VwGH Ra 2019/14/0397

VwGHRa 2019/14/039717.9.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, in der Revisionssache des X Y, vertreten durch Dr. Christian Schmaus, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Chwallagasse 4/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Juni 2019, W232 2170956-1/12E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §10 Abs3
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019140397.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 15. Mai 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er brachte vor, er hätte seine Cousine heiraten sollen. Deren Vater, der bei den Taliban gewesen sei, sei dagegen gewesen. Auf Anraten seiner Mutter sei der Revisionswerber nach Kabul gegangen, wo er von zwei Männern geschlagen und mit einem Messer verletzt worden sei. Einer dieser Männer sei der Bruder der Cousine gewesen.

2 Mit Bescheid vom 18. August 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 7 Die Revision wendet sich zunächst in der Begründung für ihre Zulässigkeit gegen die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts und bringt in diesem Zusammenhang auch vor, dass bei der Erstbefragung kein gesetzlicher Vertreter anwesend gewesen sei. Der Revisionswerber habe die Bedeutung der Erstbefragung nicht erkennen können. Das Bundesverwaltungsgericht habe die im Zeitpunkt der die Flucht auslösenden Ereignisse bestehende Minderjährigkeit des Revisionswerbers nicht ausreichend berücksichtigt.

8 § 10 BFA-VG lautet (auszugsweise und samt Überschrift):

"Handlungsfähigkeit

§ 10. (1) Für den Eintritt der Handlungsfähigkeit in Verfahren vor dem Bundesamt, vor den Vertretungsbehörden gemäß dem

11. Hauptstück des FPG und in einem Verfahren gemäß § 3 Abs. 2 Z 1 bis 6 vor dem Bundesverwaltungsgericht ist ungeachtet der Staatsangehörigkeit des Fremden österreichisches Recht maßgeblich.

(2) ...

(3) Ein mündiger Minderjähriger, dessen Interessen von seinem gesetzlichen Vertreter nicht wahrgenommen werden können, ist berechtigt einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen und einzubringen sowie Verfahrenshandlungen gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu seinem Vorteil zu setzen. Solche Fremde sind in die Erstaufnahmestelle zu verbringen (§ 43 BFA-VG). Gesetzlicher Vertreter für Verfahren vor dem Bundesamt und dem Bundesverwaltungsgericht ist ab Ankunft in der Erstaufnahmestelle der Rechtsberater (§ 49), nach Zulassung des Verfahrens und nach Zuweisung an eine Betreuungsstelle eines Bundeslandes der örtlich zuständige Kinder- und Jugendhilfeträger jenes Bundeslandes, in dem der Minderjährige einer Betreuungsstelle zugewiesen wurde. Widerspricht der Rechtsberater (§ 49) vor der ersten Einvernahme im Zulassungsverfahren einer erfolgten Befragung (§ 19 Abs. 1 AsylG 2005) eines mündigen Minderjährigen, ist diese im Beisein des Rechtsberaters zu wiederholen.

(4) ...

(5) Entzieht sich der mündige Minderjährige dem Verfahren gemäß § 24 Abs. 1 AsylG 2005 oder lässt sich aus anderen Gründen nach Abs. 3 kein gesetzlicher Vertreter bestimmen, ist der Kinder- und Jugendhilfeträger, dem die gesetzliche Vertretung zuletzt zukam, gesetzlicher Vertreter bis nach Abs. 3 wieder ein gesetzlicher Vertreter bestimmt wurde. Hatte im bisherigen Verfahren nur der Rechtsberater (§ 49) die gesetzliche Vertretung inne, bleibt dieser gesetzlicher Vertreter, bis die gesetzliche Vertretung nach Abs. 3 erstmals einem Kinder- und Jugendhilfeträger zufällt.

(6) ..."

9 Zum Zeitpunkt der Erstbefragung war der Revisionswerber, der tags zuvor mit seinem Onkel und seinem Cousin in Österreich eingereist war und dessen Eltern und f��nf Geschwister weiterhin im Herkunftsland leben, 15 Jahre alt. Er war sohin zu dieser Zeit als mündiger Minderjähriger anzusehen. Er wurde nach der Erstbefragung in die Erstaufnahmestelle gebracht. Ein Widerspruch des Rechtsberaters, der gemäß § 10 Abs. 3 BFA-VG ab Ankunft des Revisionswerbers in der Erstaufnahmestelle sein gesetzlicher Vertreter war, liegt nicht vor, weshalb die Erstbefragung gemäß § 10 Abs. 3 letzter Satz BFA-VG auch nicht im Beisein des Rechtsberaters zu wiederholen war. Es liegt sohin schon der insoweit geltend gemachte Verfahrensmangel nicht vor. Soweit der Revisionswerber Bestimmungen des Unionsrechts zitiert und auf Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) verweist, ist dem kein konkretes Vorbringen zu entnehmen, dass die angeführte Bestimmung des BFA-VG gegen unionsrechtliche Vorgaben verstoßen würde. Schon deshalb war darauf nicht näher einzugehen. 10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser - als Rechtsinstanz - im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 19.6.2019, Ra 2019/14/0271, mwN). Es gelingt der Revision nicht, aufzuzeigen, dass dies hier der Fall wäre. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich nach Durchführung einer Verhandlung mit dem Vorbringen des Revisionswerbers zu seinen Fluchtgründen ausführlich auseinandergesetzt und ist in einer nicht unschlüssigen Beweiswürdigung zum Ergebnis gekommen, dass dem Vorbringen des Revisionswerbers nicht gefolgt werden könne. Dabei hat das Bundesverwaltungsgericht - entgegen der Ansicht des Revisionswerbers - auch die zum Zeitpunkt der behaupteten Ereignisse bestanden habende Minderjährigkeit ausreichend berücksichtigt. Das gilt sinngemäß auch für die Erstbefragung. Vor diesem Hintergrund durfte das Verwaltungsgericht die in der Erstbefragung getätigten Angaben des Revisionswerbers in die beweiswürdigenden Überlegungen einbeziehen. Die insoweit konstatierte Ungereimtheit war aber - wie sich aus der Begründung des Bundesverwaltungsgerichts ergibt -

ohnedies nicht zentral ausschlaggebend für das von ihm dargelegte Verfahrensergebnis. Dass die Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Beweiswürdigung der nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nicht standhalten könnten, ist nicht zu sehen.

11 Weiters macht der Revisionswerber diverse Ermittlungsmängel und somit Verfahrensfehler geltend. Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 7.6.2019, Ra 2019/14/0114, mwN). Diesen Anforderungen entspricht die Revision nicht. Insbesondere ist im Zusammenhang mit dem nicht näher konkretisierten Vorbringen, es hätte ein in Österreich aufhältiger Zeuge des Revisionswerbers (offenkundig gemeint: sein Onkel) vernommen werden müssen, darauf hinzuweisen, dass im Fall einer unterbliebenen (oder unzureichenden) Vernehmung der Rechtsmittelwerber konkret darzulegen hat, was die betreffende Person im Fall ihrer (gegebenenfalls: hinreichenden) Vernehmung ausgesagt hätte und welche anderen Feststellungen auf Grund dessen zu treffen gewesen wären (vgl. etwa VwGH 23.5.2018, Ra 2018/22/0074, mwN). 12 Soweit der Revisionswerber betreffend die Versagung von subsidiärem Schutz auf die - in der Revision näher beschriebene - Situation im Herkunftsland des Revisionswerbers hinweist, ist ihm zu entgegnen, dass er damit nicht aufzeigt, dass sich das Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung von den in der Rechtsprechung zu diesem Thema aufgestellten Leitlinien entfernt oder diese - im Besonderen vor dem Hintergrund, dass es sich beim im Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Entscheidung bereits volljährigen Revisionswerber um einen jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mann im erwerbsfähigen Alter handelt - in unvertretbarer Weise zur Anwendung gebracht hätte.

13 Wenn sich der Revisionswerber gegen die Rückkehrentscheidung richtet, ist anzumerken, dass eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG ist (vgl. auch dazu VwGH 27.6.2019, Ra 2019/14/0085, mwN). Das Bundesverwaltungsgericht hat die in der Revision angesprochene (lediglich drei Jahre währende) Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet ebenso berücksichtigt, wie sämtliche vom Revisionswerber zu seiner Integration gesetzten Schritte und die Bindungen zu seiner Pflegefamilie. Insbesondere hat das Bundesverwaltungsgericht auch einbezogen, dass der Revisionswerber trotz seiner Volljährigkeit weiterhin bei seiner Pflegefamilie, zu der aber keinerlei Abhängigkeitsverhältnis besteht (so bestreitet der Revisionswerber etwa nach den Feststellungen seinen Unterhalt aus Mitteln der Grundversorgung), lebt und gemeinsam Freizeitaktivitäten gesetzt werden, sowie dass er für die Unterkunft Miete bezahlt. Dass aber das Verwaltungsgericht die Gewichtung aller im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Umstände nicht anhand der in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien und zudem in unvertretbarer Weise vorgenommen hätte, vermag der Revisionswerber nicht darzutun. 14 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Wien, am 17. September 2019

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