Normen
StbG 1985 §27 Abs1
StbG 1985 §28
StbG 1985 §28 Abs1
62017CJ0221 Tjebbes VORAB
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020010029.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde in der Sache festgestellt, dass der Revisionswerber die österreichische Staatsbürgerschaft gemäß § 27 Abs. 1 StbG am 1. Mai 2007 durch den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit verloren hat (I.). Die ordentliche Revision wurde für unzulässig erklärt (II.). 2 Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, der Revisionswerber habe nach Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft am 15. Juni 1999 und Entlassung aus dem türkischen Staatsverband am 23. November 1998 die türkische Staatsangehörigkeit durch einen darauf gerichteten Antrag am 1. Mai 2007 wieder erworben. Dabei habe der Revisionswerber von der Möglichkeit nach § 28 StbG, die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft trotz Annahme einer fremden Staatsangehörigkeit aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen des Privat- und Familienlebens zu beantragen, keinen Gebrauch gemacht. Damit stehe fest, dass der Revisionswerber gemäß § 27 Abs. 1 StbG ex lege die österreichische Staatsbürgerschaft verloren habe. Die persönlichen Motive (Erbschaftsangelegenheit in der Türkei) und die etwaige Unkenntnis des Revisionswerbers über die Rechtsfolgen dieses Erwerbes seien gemäß § 27 StbG nicht maßgeblich.
3 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom 12. März 2019, C-221/17 , Tjebbes u.a., sei eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass der gemäß § 27 StbG eingetretene ex lege Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft auf der eigenen, positiven Willenserklärung des Revisionswerbers zur Wiederannahme der türkischen Staatsangehörigkeit beruhe und der Revisionswerber von der Möglichkeit der Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft nach § 28 StbG keinen Gebrauch gemacht habe. Schon aus diesem Grund könne der Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft nicht als unverhältnismäßig angesehen werden. 4 Ungeachtet dessen lägen auch sonst keinerlei Umstände vor, die den Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft als unverhältnismäßig erscheinen ließen. So verfüge der Revisionswerber über eine befristete Niederlassungsbewilligung mit unbeschränktem Zugang zum Arbeitsmarkt, dürfe sich daher weiterhin im Bundesgebiet aufhalten und seiner selbständigen Erwerbstätigkeit (als Automechaniker) nachgehen. Darüber hinaus kämen für den Revisionswerber weitere, näher bezeichnete Aufenthaltstitel in Betracht. Für das Verwaltungsgericht sei aus näher bezeichneten Umständen nicht ersichtlich, dass der Revisionswerber auf Grund des Verlustes der österreichischen Staatsbürgerschaft familiäre Nachteile erleiden würde. Auch eine Entziehung der Gewerbeberechtigung sei konkret nicht zu befürchten.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 9 Die Revision bringt vor, sie sei auf Grund der Abweichung des angefochtenen Erkenntnisses "entgegen der gesicherten Rechtsprechung des VwGH, gerade was die Abwägung der persönlichen und familiären Interessen nach Art. 8 EMRK, die Judikatur des EuGH und die gesetzliche Vorgabe einer richtigen Ermessensentscheidung gem. § 28 StbG (allenfalls analog) eingeräumten Ermessensentscheidung betrifft" zulässig. Das Unterlassen der vorgesehenen Ermessensentscheidung bewirke eine Abweichung des angefochtenen Erkenntnisses "von der Judikatur des VwGH". Die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtes stehe im Widerspruch zur Judikatur des EuGH in der Rechtssache C-221/17 . Danach wäre eine Verhältnismäßigkeitsprüfung notwendig gewesen. Die entsprechende soziale Integration des Revisionswerbers gemäß Art. 8 EMRK sei im vorliegenden Fall "absolut gegeben".
10 In der gesonderten Zulassungsbegründung ist konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht bzw. konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat. Lediglich pauschale Behauptungen erfüllen diese Voraussetzungen nicht (vgl. etwa VwGH 6.2.2020, Ra 2019/14/0325, mwN).
11 Ausgehend vom festgestellten Vorliegen der Voraussetzungen für den Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 27 Abs. 1 StbG und dem für den Revisionswerber damit verbundenen gleichzeitigen Verlust des Unionsbürgerstatus ist nach der Rechtsprechung des EuGH vom 12. März 2019 in der Rechtssache C- 221/17 , Tjebbes u.a., von der zuständigen nationalen Behörde und gegebenenfalls dem nationalen Gericht eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen (vgl. jüngst VwGH 27.2.2020, Ra 2020/01/0050, mwN).
12 Eine solche Verhältnismäßigkeitsprüfung wurde vom Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf die zitierte Rechtsprechung des EuGH auch durchgeführt.
13 Zu den Kriterien einer solchen unionsrechtlich gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung kann gemäß § 43 Abs. 2 iVm Abs. 9 VwGG auf die Begründung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Februar 2020, Ra 2020/01/0022, Rn. 21 - 26, verwiesen werden. Demnach hält der Verwaltungsgerichtshof neben der vom Verfassungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 17. Juni 2019, E 1302/2019, vertretenen verfassungsrechtlichen Sicht (weiterhin) eine Verhältnismäßigkeitsprüfung nach den Kriterien des EuGH in der Rechtssache Tjebbes, u.a., für unionsrechtlich geboten. Eine solche unionsrechtlich gebotene Prüfung erfordert eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles durchgeführte Gesamtbetrachtung. Bei einer solchen Gesamtbetrachtung wird jedoch regelmäßig der vom Verfassungsgerichtshof aus verfassungsrechtlicher Sicht angeführte Umstand, dass der Betroffene die ihm eingeräumte Möglichkeit zur Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft (nach § 28 Abs. 1 StbG) nicht wahrgenommen hat, von maßgeblicher Bedeutung sein. Dieser Umstand entbindet das Verwaltungsgericht aber nicht von der unionsrechtlich gebotenen Gesamtbetrachtung, ob fallbezogen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass die Rücknahme der österreichischen Staatsbürgerschaft ausnahmsweise unverhältnismäßig ist (vgl. auch hiezu VwGH 27.2.2020, Ra 2020/01/0050, mwN.
14 Die Revision lässt mit ihrem pauschalen Vorbringen nicht erkennen, dass das Verwaltungsgericht von diesen Leitlinien der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist. 15 Soweit die Revision moniert, das Verwaltungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass der Revisionswerber triftige Gründe gehabt habe, die türkische Staatsangehörigkeit wieder anzunehmen, genügt es auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach ein Irrtum über die Auswirkungen des gewollten Erwerbs einer fremden Staatsangehörigkeit - selbst wenn er unverschuldet wäre - die Rechtswirksamkeit eines auf den Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit gerichteten Antrages im Sinne des § 27 Abs. 1 StbG nicht zu beseitigen vermag (vgl. etwa VwGH 28.2.2019, Ra 2019/01/0040, mwN).
16 Der Behauptung, es sei "in richtiger rechtlicher Interpretation des vorliegenden Sachverhaltes" davon auszugehen, dass im konkreten Fall kein automatischer Verlust der Staatsangehörigkeit eingetreten sei bzw. ein solcher Verlust durch Rücklegung der türkischen Staatsangehörigkeit wieder "geheilt" sei, ist entgegenzuhalten, dass selbst eine nachträgliche Bewilligung der Beibehaltung (der österreichischen Staatsbürgerschaft nach § 28 StbG) ins Leere geht und den bereits eingetretenen Verlust der Staatsbürgerschaft nicht rückgängig zu machen vermag (vgl. VwGH 12.12.2019, Ra 2018/01/0378, mwN). 17 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 11. März 2020
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