VwGH Ra 2020/12/0042

VwGHRa 2020/12/004228.2.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma sowie Hofrätin Mag.a Nussbaumer‑Hinterauer und Hofrat Mag. Feiel als Richterin und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers MMag. Dr. Gotsbacher, über den Antrag der L S in G, vertreten durch Mag.a Petra Smutny, LL.M., Rechtsanwältin in 1150 Wien, Mariahilferstraße 167/11, betreffend 1. Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung einer Revision gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 11. Februar 2020, VGW‑171/008/8815/2018‑51, in einer Angelegenheit betreffend Ruhestandsversetzung, und 2. die Revision gegen das genannte Erkenntnis (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien), den Beschluss gefasst:

Normen

ABGB §1332
AVG §68 Abs1
B-VG Art133 Abs4
COVID-19 Begleitgesetz Vergabe 2020
COVID-19-VwBG 2020
COVID-19-VwBG 2020 §2 Abs1 Z1
COVID-19-VwBG 2020 §6 Abs2
Verwaltungsgerichtsbarkeits-Nov 2012
VwGG §26 Abs1
VwGG §30 Abs1
VwGG §34 Abs1
VwGG §46 Abs1
VwGG §46 Abs4
VwGVG 2014 §17
VwRallg
ZPO §500
ZPO §501

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020120042.L00

 

Spruch:

1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.

2. Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom 1. März 2018 wurde die Revisionswerberin (= Antragstellerin) gemäß § 68a Abs. 1 Z 1 Dienstordnung 1994 (DO 1994) in den Ruhestand versetzt. Dagegen erhob die Revisionswerberin Beschwerde. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 5. Juni 2018 wurde die dagegen von der Revisionswerberin erhobene Beschwerde vom Magistrat der Stadt Wien abgewiesen.

2 Auf Grund eines Vorlageantrags der Revisionswerberin wurde mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Wien die Beschwerde abgewiesen und die Berufungsvorentscheidung betreffend die Ruhestandsversetzung der Revisionswerberin bestätigt. Dieses Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien wurde in der mündlichen Verhandlung vom 10. Dezember 2019 verkündet, die schriftliche Ausfertigung wurde der rechtsfreundlichen Vertreterin der Revisionswerberin am 28. Februar 2020 zugestellt. Die dagegen erhobene Revision wurde am 10. Juni 2020 zur Post gegeben.

3 In der Revision wird zu deren Rechtzeitigkeit der Standpunkt vertreten, dass die Revisionsfrist gemäß § 1 iVm. § 6 des Bundesgesetzes betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID‑19 im Verwaltungsverfahren, im Verfahren der Verwaltungsgerichte sowie im Verfahren des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes (COVID‑19‑VwBG 2020) bis zum Ablauf des 30. April 2020 unterbrochen gewesen sei und mit 1. Mai 2020 neu zu laufen begonnen habe. Es sei daher die sechswöchige Revisionsfrist, die mit Ablauf des 12. Juni 2020 ende, gewahrt.

4 Am 29. September 2021 wurde der rechtsfreundlichen Vertreterin der Revisionswerberin der die Revision betreffende Verspätungsvorhalt des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. September 2021 zugestellt.

5 Mit am 12. Oktober 2021 eingelangtem Schriftsatz ‑ und somit rechtzeitig ‑ stellte die Revisionswerberin den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist. Im Wesentlichen wird in diesem Antrag vorgebracht, mangels Vorliegen einschlägiger Judikatur seien zur Prüfung der Anwendbarkeit des COVID‑19‑VwBG 2020 zunächst die Gesetzesmaterialien dazu und zu dem verwiesenen ersten COVID‑19‑JuBG konsultiert worden. Auf Grund dieser Gesetzesmaterialien und im Wiedereinsetzungsantrag zitierter Literatur sei die Rechtsvertreterin davon ausgegangen, dass „nicht nur die Fristen zur Erhebung einer Berufung gegen einen Bescheid, zur Erhebung einer Berufung gegen ein Urteil eines ordentlichen Gerichts sowie zur Erhebung einer Revision gegen ein Berufungsurteil (als Rechtsmittel in der dreistufigen ordentlichen Gerichtsbarkeit) keine ,verfahrenseinleitenden‘ Fristen bzw. Fristen zur ,Anhängigmachung‘ bei Gericht sind, sondern auch die Revision gegen ein Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes (als Rechtsmittel in der zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit)“. Unter Anführung zweier Zitate wird ausgeführt, dass auch in der Literatur von der Unterbrechung der Revisionsfrist ausgegangen worden sei, ebenso in Rechtsmittelbelehrungen von Verwaltungsgerichten. Weiters wird darauf hingewiesen, dass auf Grund der herrschenden COVID‑Pandemie (Kurzarbeit, tw. Home‑Office) eine schwierige Situation in der Kanzlei der Rechtsvertreterin geherrscht habe. Dem Rechtsirrtum der Rechtsvertreterin sei daher nur ein minderer Grad des Versehens zu Grunde gelegen, dieser habe auf einem Fehler beruht, der auch einem gewissenhaften und umsichtigen Rechtsanwalt mit möglichst effizienter Kanzleiorganisation und Kontrollmechanismen gelegentlich unterlaufen könne.

6 Zur Rechtzeitigkeit der Revision:

7 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfolgte die Erhebung der Revision nicht in einem bei ihm bereits anhängigen Verfahren, sodass die Fristunterbrechung des § 1 des Bundesgesetzes betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 im Verwaltungsverfahren, im Verfahren der Verwaltungsgerichte sowie im Verfahren des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes (Verwaltungsrechtliches COVID‑19‑Begleitgesetz - COVID‑19‑VwBG) nicht zur Anwendung gelangt. Vielmehr ist die Revisionsfrist als Frist für einen „verfahrenseinleitenden“ Antrag im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 1 iVm. § 6 Abs. 2 COVID‑19‑VwBG 2020 anzusehen und wird nach diesen Bestimmungen daher für die dort genannte Dauer nur „gehemmt“ (vgl. insbesondere den Beschluss des VwGH 17.3.2021, Ra 2020/11/0098, auf den gemäß § 43 Abs. 2 iVm. Abs. 9 VwGG verwiesen wird; sowie darauf verweisend weiters etwa VwGH 29.6.2021, Ra 2020/10/0084).

8 Für den Revisionsfall, der im Hinblick auf die wesentliche Sach‑ und Rechtslage mit jenem der zitierten Beschlüsse vergleichbar ist, folgt daraus, dass die Revisionsfrist am 28. Februar 2020 (somit noch vor Inkrafttreten des COVID‑19‑VwBG 2020 am 22. März 2020) zu laufen begann und für die Zeit vom 22. März 2020 bis 30. April 2020 gehemmt war (vgl. § 2 Abs. 1 Z 1 iVm. § 6 Abs. 2 COVID‑19‑VwBG 2020).

9 Ausgehend vom oben genannten Beginn der Revisionsfrist hätte die sechswöchige Frist des § 26 Abs. 1 VwGG mit Ablauf des 10. April 2020 geendet (§ 32 Abs. 2 AVG). Unter Hinzurechnung der 40‑tägigen Fristhemmung von 22. März 2020 bis 30. April 2020 hat die Revisionsfrist im vorliegenden Fall daher mit Ablauf des 20. Mai 2020 geendet. Die am 10. Juni 2020 zur Post gegebene Revision erweist sich daher als verspätet.

10 Zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand:

11 Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Ein minderer Grad des Versehens hindert die Wiedereinsetzung nicht.

12 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes trifft das Verschulden des Parteienvertreters die von diesem vertretene Partei, wobei an berufliche und rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist als an rechtsunkundige und bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen. Ein dem Vertreter widerfahrenes Ereignis stellt einen Wiedereinsetzungsgrund für die Partei nur dann dar, wenn dieses Ereignis für den Vertreter selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und es sich hiebei höchstens um einen minderen Grad des Versehens handelt (vgl. etwa VwGH 21.5.2019, Ra 2018/19/0406, mwN). Auch ein Rechtsirrtum kann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis darstellen, welches eine Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen kann. (vgl. etwa VwGH 25.8.2021, Ro 2020/05/0024 und 0025, mwN).

13 Mag auch aus den von der Rechtsvertreterin der Antragstellerin herangezogenen Gesetzesmaterialien kein eindeutiges Ergebnis zur Frage, ob die Revisionsfrist unterbrochen oder gehemmt wurde, abzuleiten sein, so hätte sich allerdings aus den Gesetzesmaterialien zum Bundesverfassungsgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID‑19 in Angelegenheiten des öffentlichen Auftragswesens (COVID‑19 Begleitgesetz Vergabe) ergeben, dass lediglich eine Hemmung der Revisionsfrist eintrat (vgl. den bereits zitierten Beschluss VwGH 17.3.2021, Ra 2020/11/0098).

14 Die Erhebung einer Revision hindert nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Rechtskraft des angefochtenen Erkenntnisses nicht (vgl. etwa VwGH 26.11.2015, Ro 2015/07/0018; 24.5.2016, Ra 2016/03/0050; 22.12.2016, Ra 2016/07/0102; 22.3.2019, Ra 2017/04/0111; 2.8.2019, Ra 2018/11/0017, jeweils mwN)

15 Das Revisionsmodell des Art. 133 Abs. 4 B‑VG wurde zwar nach dem Muster der §§ 500 ff ZPO gestaltet, damit muss aber nicht die Übereinstimmung der beiden Verfahrensregime in jedem Detail einhergehen. Im Übrigen hat auch der Oberste Gerichtshof bereits in seiner Entscheidung vom 24. November 2015, 1Ob 127/15f, mit ausführlicher Begründung ausgesprochen, dass sich der Gesetzgeber bei Einführung der Revision gegen Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte mit der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 zwar am Modell der ZPO orientierte, daraus aber nicht abgeleitet werden könne, dass durch die Erhebung einer außerordentlichen Revision gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts dessen Rechtskraft hinausgeschoben werden sollte (VwGH 28.7.2021, Ra 2021/05/0080).

16 Gemäß § 30 Abs. 1 erster Satz VwGG hat die Revision an den Verwaltungsgerichtshof keine aufschiebende Wirkung, das bekämpfte Erkenntnis des Verwaltungsgerichts ist somit trotz Erhebung einer Revision vollstreckbar.

17 Anders als die Einbringung der Rechtsmittel in den im Wiedereinsetzungsantrag genannten weiteren Verfahren hindert daher die Erhebung der Revision an den Verwaltungsgerichtshof die Rechtskraft des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichts oder dessen Vollstreckbarkeit nicht.

18 Im Sinne obiger Ausführungen ergaben sich im Zeitpunkt der Erhebung der vorliegenden Revision sohin hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Revision einen verfahrenseinleitenden Antrag im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 1 iVm. § 6 Abs. 2 COVID‑19‑VwBG 2020 bildet, sodass die Revisionsfrist lediglich gehemmt wurde, auch wenn in nach Revisionserhebung erschienener Literatur oder in Rechtsmittelbelehrungen von Verwaltungsgerichten teilweise eine andere Rechtsmeinung vertreten wurde. Ausgehend von dieser Sach‑ und Rechtslage bildet es allerdings ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden, wenn ein rechtskundiger Parteienvertreter bei fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob die Revisionsfrist unterbrochen oder nur gehemmt ist, die Revisionsfrist nicht derart berechnete, dass in beiden Fällen eine rechtzeitige Erhebung der Revision erfolgte (vgl. den bereits zitierten Beschluss vom 25. August 2021).

19 Dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag ist auch nicht zu entnehmen, dass auf Grund der herrschenden Covid‑Pandemie eine entsprechend frühere Erhebung der Revision nicht möglich gewesen wäre.

20 Der Wiedereinsetzungsantrag war daher gemäß § 46 Abs. 1 und Abs. 4 VwGG abzuweisen und die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Versäumung der Einbringungsfrist zurückzuweisen.

Wien, am 28. Februar 2022

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