VwGH Ra 2019/21/0105

VwGHRa 2019/21/010526.6.2019



Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Galesic, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 4. März 2019, W163 2166535-3/3E, betreffend insbesondere Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot (mitbeteiligte Partei: M K), zu Recht erkannt:

Normen

BFA-VG 2014 §21 Abs7
FrPolG 2005 §52
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §24
VwGVG 2014 §28 Abs3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019210105.L00

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss (Spruchpunkt A.II.) wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein indischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner Einreise in Österreich im Juli 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen Antrag vollinhaltlich ab, erteilte dem Mitbeteiligten keinen Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 und erließ eine Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen. Einer dagegen erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 10. Juli 2018 keine Folge. Dieses Erkenntnis ist bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts unbekämpft geblieben.

2 Mit Note vom 3. Dezember 2018 teilte das BFA dem - im Bundesgebiet verbliebenen - Mitbeteiligten mit, (neuerlich) die Erlassung einer Rückkehrentscheidung sowie (erstmals) eines Einreiseverbotes zu beabsichtigen. Es forderte ihn auf, binnen sieben Tagen näher ausformulierte Fragen zum genannten Verfahrensgegenstand (etwa zu unternommenen Schritten, um der Ausreiseverpflichtung nachzukommen, bei Fehlen solcher Schritte zu den Gründen, weshalb sie unterlassen wurden; weiters zu aktuellen Einkünften und Vermögen sowie zu allfälligen Veränderungen in der Wohnversorgung) zu beantworten sowie zu (der Note angeschlossenen) Länderinformationen betreffend den Herkunftsstaat Indien schriftlich Stellung zu nehmen. Eine Reaktion des Mitbeteiligten hierauf ist nicht erfolgt.

3 Mit Bescheid vom 27. Dezember 2018 sprach das BFA daraufhin neuerlich aus, dass dem Mitbeteiligten ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde (Spruchpunkt I.). Es erließ wiederum eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt II.), stellte noch einmal nach § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Mitbeteiligten gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt III.) und erließ (nunmehr erstmals) gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG ein auf die Dauer von 18 Monaten befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 55 Abs. 4 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt (Spruchpunkt V.). Gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG wurde die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung aberkannt (Spruchpunkt VI.).

4 Begründend stellte das BFA fest, der Mitbeteiligte sei "mit

23.08.2017 ... aus der Grundversorgung wegen unbekannten

Aufenthalts entlassen und dort bis dato auch nicht wieder aufgenommen" worden. Seit Rechtskraft des erwähnten Erkenntnisses des BVwG vom 10. Juli 2018 bzw. seit - ungenutztem - Ablauf der Frist für die freiwillige Ausreise aus dem Bundesgebiet seien keine nennenswerten Änderungen im Privat- und Familienleben des ledigen und kinderlosen Mitbeteiligten eingetreten. Dieser gehe keiner legalen Erwerbstätigkeit nach. Es habe nicht festgestellt werden können, wie er seinen Lebensunterhalt in Österreich bestreite.

Beweiswürdigend legte das BFA dar, dass der Mitbeteiligte sein Recht auf Parteiengehör nicht in Anspruch genommen habe, weshalb davon auszugehen sei, dass es "keine Änderungen gegenüber dem Akteninhalt" gegeben habe.

5 Rechtlich verneinte das BFA das Vorliegen von Gründen für die Erteilung des genannten Aufenthaltstitels. Es verwies im Übrigen auf die geringe Aufenthaltsdauer des Mitbeteiligten (von rund eineinhalb Jahren) in Österreich sowie das dabei erzielte - nicht ausreichende - Maß an Integration. Die "Zumutbarkeit der Rückkehrentscheidung sowie Abschiebung (sei) im Zuge (des) Asylverfahrens ausführlich geprüft" worden. Dessen rechtskräftiger Abschluss liege lediglich rund sechs Monate zurück. Die damals angestellten Überlegungen seien nach wie vor gültig, weil es zu keiner maßgeblichen Änderung der Situation im Herkunftsstaat gekommen sei und der Mitbeteiligte - trotz Parteiengehörs - keine weiteren Gründe geltend gemacht habe, die gegen seine Abschiebung sprechen würden. Gemäß Art. 11 Abs. 1 lit. b der Rückführungs-RL gehe mit einer Rückkehrentscheidung ein Einreiseverbot einher, falls der Rückkehrverpflichtung - wie vorliegend durch den Mitbeteiligten - nicht nachgekommen worden sei. Die Gesamtbeurteilung des fremdenrechtlichen Fehlverhaltens, der Lebensumstände sowie der familiären und privaten Anknüpfungspunkte des Mitbeteiligten führten zum Ergebnis, dass die Erlassung eines Einreiseverbotes gerechtfertigt und notwendig sei, um die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern. Das Einreiseverbot sei zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele auch dringend geboten.

6 Dagegen erhob der - mittlerweile rechtsfreundlich vertretene - Mitbeteiligte Beschwerde, in der er die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragte. Inhaltlich führte er aus, mangels Reisedokuments "oder anderer Möglichkeiten" notgedrungen in Österreich verblieben zu sein. Er sei somit in einer gesetzlichen Notsituation, könne er doch das Bundesgebiet nicht verlassen. Hier habe er sich stets den Behörden gegenüber kooperativ verhalten. Er sei unbescholten, gut integriert, spreche die deutsche Sprache, habe eine ortsübliche Unterkunft und sei selbsterhaltungsfähig. Er nehme keine sozialen oder staatlichen Geldhilfen in Anspruch, vielmehr komme er für seine Ausgaben selbst auf und trage damit zum wirtschaftlichen Wohle Österreichs bei.

Damit bestehe kein Grund für die Erlassung eines Einreiseverbotes. Da bereits eine Rückkehrentscheidung ergangen sei, hätte es das BFA dabei bewenden lassen können, zumal diese ihre Gültigkeit nicht verloren habe.

7 Mit Erkenntnis vom 4. März 2019 wies das BVwG die Beschwerde, soweit sie sich gegen Spruchpunkt I. des Bescheides vom 27. Dezember 2018 richtete, gemäß § 57 AsylG 2005 als unbegründet ab.

8 Mit - hiermit verbundenem - Beschluss vom 4. März 2019 hob das BVwG die Spruchpunkte II. bis V. des genannten Bescheides gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück (Spruchpunkt A.II.). Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG erklärte es die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig. 9 Im Rahmen der Begründung seines Beschlusses zu Spruchpunkt A.II. hielt das BVwG die Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG für eine kassatorische Entscheidung für verwirklicht. Das vom BFA durchgeführte Verfahren habe nämlich lediglich in der Gewährung des dargestellten - unbeantwortet gebliebenen - Parteiengehörs bestanden, also kein Ermittlungsergebnis "erbracht". Was das auf Art. 11 Abs. 1 lit. b der Rückführungs-RL gestützte Einreiseverbot anlange, habe es das BFA gänzlich unterlassen, Ermittlungen dazu anzustellen, was die maßgeblichen Gründe für den fortwährenden unrechtmäßigen Aufenthalt des Mitbeteiligten im Bundesgebiet seien und ob diese nur eine geringfügige oder darüber hinausgehende Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens darstellten. Das BVwG hielt es u.a. für erforderlich, dass sich das BFA mit den Gründen für den fortwährenden unrechtmäßigen Aufenthalt des Mitbeteiligten im Bundesgebiet sowie mit seiner aktuellen Situation in Österreich näher befasse und sich dabei auch einen persönlichen Eindruck vom Mitbeteiligten verschaffe. Weiters erwähnte das BVwG das Fehlen von aktuellen Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat des Mitbeteiligten (Länderfeststellungen).

 

10 Über die gegen diesen Beschluss (Spruchpunkt A.II.) erhobene Amtsrevision des BFA hat der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

11 Die Amtsrevision macht unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung geltend, dass das BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen einer Behebung und Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG abgewichen sei.

Dies trifft - wie im Folgenden dargestellt wird - zu, weshalb sich die Revision insgesamt als zulässig und berechtigt erweist. 12 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in § 28 VwGVG ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg. cit. vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden; eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder wenn sie bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Sind (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 25.9.2017, Ra 2017/21/0253, Rn. 14, mwN).

13 Der zur Begründung der Zurückverweisung herangezogene Vorwurf des BVwG, das BFA habe sich mit einem schriftlichen Parteiengehör anstelle einer persönlichen Einvernahme des Mitbeteiligten begnügt, berechtigt schon deshalb nicht zur Zurückverweisung, weil es grundsätzlich immer auch Aufgabe des BVwG ist, sich vor Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme im Rahmen einer mündlichen Verhandlung selbst einen persönlichen Eindruck vom Fremden zu verschaffen, sofern nicht ausnahmsweise ein eindeutiger Fall gegeben ist (vgl. neuerlich etwa VwGH 25.9.2018, Ra 2017/21/0253, Rn. 15, mwN).

14 Soweit das BVwG eine Aktualisierung der den Herkunftsstaat des Mitbeteiligten betreffenden Länderfeststellungen vermisst, ist ihm zu entgegnen, dass der Gegenstand der vor ihm erhobenen Beschwerde der Sache nach auf das Einreiseverbot beschränkt war, sodass deren Aktualisierung oder Ergänzung schon deshalb für die Entscheidung nicht geboten war. Dem Vorwurf, das BFA habe insoweit (noch aktuell notwendige) Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, fehlt somit die Präjudizialität für die Entscheidung des Falles (vgl. dazu etwa VwGH 29.11.2018, Ro 2016/06/0024, Rn. 18).

15 Das auf den Gegenstand des Einreiseverbotes eingeschränkte Ermittlungsverfahren wäre somit vom BVwG - in einer mündlichen Verhandlung - durchzuführen gewesen. Anzumerken ist dabei, dass sich der Vorwurf des BVwG, das BFA habe es gänzlich unterlassen, insoweit Ermittlungen anzustellen oder rechtliches Gehör einzuräumen, aufgrund der (in Rn. 2 zusammengefasst dargestellten, an den Mitbeteiligten gerichteten) Note vom 3. Dezember 2018, wenn sie auch unbeantwortet geblieben ist, als unbegründet erweist. 16 Da das BVwG nach dem Gesagten zu Unrecht mit einer Behebung und Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG vorgegangen ist, war der angefochtene Beschluss gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 26. Juni 2019

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