzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig und zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 16.9.2020, Ra 2020/14/0389, mwN).
13 Das Bundesverwaltungsgericht gab dem Revisionswerber im Rahmen der Verhandlung ausführlich Gelegenheit, sich zu seinen Fluchtgründen sowie insbesondere zu der von ihm behaupteten Konversion zum Christentum zu äußern und vernahm dazu auch mehrere Zeugen. Es stützte seine Beweiswürdigung auf den persönlichen Eindruck vom Revisionswerber und erachtete das erstattete Vorbringen zur Konversion unter Berücksichtigung der Zeugenaussagen auf Grund von inneren Widersprüchen und oberflächlichen Angaben als nicht glaubhaft. Entgegen den Ausführungen in der Revision setzte sich das Verwaltungsgericht auch mit seinem Wechsel von der römisch‑katholischen Kirche zur einer protestantischen Kirche ausreichend auseinander. Es stützte sich auch nicht tragend auf fehlendes christliches Wissen des Revisionswerbers, sondern zog die näher beleuchteten Punkte seines Unwissens bloß als weitere Argumente gegen die Behauptung, überzeugter Christ zu sein, heran. Die Revision, die lediglich einzelne beweiswürdigende Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts aufgreift, zeigt damit nicht auf, dass die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts insgesamt als unvertretbar zu werten wäre bzw. sich die weiteren Erwägungen als nicht tragfähig erweisen würden.
14 Ausgehend davon vermag die Revision nicht darzulegen, dass das angefochtene Erkenntnis von den in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aufgestellten Leitlinien bei der Ermittlung eines behaupteten Religionswechsels abweiche und dem Bundesverwaltungsgericht insoweit (vom Verwaltungsgerichtshof wahrzunehmende) grobe Ermittlungsmängel unterlaufen wären.
15 Die Nichteinhaltung der Bestimmungen über die mündliche Verkündung nach § 29 Abs. 2 VwGVG 2014 („mit den wesentlichen Entscheidungsgründen“), über die Begründung verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen nach den §§ 58 und 60 AVG iVm § 17 VwGVG 2014, und/oder über die Verpflichtung zur Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung nach § 29 Abs. 4 VwGVG 2014 stellt eine Verletzung von Verfahrensvorschriften dar. Für eine Aufhebung eines Erkenntnisses oder Beschlusses wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften ist es nach § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG weiterhin erforderlich, dass das Verwaltungsgericht bei Einhaltung der verletzten Verfahrensvorschriften zu einem anderen Erkenntnis oder Beschluss hätte kommen können, es muss also die Relevanz des Verfahrensfehlers vorliegen. Ein Verfahrensmangel führt nur dann zur Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, wenn das Verwaltungsgericht bei der Vermeidung des Mangels zu einem anderen für den Revisionswerber günstigeren Ergebnis hätte gelangen können. Der Revisionswerber hat die Entscheidungswesentlichkeit des Mangels konkret zu behaupten. Er darf sich nicht darauf beschränken, einen Verfahrensmangel (nur) zu rügen, ohne die Relevanz für den Verfahrensausgang durch ein konkretes tatsächliches Vorbringen aufzuzeigen. In der Regel wird die Relevanz von Mängeln der Begründung der mündlich verkündeten Entscheidung wegfallen, wenn eine schriftliche Ausfertigung vorliegt, die diese Mängel behebt (vgl. dazu grundlegend VwGH 23.9.2020, Ra 2019/14/0558 bis 0560, mwN).
16 Die schriftliche Ausfertigung des bekämpften Erkenntnisses wurde dem Vertreter des Revisionswerbers zugestellt, noch bevor die Revision erhoben wurde. Das Revisionsvorbringen, wonach trotz Vorliegens der schriftlichen Entscheidungsausfertigung die Mängel der mündlich verkündeten Entscheidung samt deren protokollierte Begründung nicht mehr beseitigt werden können, trifft nach dem oben Gesagten nicht zu. Der Revision gelingt es im Hinblick darauf nicht, eine Relevanz jener Begründungsmängel („Lückenhaftigkeit“) dazulegen, die sie ausschließlich den mündlich verkündeten Entscheidungsgründen anlastet.
17 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 28. Dezember 2020
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