Normen
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §56
AVG §59 Abs1
AVG §66 Abs4
AVG §68 Abs2
AVG §68 Abs2 idF 2013/I/033
B-VG Art130 Abs1 Z1
EURallg
FrPolG 2005 §52 Abs2 Z2
FrPolG 2005 §52 Abs9
FrPolG 2005 §52 Abs9 idF 2017/I/145
FrPolG 2005 §53 Abs1
FrPolG 2005 §53 Abs3
FrPolG 2005 §53 Abs3 Z1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §27
VwGVG 2014 §28
VwRallg
32008L0115 Rückführungs-RL Art11 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019210146.L00
Spruch:
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner Einreise in das Bundesgebiet am 27. Juli 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2 Diesen Antrag wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) im zweiten Rechtsgang mit Bescheid vom 20. Februar 2018 zur Gänze ab. Unter einem sprach es (von Amts wegen) aus, dass dem Mitbeteiligten ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde. Es erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung des Mitbeteiligten nach Afghanistan fest, wobei ihm gemäß § 55 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise von vierzehn Tagen eingeräumt wurde.
3 Über die vom Mitbeteiligten gegen diesen Bescheid fristgerecht eingebrachte Beschwerde hat das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) bisher noch nicht entschieden. 4 Der Mitbeteiligte wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 8. November 2018 wegen mehrerer Vergehen nach dem Suchtmittelgesetz zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von neun Monaten (davon sechs Monate bedingt nachgesehen) rechtskräftig verurteilt.
5 Hierauf erließ das BFA den Bescheid vom 22. Februar 2019, wonach "gemäß § 68 Abs. 2 AVG (...) nachgehende Abänderung" des in Rn. 2 dargestellten Bescheides vom 20. Februar 2018 "im laufenden Beschwerdeverfahren" erging: Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Mitbeteiligten (neuerlich) eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde (wiederum) festgestellt, dass die Abschiebung des Mitbeteiligten nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt II.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 und 4 FPG wurde gegen den Mitbeteiligten sodann ein mit zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.). Einer Beschwerde "gegen diese Entscheidung über Ihren Antrag auf internationalen Schutz" wurde nunmehr gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.). Schließlich wurde gemäß § 55 Abs. 1a FPG ausgesprochen, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt V.).
6 In der rechtlichen Beurteilung vertrat das BFA dazu die Meinung, mit dem Bescheid vom 20. Februar 2018 seien dem Mitbeteiligten keine Rechte eingeräumt worden. Demzufolge sei § 68 Abs. 2 AVG grundsätzlich anwendbar und dieser Bescheid könne somit von Amts wegen vom BFA abgeändert werden, wovon jedoch die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz und die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 nicht betroffen seien. Das gegen den Mitbeteiligten wegen seiner Straftaten und Erfüllung des Tatbestandes nach § 53 Abs. 3 Z 1 FPG zu verhängende Einreiseverbot - die Z 4 des § 53 Abs. 3 FPG dürfte im Spruch nur irrtümlich genannt worden sein - könne gemäß § 53 Abs. 1 FPG nur in Verbindung mit einer Rückkehrentscheidung erlassen werden. Deshalb sei "die noch nicht in Rechtskraft erwachsene" Rückkehrentscheidung "gemäß § 68 Abs. 2 AVG abzuändern und ergänzend" gegen den Mitbeteiligten "abermals eine Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot zu erlassen". Diesbezüglich nahm das BFA noch mit näherer Begründung eine Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG vor. Da gegen den Mitbeteiligten mit diesem Bescheid eine Rückkehrentscheidung ergehe, sei gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig festzustellen, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Des Weiteren begründete das BFA noch, dass einer Beschwerde wegen Vorliegens der Voraussetzungen nach § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG (schwerwiegende Gründe rechtfertigen die Annahme, dass der Asylwerber eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstellt) die aufschiebende Wirkung abzuerkennen sei, was gemäß § 55 Abs. 1a FPG zur Folge habe, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe.
7 Der dagegen vom Mitbeteiligten - in Form von zwei Schriftsätzen - erhobenen Beschwerde gab das BVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 29. März 2019 Folge und behob den bekämpften Bescheid des BFA ersatzlos.
8 Das BVwG vertrat dazu - wie der Mitbeteiligte in der Beschwerde - unter Bezugnahme auf näher angeführte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zusammengefasst die Meinung, durch den Bescheid vom 22. Februar 2019 habe das BFA infolge der Erlassung des Einreiseverbotes und infolge der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung für die Beschwerde samt Nichtbestehen einer Frist für die freiwillige Ausreise die Rechtsstellung des Mitbeteiligten verschlechtert. § 68 Abs. 2 AVG, mag dessen Anwendung während anhängigen Beschwerdeverfahrens zwar grundsätzlich zulässig sein, biete jedoch keine taugliche Grundlage für eine den Mitbeteiligten benachteiligende Abänderung des Bescheides vom 20. Februar 2018. Das habe das BFA verkannt, weshalb der bekämpfte Bescheid gemäß § 28 Abs. 2 iVm Abs. 5 VwGVG aufzuheben sei. Unter einem sprach das BVwG noch gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des BFA, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
10 Die Amtsrevision ist - entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG - unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG im Sinne der Notwendigkeit der Klarstellung der Rechtslage zulässig, zumal es noch keine Rechtsprechung insbesondere zu der Frage gibt, ob in Anwendung des § 68 Abs. 2 AVG der Weg zur nachträglichen Erlassung eines Einreiseverbotes frei gemacht werden kann. Die Revision ist jedoch nicht berechtigt.
11 Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem
8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird. Dem entsprechend bestimmt § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005, dass das BFA die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen hat, wenn der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird. Über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung der Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels ist gemäß § 58 Abs. 3 AsylG 2005 "im verfahrensabschließenden Bescheid" abzusprechen. Mit § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 korrespondiert § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, wonach das BFA gegen einen Drittstaatsangehörigen "unter einem (§ 10 AsylG 2005)" mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen hat, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. 12 Mit der Rückkehrentscheidung ist gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Eine (positive) Feststellung über die Zulässigkeit der Abschiebung ist in dieser Konstellation die Konsequenz der Nichtgewährung von Asyl und von subsidiärem Schutz und es kommt ihr nur die Funktion zu, den Zielstaat der Abschiebung festzulegen (siehe zuletzt VwGH 7.3.2019, Ra 2019/21/0044 bis 0046, Rn. 20, mit dem Hinweis auf VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0119, Punkt 2.3. der Entscheidungsgründe).
13 Schließlich normiert § 53 Abs. 1 FPG, dass mit einer Rückkehrentscheidung vom BFA mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden kann. Die Voraussetzungen für ein höchstens mit zehn Jahren zu befristendes Einreiseverbot nach § 53 Abs. 3 FPG, nämlich dass bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen stelle eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit dar, liegen im gegebenen Zusammenhang insbesondere dann vor, wenn ein Drittstaatsangehöriger im Sinne der Z 1 dritter Fall von einem Gericht zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten rechtskräftig verurteilt worden ist. 14 Die Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung und des damit verbundenen Einreiseverbotes steht unter dem Vorbehalt des § 9 Abs. 1 BFA-VG, wonach dann, wenn (insbesondere) durch eine Rückkehrentscheidung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, deren Erlassung (nur) zulässig ist, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Dazu judiziert der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen ist (siehe zum Ganzen etwa VwGH 25.1.2018, Ra 2017/21/0218, Rn. 20, mit weiteren Nachweisen). 15 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits dargelegt, dass es sich bei den Aussprüchen, mit denen der Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 nicht zuerkannt, der Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 nicht zuerkannt, ein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wird, dass die Abschiebung in ein bestimmtes Land zulässig ist, um voneinander rechtlich trennbare Aussprüche handelt. Demgemäß sind diese Aussprüche separat anfechtbar; sie können auch unterschiedlichen rechtlichen Schicksalen unterliegen. Es besteht allerdings - wie in den Rn. 11 bis 13 dargestellt - zwischen diesen Aussprüchen insofern ein rechtlicher Zusammenhang, als es für manche Aussprüche Tatbestandsvoraussetzung ist, dass bereits andere Aussprüche getätigt wurden und zudem manche Aussprüche miteinander zu verbinden sind, sodass im Fall der Aufhebung eines Spruches ein darauf rechtlich aufbauender Ausspruch seine Grundlage verlieren kann (so schon VwGH 28.1.2015, Ra 2014/20/0121, Punkt II.3. der Entscheidungsgründe, vgl. aus der letzten Zeit etwa auch VwGH 12.12.2018, Ra 2017/19/0553, Rn. 11, mwN). Insbesondere ist es erforderlich, dass vor der Erlassung einer auf § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 2 Z 2 FPG gestützten Rückkehrentscheidung der Antrag auf internationalen Schutz zur Gänze abgewiesen (siehe dazu sogleich Rn. 16) und von Amts wegen kein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 erteilt wurde (vgl. in diesem Sinn schon die ErläutRV zum FNG 1803 BlgNR 24. GP 37; siehe dazu auch VwGH 7.3.2019, Ro 2019/21/0002, Rn. 18, wonach ein negatives Ergebnis der amtswegigen Prüfung der Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 als Bedingung für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung konstruiert wurde). Des Weiteren setzt die Erlassung eines Einreiseverbotes voraus, dass es "mit" einer Rückkehrentscheidung erlassen, also mit ihr verbunden wird (vgl. in diesem Sinn auch Art. 11 Abs. 1 der Rückführungsrichtlinie, wonach Rückkehrentscheidungen mit einem Einreiseverbot "einher" gehen; siehe auch VwGH 20.9.2018, Ra 2018/20/0349, Rn. 40, wonach die Erlassung eines Einreiseverbotes die Erlassung einer Rückkehrentscheidung voraussetzt).
16 Im Erkenntnis VwGH 4.8.2016, Ra 2016/21/0162, Rn. 12 und 13 iVm Rn. 11, - darauf wird des Näheren gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen - wurde ausgeführt, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung (allenfalls auch samt darauf aufbauendem Einreiseverbot) nicht zulässig ist, bevor über einen anhängigen Antrag auf internationalen Schutz abgesprochen wurde; und zwar auch dann, wenn ein Rückkehrentscheidungsverfahren - unabhängig vom Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz - bereits anhängig ist. Zugleich mit der Rückkehrentscheidung sei nämlich die Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG zu treffen, dass (nunmehr: ob) die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist; dies würde aber - jedenfalls in Bezug auf den Herkunftsstaat - bedeuten, das Ergebnis des Verfahrens über den Antrag auf internationalen Schutz, in dem diese Frage erst zu klären ist, in unzulässiger Weise vorwegzunehmen. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung vor der Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz sei daher grundsätzlich nicht zulässig. Diese Überlegungen seien auch vor dem Hintergrund der geltenden Rechtslage aufrechtzuerhalten (siehe zum Ganzen VwGH 15.3.2018, Ra 2017/21/0138, Rn. 16; vgl. darauf Bezug nehmend auch VwGH 25.9.2018, Ra 2018/21/0107, Rn. 12 und 13).
17 Angesichts dessen war es dem BFA jedenfalls verwehrt, einen Bescheid zu erlassen, der nur isoliert aus den in Rn. 5 dargestellten Spruchpunkten I. bis V. besteht, solange das Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz nicht rechtskräftig beendet war. Das wird in der Amtsrevision zwar in Frage gestellt. Die diesbezüglichen Ausführungen, die auf die in Rn. 16 wiedergegebenen Gründe nicht konkret eingehen, geben aber keinen Anlass, von der dargestellten ständigen Rechtsprechung abzugehen. Insbesondere ist aus dem vom BFA ins Treffen geführten § 59 Abs. 5 FPG, der nur den Fall betrifft, dass nach rechtskräftiger Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot neue, für die Bemessung von dessen Dauer relevante Tatsachen hervorkommen (vgl. VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0082 bis 0087, Punkt 2.3. der Entscheidungsgründe), für die vorliegende Konstellation, in der es um die erstmalige Erlassung eines Einreiseverbotes geht, nichts zu gewinnen.
18 Vor diesem rechtlichen Hintergrund stand das BFA, nachdem es während des bereits beim BVwG anhängigen Verfahrens über die Beschwerde gegen den Bescheid vom 20. Februar 2018 von der nachträglichen Straffälligkeit des Mitbeteiligten Kenntnis erlangt hatte, vor der Frage, auf welche Weise gegen ihn ein Einreiseverbot erlassen und die sofortige Durchsetzbarkeit der Entscheidung bewirkt werden könnte. Zutreffend ist in diesem Zusammenhang nämlich die Auffassung in der Amtsrevision, es sei dem BVwG verwehrt, im Rahmen des Verfahrens über die Beschwerde gegen den Bescheid vom 20. Februar 2018 Gründe für die Erlassung eines Einreiseverbotes (die Straffälligkeit des Mitbeteiligten) aufzugreifen und erstmals eine solche Maßnahme zu erlassen. Damit würde nämlich die Sache des Beschwerdeverfahrens überschritten (vgl. VwGH 10.10.2012, 2012/18/0104, mwN). Angesichts dessen wählte das BFA die in der Rn. 5 beschriebene Vorgangsweise der teilweisen Aufhebung des genannten Bescheides gemäß § 68 Abs. 2 AVG unter gleichzeitiger teilweise wiederholender Neuerlassung (Spruchpunkte I. und II.) und teilweiser Abänderung (Spruchpunkte III. bis V.) der ursprünglichen Entscheidung. 19 § 68 Abs. 1 und 2 AVG lautet wie folgt:
"§ 68. (1) Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, sind, wenn die Behörde nicht den Anlaß zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 bis 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.
(2) Von Amts wegen können Bescheide, aus denen niemandem ein Recht erwachsen ist, sowohl von der Behörde, die den Bescheid erlassen hat, als auch in Ausübung des Aufsichtsrechtes von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde aufgehoben oder abgeändert werden."
20 Im Erkenntnis VwGH 16.11.2015, Ra 2015/12/0029, kam der Gerichtshof mit näherer Begründung zum Ergebnis, dass zwar eine anhängige Berufung gegen einen behördlichen Bescheid, nicht jedoch ein bei einem Verwaltungsgericht anhängiges Verfahren über eine Beschwerde der Anwendung des § 68 Abs. 2 AVG entgegen stehe. Das wurde vom BVwG im angefochtenen Erkenntnis auch nicht in Frage gestellt. Das BFA meint allerdings in der Amtsrevision unter Berufung auf das genannte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes auch noch, entgegen der Meinung des BVwG sei kein sogenannter "Günstigkeitsvergleich" anzustellen.
21 Damit bezieht sich das BFA auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 68 Abs. 2 AVG (in der Fassung vor der am 1. Jänner 2014 in Kraft getretenen Novelle BGBl. I Nr. 33/2013), wonach die durch den rechtskräftigen, sodann gemäß § 68 Abs. 2 AVG abgeänderten Bescheid zuerkannte Rechtsposition nicht nachträglich eingeschränkt, die Rechtsstellung des Adressaten also nicht zu seinen Ungunsten verändert werden darf (vgl. VwGH 24.2.2005, 2004/11/0215, Punkt 2.4. der Entscheidungsgründe, mit weiteren Nachweisen). Belastende Abänderungen von rechtskräftigen Bescheiden können nicht auf § 68 Abs. 2 AVG gestützt werden (VwGH 27.5.2014, 2011/10/0197, mwN). "Niemandem ein Recht erwachsen ist" im Sinne des § 68 Abs. 2 AVG aus einem Bescheid, mit dem im Einparteienverfahren das Begehren der Partei ab- oder zurückgewiesen, ihr ein Recht aberkannt oder eine Verpflichtung auferlegt wird. Wesentlich ist dabei allerdings, dass die durch einen rechtskräftigen Bescheid begründete Rechtsstellung einer Partei durch seine Aufhebung (Abänderung) nicht verschlechtert werden darf. Die Aufhebung oder Abänderung eines rechtskräftigen Bescheides nach § 68 Abs. 2 AVG ist demnach, wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung erkennt, dann unzulässig, wenn hierdurch die Lage der Partei ungünstiger als durch den aufgehobenen bzw. abgeänderten Bescheid gestaltet wird (so schon VwGH 20.3.1996, 95/21/0369; siehe auch VwGH 9.9.2016, 2013/12/0196, Rn. 42, jeweils mwN; vgl. zum Ganzen auch noch Hengstschläger/Leeb, AVG, Rz. 81 ff zu § 68 und die dort zitierte Judikatur des VwGH). Es ist ein "Günstigkeitsvergleich" vorzunehmen (vgl. VwGH 22.4.2002, 99/10/0144).
22 Nun hat sich an der - schon in der am 1. September 1950 in Kraft getretenen Stammfassung normierten - Voraussetzung, dass eine Aufhebung oder Abänderung gemäß § 68 Abs. 2 AVG nur bei Bescheiden in Betracht kommt, aus denen niemandem ein Recht erwachsen ist, mittlerweile nichts geändert. Trotzdem meint das BFA in der Amtsrevision, die in Rn. 21 referierte Rechtsprechung sei auf die aktuelle Rechtslage nach Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit "so nicht übertragbar". Dabei bezieht sich das BFA - wie erwähnt - auf das Erkenntnis VwGH 16.11.2015, Ra 2015/12/0029. Danach sei bei einer Aufhebung oder Abänderung nach § 68 Abs. 2 AVG während eines beim Verwaltungsgericht anhängigen Beschwerdeverfahrens - so wird aus dem Erkenntnis zitiert - "die Möglichkeit einer Rechtsverletzung (durch die gemäß § 68 Abs. 2 AVG getroffene inhaltliche Entscheidung) nicht anhand eines Günstigkeitsvergleichs (gegenüber dem aufgehobenen Vorbescheid), sondern gegenüber der nach der objektiven Rechtslage gebotenen richtigen Entscheidung (wie sie in Ermangelung der Bescheidaufhebung vom Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Beschwerdeerledigung zu treffen gewesen wäre) zu prüfen." Daraus leitet das BFA ab, das BVwG hätte an Hand der aktuellen und objektiven Sach- und Rechtslage - also offenbar insbesondere unter Einbeziehung der Straffälligkeit des Mitbeteiligten - prüfen müssen, ob der Spruch des neuen Bescheides die Rechte des Mitbeteiligten verletze.
23 Dabei wird zunächst außer Acht gelassen, dass die zitierte Stelle im genannten Erkenntnis einschränkend damit eingeleitet wurde, dass diese Aussage "jedenfalls in einer Fallkonstellation wie der vorliegenden, in welcher gegen den ersatzlos aufgehobenen Bescheid ein Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgericht anhängig war", gilt. Diesem Erkenntnis lag nämlich der Fall zugrunde, dass mit dem Vorbescheid festgestellt worden war, die anspruchsbegründenden Voraussetzungen für die beantragte Auszahlung einer Dienstzuteilungsgebühr für einen bestimmten Zeitraum lägen gemäß § 22 der Reisegebührenvorschrift 1955 nicht vor, und dass dieser Bescheid dann während des anhängigen Beschwerdeverfahrens, gestützt auf die (strittige) Auffassung, hierüber sei nicht mit Feststellungsbescheid abzusprechen, gemäß § 68 Abs. 2 AVG ersatzlos aufgehoben wurde. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das BVwG dann zurück, weil sich die Sache durch die Bescheidaufhebung wieder im "Rechtszustand des offenen Antrags" auf Auszahlung der Dienstzuteilungsgebühr befinde, was keine Verschlechterung der Rechtsstellung des Antragstellers zur Folge habe. In dieser Konstellation hielt der Verwaltungsgerichtshof den vom BVwG angestellten "Günstigkeitsvergleich" für nicht ausreichend. Mit der ersatzlosen Behebung des Feststellungsbescheides stehe nämlich endgültig fest, dass ein solcher Bescheid unzulässig sei und nicht mehr erlassen werden dürfe, obwohl sich die zugrunde liegende Auffassung als rechtswidrig erweisen könnte. Ob die vom BVwG verneinte Rechtsverletzungsmöglichkeit durch die ersatzlose Behebung des Vorbescheides vorliege, sei daher durch inhaltliche Beurteilung der in der Beschwerde behaupteten Zulässigkeit eines Feststellungsbescheides zu prüfen.
24 Schon diese Darstellung zeigt, dass sich die von der Amtsrevision ins Treffen geführte Aussage aus VwGH 16.11.2015, Ra 2015/12/0029, nicht generalisieren lässt, sondern (nur) auf den dort beurteilten Fall zutrifft, in dem der im Beschwerdeverfahren anhängige Vorbescheid gemäß § 68 Abs. 2 AVG ersatzlos aufgehoben wurde und sich die dieser Aufhebung zugrunde liegende Auffassung zum Nachteil des Antragstellers als rechtswidrig erweisen könnte. Daraus ist für die vorliegende Konstellation, in welcher der Vorbescheid dahin abgeändert wurde, dass zusätzlich ein Einreiseverbot erlassen sowie der (nach der erkennbaren Absicht des BFA: auch der schon erhobenen) Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt und keine Frist für die freiwillige Ausreise mehr gewährt werden sollte, nichts zu gewinnen. Auch wenn - wie in dem genannten Erkenntnis vom Verwaltungsgerichtshof judiziert wurde - von der Zulässigkeit der Anwendung des § 68 Abs. 2 AVG in Bezug auf einen Bescheid, gegen den ein Beschwerdeverfahren beim Verwaltungsgericht anhängig ist, auszugehen ist, so hat sich an der Einschränkung, dass ein solches amtswegiges Vorgehen die durch den keiner Berufung mehr unterliegenden (Vor‑)Bescheid eingeräumte Rechtsstellung der Partei nicht verschlechtern darf, nichts geändert. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber es nunmehr ermöglichen wollte, im Wege der Anwendung des § 68 Abs. 2 AVG während des anhängigen Beschwerdeverfahrens den zugrunde liegenden Bescheid schrankenlos - jederzeit und auch zum Nachteil der Partei - nachträglich abzuändern. Die in Rn. 21 dargestellte Rechtsprechung lässt sich daher sinngemäß auch auf Fälle wie den vorliegenden übertragen. Das BVwG hat daher zutreffend die vom BFA mit dem Bescheid vom 22. Februar 2019 gemäß § 68 Abs. 2 AVG zum Nachteil für den Mitbeteiligten vorgenommene Abänderung des Bescheides vom 20. Februar 2018 zur Gänze für rechtswidrig erachtet.
25 In der Amtsrevision wird noch ins Treffen geführt, ein Abwarten des Verfahrens über die Beschwerde gegen den Bescheid vom 20. Februar 2018 erscheine "nicht tunlich", weil bereits mit der Rückkehrentscheidung im Asylverfahren das Einreiseverbot "zu erlassen wäre", wodurch "überschneidende Entscheidungen des BVwG und des BFA im Interesse der Rechtssicherheit" vermieden würden. Diesbezüglich genügt es, auf die - auf Basis der geltenden Rechtslage - oben angestellten Überlegungen zu verweisen. Daran können Tunlichkeitserwägungen, die keinen Niederschlag im Gesetz gefunden haben, nichts ändern. Soweit in diesem Zusammenhang auch noch in Frage gestellt wird, ob eine nachträgliche Erlassung eines - nach dem Wortlaut des § 53 Abs. 1 FPG zwingend und ausnahmslos mit einer (neuerlichen) Rückkehrentscheidung zu verbindenden (siehe oben Rn. 15) - Einreiseverbotes überhaupt zulässig wäre, wenn die hierfür maßgeblichen Tatsachen bereits vor der Rechtskraft der schon erlassenen Rückkehrentscheidung bestanden haben, wird schließlich außer Acht gelassen, dass diesfalls ein Einreiseverbot eben nicht Sache des vorangegangenen Verfahrens war.
26 Zusammenfassend ergibt sich somit, dass die Amtsrevision gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.
Wien, am 26. Juni 2019
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)