VwGH Ra 2019/19/0543

VwGHRa 2019/19/05439.1.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des A A in G, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. November 2018, L504 2151215- 1/20E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
BFA-VG 2014 §9 Abs2
MRK Art8

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019190543.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger des Irak, stellte am 2. August 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgründe nannte er den Krieg und die gefährliche Lage im Irak. 2 Mit Bescheid vom 23. Februar 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4 Mit Beschluss vom 23. September 2019, E 4974/2018-8, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 2 B-VG ab und trat diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. 5 In der Folge erhob der Revisionswerber die gegenständliche außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof. 6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 7 Die vorliegende außerordentliche Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, dass sich sowohl in der politischen als auch rechtlichen Diskussion die Frage stelle, wann einem Asylwerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen

Gründen zu erteilen sei. Der Verwaltungsgerichtshof nehme hier eine sehr strenge Beurteilung vor und gehe in seiner Rechtsprechung davon aus, dass nur bei einer herausragenden Integration, die über das allgemeine Maß hinausgehe, ein derartiger Aufenthaltstitel erteilt werden dürfe. Der gegenständliche Fall sei durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass der Revisionswerber im Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG bereits in einer langjährigen Lebensgemeinschaft mit einer freizügigkeitsberechtigten slowakischen Staatsangehörigen gelebt habe. Es sei schon in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG die Eheschließung ins Auge gefasst worden, die mittlerweile auch tatsächlich erfolgt sei.

Es fehle an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser besonderen Fallkonstellation: Der Revisionswerber halte sich seit vier Jahren und vier Monaten in Österreich auf, sei unbescholten, es liege eine Arbeitsplatzzusage vor, er habe einen beachtlichen Freundes- und Bekanntenkreis und lebe in einer Lebensgemeinschaft mit einer freizügigkeitsberechtigen EU-Bürgerin, mit der die baldige Hochzeit geplant sei. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Fallkonstellation sei für Rechtsentwicklung und Rechtssicherheit von einer Bedeutung, die über den Anlassfall hinausgehe.

8 Dem auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen bezugnehmenden Zulässigkeitsvorbringen ist zunächst entgegen zu halten, dass das BVwG in seiner rechtlichen Beurteilung die Voraussetzungen für die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 57 Abs. 1 Z 1 bis 3 AsylG 2005 verneinte und dazu in der Revision auch kein substantiiertes Vorbringen erstattet wurde. Zudem ist im Rahmen der Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 57 AsylG 2005 - im Gegensatz zur Prüfung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 - keine Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK vorzunehmen.

Die Erteilung eines Aufenthaltstitels "in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen" gemäß § 56 AsylG 2005 kommt schon in Hinblick auf den dafür geforderten durchgängigen Aufenthalt im Bundesgebiet von fünf Jahren (vgl. Abs. 1 Z 1 leg. cit.) nicht in Betracht.

9 Hinsichtlich eines (möglichen) Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 ist darauf zu verweisen, dass nach dem klaren Wortlaut des § 58 Abs. 2 AsylG 2005 die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005 nur dann von Amts wegen zu prüfen ist, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird. Es handelt sich dabei um jene Fälle, in denen der Erlassung einer Rückkehrentscheidung eine sonst drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK entgegensteht (vgl. VwGH 26.11.2018, Ra 2018/20/0498, mwN).

10 Im Übrigen ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. VwGH 29.8.2019, Ra 2019/19/0187, mwN).

11 Diesbezüglich berücksichtigte das BVwG - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - zugunsten des Revisionswerbers insbesondere den Aufbau erheblicher privater Bindungen, die Beziehung zu seiner slowakischen Lebensgefährtin, mit der er seit etwa einem Jahr im gemeinsamen Haushalt lebe und mit der eine Heiratsabsicht bestehe, seine Deutschkenntnisse, eine gute Integration sowie das Bestehen einer Einstellungszusage für den Fall der Erteilung des Aufenthaltstitels. Dem hielt das BVwG jedoch entgegen, dass sämtliche private Anknüpfungspunkte zu einer Zeit erlangt worden seien, in der der Aufenthalt des Revisionswerbers durch die bloß vorläufige Aufenthaltsberechtigung für die Dauer des Asylverfahrens stets prekär und dies dem Revisionswerber und seiner Lebensgefährtin bewusst gewesen sei. Zudem habe er hinsichtlich der - insbesondere für die Integration am Arbeitsmarkt - wichtigen Deutschkenntnisse lediglich die Qualifikation A1 erlangt. Auch lebe der Revisionswerber seit seiner Einreise von der Grundversorgung, wirtschaftliche Selbsterhaltung liege somit nicht vor. Darüber hinaus könne einer Arbeitsplatzzusage in einem Verfahren betreffend Aufenthaltsbeendigung mangels Aufenthaltsberechtigung keine Bedeutung zukommen. Der Revisionswerber habe sein bisheriges Leben überwiegend im Irak verbracht, kenne die dortigen Regeln und verfüge dort - im Gegensatz zu Österreich - auch noch über Familienangehörige.

12 Dass die festgestellten Umstände bei der Interessenabwägung in einer den Leitlinien der Rechtsprechung widersprechenden unvertretbaren Weise gewichtet worden wären, zeigt die Revision nicht auf. Soweit die Revision auf die mittlerweile erfolgte Eheschließung mit einer slowakischen Staatsangehörigen verweist, ist ihr zu entgegen, dass der Berücksichtigung der vorgebrachten Sachverhaltsänderung das im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof gemäß § 41 VwGG zu beachtende Neuerungsverbot entgegensteht (vgl. erneut VwGH Ra 2018/20/0498, mwN).

13 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 9. Jänner 2020

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