VwGH Ra 2019/08/0057

VwGHRa 2019/08/005713.5.2019



Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofräte Dr. Strohmayer und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des Arbeitsmarktservice Baden gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Jänner 2019, W164 2202826-1/3E, betreffend Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe (mitbeteiligte Partei: S M in B, vertreten durch Dr. Alexander Knotek und Mag. Florian Knotek, LL.M., Rechtsanwälte in 2500 Baden, Pergerstraße 12), zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §10
AlVG 1977 §38
MRK Art6
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §24
VwGVG 2014 §24 Abs3
VwGVG 2014 §24 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019080057.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

1 Mit Bescheid vom 11. April 2018 sprach das Arbeitsmarktservice Baden (AMS) aus, dass die Mitbeteiligte ihren Anspruch auf Notstandshilfe gemäß § 38 iVm. § 10 AlVG für den Zeitraum vom 22. März 2018 bis 2. Mai 2018 verloren habe. Eine Nachsicht werde nicht erteilt. Die Mitbeteiligte habe am 22. März 2018 eine ihr zugewiesene Stelle als Transitarbeitskraft nicht angetreten und dadurch die Aufnahme einer Beschäftigung vereitelt.

2 Die Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde, die vom AMS mit Beschwerdevorentscheidung vom 6. Juli 2018 abgewiesen wurde. Hinsichtlich des Vorbringens der Mitbeteiligten in der Beschwerde, sie sei an der Aufnahme der Beschäftigung durch einen "Arzttermin" gehindert gewesen, führte das AMS aus, dieser Termin sei von der Mitbeteiligten erst nach Zuweisung der Stelle vereinbart worden. Die Mitbeteiligte sei hinsichtlich der Erforderlichkeit des Arztbesuches auch nicht glaubwürdig. Wie sich darüber hinaus aus den Ordinationszeiten des behandelnden Arztes ergebe, wäre auch eine Verschiebung der Behandlung auf einen Termin möglich gewesen, der einer Arbeitsaufnahme nicht im Weg gestanden wäre.

3 In ihrem Vorlageantrag brachte die Mitbeteiligte vor, der vereinbarte Arzttermin sei aufgrund akuter Schmerzen vereinbart worden und notwendig gewesen. Eine Verschiebung sei nicht möglich gewesen. Dazu legte die Mitbeteiligte eine Bestätigung des behandelnden Arztes vor.

4 Mit der Vorlage der Beschwerde erstattete das AMS ein schriftliches Vorbringen und beantragte die Einvernahme des behandelnden Arztes der Mitbeteiligten zum Beweis dafür, dass eine Verschiebung der Behandlung möglich gewesen wäre.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) der Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung Folge und behob die Beschwerdevorentscheidung des AMS ersatzlos.

6 Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, die Mitbeteiligte sei wegen der erforderlichen ärztlichen Behandlung am 22. März 2018 an einer Arbeitsaufnahme gehindert gewesen. Eine Verschiebung sei nicht möglich gewesen. Diese Feststellungen gründeten sich auf den "unzweifelhaften Inhalt des Verwaltungsaktes" bzw. auf die von der Mitbeteiligten vorgelegten Urkunden. Die Mitbeteiligte habe ihre Verhinderung auch umgehend gemeldet. Eine vorsätzliche Vereitelung der Annahme der Beschäftigung durch die Mitbeteiligte liege daher nicht vor. 7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision des AMS, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem die Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattet hat, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

8 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit seiner Revision unter anderem vor, das Bundesverwaltungsgericht habe zu Unrecht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen.

9 Die Revision ist zulässig und berechtigt.

10 Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung im Sinne des § 24 Abs. 3 VwGVG kann auch im Weg von auf die Vernehmung von Zeugen durch das Verwaltungsgericht abzielenden Beweisanträgen gestellt werden (vgl. etwa VwGH 22.1.2019, Ra 2018/05/0187; 28.04.2016, Ra 2016/07/0030). Einen solchen Beweisantrag hat das AMS im vorliegenden Fall gestellt.

11 Das Verwaltungsgericht durfte gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrages von der Verhandlung nur absehen, wenn die Akten hätten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lasse, und wenn einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegengestanden wären. Bei Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung handelt es sich um "civil rights" im Sinn des Art. 6 EMRK (vgl. VwGH 17.11.2017, Ra 2017/08/0111, mwN).

12 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gehört es gerade im Fall widersprechender prozessrelevanter Behauptungen zu den grundlegenden Pflichten des Verwaltungsgerichts, dem auch im § 24 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsprinzip Rechnung zu tragen und sich als Gericht im Rahmen einer (bei Geltendmachung von "civil rights" in der Regel auch von Amts wegen durchzuführenden) mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien zu verschaffen und insbesondere darauf seine Beweiswürdigung zu gründen (vgl. nochmals VwGH 17.11.2017, Ra 2017/ 08/0111, mwN).

13 Im vorliegenden Fall lagen zweifellos, wie bereits dargestellt, widersprechende prozessrelevante Behauptungen vor, sodass eine Verhandlung durchzuführen gewesen wäre. Ein Absehen von der Verhandlung wäre im Übrigen zu begründen (vgl. VwGH 18.12.2018, Ra 2017/17/0710).

14 Da die Unterlassung der Durchführung einer mündlichen Verhandlung somit auf einer Verkennung der Vorgaben des § 24 VwGVG beruhte, war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Wien, am 13. Mai 2019

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