VwGH Ra 2019/18/0372

VwGHRa 2019/18/037217.10.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter sowie die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des J B, vertreten durch Mag. Elke Weidinger, Rechtsanwältin, in 8020 Graz, Brückenkopfgasse 1/VIII, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. April 2019, Zl. W251 2171729- 1/26E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §8 Abs1
MRK Art2
MRK Art3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019180372.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber ist Staatsangehöriger Afghanistans, stammt aus der Provinz Parwan und stellte als Minderjähriger am 1. Dezember 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, sein Bruder habe bei der afghanischen Armee gearbeitet und trotz mehrmaliger Aufforderungen durch die Taliban diesen Posten nicht aufgegeben. Daraufhin sei er verschwunden.

2 Mit Bescheid vom 6. September 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass eine Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei und setzte eine Frist von zwei Wochen für die freiwillige Ausreise. 3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen gerichtete Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Die Revision wurde vom Verwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.

4 Mit Beschluss vom 16. Mai 2019, E 1786/2019-4 wies der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG ab und trat mit Beschluss vom 18. Juli 2019, E 1786/2019-9 die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

5 Gegen das Erkenntnis des BVwG wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit im Wesentlichen und zusammengefasst geltend gemacht wird, das BVwG habe entgegen der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 (UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018) ausgesprochen, dass eine innerstaatliche Fluchtalternative für den Revisionswerber zumutbar sei. Diese Entscheidung sei weder nachvollziehbar noch schlüssig. Ebenso habe das BVwG, ohne Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Bereich der Psychologie/Psychiatrie, Feststellungen zum Gesundheitszustand des Revisionswerbers getroffen. Das BVwG hätte von Amtswegen einen Sachverständigen bestellen müssen. Zudem habe das Gericht festgestellt, dass einem - in der Revision näher genannten - Gutachten nicht dergleiche Beweiswert zukomme wie anderen Länderberichten. Damit weiche das Gericht von der hg. Rechtsprechung ab, wonach alle Beweismittel grundsätzlich gleichwertig seien. Aufgrund der willkürlichen Gewalt in ganz Afghanistan sei grundsätzlich schon für alle in Afghanistan anwesenden Personen eine Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit anzunehmen.

6 Die Revision erweist sich als nicht zulässig. 7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 10 Der VwGH hat in seiner bisher ergangenen Rechtsprechung zum Herkunftsstaat Afghanistan wiederholt und unter Bezugnahme auf die diesbezügliche ständige Rechtsprechung des EGMR ausgesprochen, dass es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde. Es reicht für den Antragsteller nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan zu berufen. Die allgemeine Situation in Afghanistan ist nämlich nicht so gelagert, dass schon alleine die Rückkehr eines Antragstellers dorthin eine ernsthafte Bedrohung für die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte bedeuten würde (vgl. etwa VwGH 25.4.2017, Ra 2016/01/0307, mwN).

11 Um von der realen Gefahr ("real risk") einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, reicht es nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüber hinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (vgl. VwGH 21.2.2017, Ra 2016/18/0137, mwN).

12 Das BVwG hat seine rechtliche Beurteilung, wonach für den Revisionswerber eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar-e Sharif verfügbar sei, sowohl auf das Zumutbarkeitskalkül als auch im Hinblick auf die Gefährdung der Verletzung der Rechte von Art. 3 EMRK gestützt. Der Revision gelingt es nicht, mit ihren pauschalen Vorbringen, dass aufgrund der willkürlichen Gewalt in ganz Afghanistan eine Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit grundsätzlich schon für alle in Afghanistan anwesenden Personen anzunehmen sei, ein "real risk" für den Revisionswerber aufzuzeigen. Vor dem Hintergrund der hg. Rechtsprechung gelingt es der Revision auch nicht aufzuzeigen, dass im gegenständlichen Fall eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar-e Sharif für den Revisionswerber nicht möglich und zumutbar sei (vgl. etwa VwGH 25.6.2019, Ra 2018/19/0546, mwN).

13 Was die gerügte Nichteinholung eines von Amts wegen bestellten Sachverständigen betrifft, hat der Verwaltungsgerichtshof bereits klargestellt, dass die Frage, ob auf Basis eines konkret vorliegenden Standes eines Ermittlungsverfahrens ein "ausreichend ermittelter Sachverhalt" vorliegt oder ob weitere amtswegige Erhebungen erforderlich sind, regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern eine jeweils einzelfallbezogen vorzunehmende Beurteilung darstellt (vgl. VwGH 25.2.2019, Ra 2019/19/0017, mwN). 14 Das BVwG hat festgestellt, dass der Revisionswerber an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide, und den Gesundheitszustand aufgrund der im Verfahren vorgelegten ärztlichen Befunde festgestellt. In diesem Zusammenhang hat das BVwG auch festgestellt, dass der Revisionswerber in der Stadt Mazar-e Sharif medizinische Behandlungen in Anspruch nehmen könne, da es in Mazar-e Sharif auch ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus gebe. Der Revision gelingt es vor diesem Hintergrund nicht, die Relevanz der Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften aufzuzeigen.

15 Insoweit die Revision moniert, das BVwG sei von der hg. Rechtsprechung, wonach alle Beweismittel grundsätzlich gleichwertig seien, abgewichen, ist ihr entgegenzuhalten, dass im gegenständlichen Fall das BVwG darauf verwies, dass das - im Erkenntnis näher bezeichnete - Gutachten nicht dengleichen Beweiswert wie das Länderinformationsblatt und die UNHCR-Richtlinien haben, weil diese einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat durchliefen, weshalb das BVwG seine Feststellungen auf das Länderinformationsblatt sowie Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation und von ACCORD, auf Berichte von EASO und die aktuellen UNHCR-Richtlinien vom 30.8.2018 stütze. Die Revision vermag demgegenüber nicht aufzuzeigen, dass diese Beweiswürdigung des BVwG in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre (vgl. etwa VwGH 24.6.2019, Ra 2018/18/0543, mwN).

16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 17. Oktober 2019

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