Normen
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
NAG 2005 §11 Abs1 Z4;
NAG 2005 §37 Abs4;
NAG 2005 §46 Abs1 Z2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §17;
VwGVG 2014 §24;
VwGVG 2014 §28 Abs2 Z2;
VwGVG 2014 §28 Abs2;
VwGVG 2014 §28 Abs3;
VwGVG 2014 §29 Abs1;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018220015.L00
Spruch:
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Am 1. September 2016 beantragte die Mitbeteiligte, eine mazedonische Staatsangehörige, unter Berufung auf ihre Ehe mit dem zur Niederlassung in Österreich berechtigten M J die Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" nach § 46 Abs. 1 Z 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG).
2 Mit Bescheid vom 19. April 2017 wies der Landeshauptmann von Wien (belangte Behörde) diesen Antrag gestützt auf § 11 Abs. 1 Z 4 NAG ab.
Die belangte Behörde verwies auf den Erhebungsbericht der (von ihr gemäß § 37 Abs. 4 NAG befassten) Landespolizeidirektion Wien (LPD), dem zufolge der Ehemann der Mitbeteiligten befragt worden sei und ihm zahlreiche "Facebook-Eintragungen" samt Fotos (auf denen die Mitbeteiligte mit ihrem Ex-Mann zu sehen sei) vorgehalten worden seien. Die belangte Behörde habe der Mitbeteiligten das Ergebnis der Beweisaufnahme zur Kenntnis gebracht und ihr die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt. In ihrer daraufhin erstatteten Stellungnahme habe die Mitbeteiligte unzureichende Ermittlungen durch die LPD moniert und die Vernehmung des Zeugen B J beantragt. Der Zeuge sei für den 25. April 2017 geladen worden, dem Termin aber unentschuldigt ferngeblieben. Angesichts des ermittelten Sachverhaltes gehe die belangte Behörde vom Bestehen einer Aufenthaltsehe aus, weshalb der Antrag abzuweisen gewesen sei.
3 Auf Grund der dagegen erhobenen Beschwerde der Mitbeteiligten behob das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Beschluss vom 7. November 2017 diesen Bescheid und verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG an die belangte Behörde zurück. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das Verwaltungsgericht für unzulässig.
Das Verwaltungsgericht hielt begründend fest, dass die belangte Behörde im Wesentlichen eigenständige Ermittlungen unterlassen und zur tauglichen Sachverhaltsfeststellung erforderliche Einvernahmen nicht durchgeführt habe. Der Hinweis auf das Fernbleiben des Zeugen B J sei unklar, weil der Termin für die Ladung handschriftlich geändert worden sei und der Zeuge nach Bescheiderlassung (aber offenbar bei dem Termin laut Ladung) einvernommen worden sei. Im Hinblick auf die Verantwortung der Mitbeteiligten zum Erhebungsbericht der LPD wären zwingend weitere Ermittlungen erforderlich gewesen. Das Unterlassen dieser Ermittlungen stelle ein "nach oben" Delegieren des Ermittlungsverfahrens dar.
4 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision.
5 Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
6 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, das Verwaltungsgericht sei von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Behebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 VwGVG abgewichen. Im angefochtenen Beschluss sei nicht nachvollziehbar begründet, warum kein Fall des § 28 Abs. 2 VwGVG vorliege bzw. warum das Verwaltungsgericht keine meritorische Entscheidungszuständigkeit angenommen habe.
Die Revision ist im Hinblick auf dieses Vorbringen zulässig und auch berechtigt.
7 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG (siehe das Erkenntnis VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063, auf das gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird) normiert diese Bestimmung einen prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen, zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Liegen die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG für eine Sachentscheidung vor, hat das Verwaltungsgericht jedenfalls eine solche zu treffen (vgl. VwGH 27.7.2017, Ra 2017/22/0033, Rn. 12, mwN).
8 Im vorliegenden Fall ist dem Verwaltungsgericht zuzugestehen, dass der belangten Behörde Ermittlungsmängel anzulasten sind bzw. dem bekämpften Bescheid Begründungsmängel anhaften. So ist eine Befragung der Mitbeteiligten zu der ihr vorgeworfenen Aufenthaltsehe unterblieben. Entgegen der vom Revisionswerber in der Revision offenbar vertretenen Auffassung kann von einer Vernehmung der Mitbeteiligten nicht deshalb abgesehen werden, weil es "in der Natur der Sache" liege, dass "die Mitbeteiligte das Eingehen einer Aufenthaltsehe leugnete", und dies keinen Grund darstellen könne, die Ermittlungen fortzuführen. Ebenso ist dem Revisionswerber anzulasten, dass die beantragte Vernehmung des Zeugen B J erst nach der Erlassung des Bescheides erfolgte. Daran können auch die diesbezüglichen - im Übrigen unklaren und für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbaren - Ausführungen in der Revision (wonach das Datum der Ladung des Zeugen nicht nachvollzogen werden könne bzw. "irrtümlicherweise" am 25. April 2017 der Bescheid zugestellt und der Zeuge einvernommen worden sei) nichts ändern. Der Hinweis im bekämpften Bescheid vom 19. April 2017 auf das unentschuldigte Fernbleiben des Zeugen B J ist schon im Hinblick auf das im Bescheid angegebene Datum der Ladung mit 25. April 2017 unverständlich. Zudem lässt die Begründung des bekämpften Bescheides eine Auseinandersetzung mit dem von der Mitbeteiligten in ihrer Stellungnahme zum Ergebnis der Beweiserhebungen erstatteten Vorbringen vermissen.
9 Allerdings rechtfertigen auch Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für sich allein keine Aufhebung und Zurückverweisung, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung zu vervollständigen sind (vgl. VwGH 12.12.2017, Ra 2017/22/0066, Rn. 15, mwN).
10 Vorliegend hat die belangte Behörde ein Verfahren nach § 37 Abs. 4 NAG eingeleitet und den daraufhin erstatteten Erhebungsbericht der LPD (betreffend die Vernehmung des Ehemannes der Mitbeteiligten sowie die von der LPD angestellten Nachforschungen auf den Facebook-Seiten der Mitbeteiligten, ihres Ehemannes sowie ihres Ex-Mannes) ihrer Entscheidung zugrunde gelegt. Angesichts dessen kann nicht gesagt werden, der Revisionswerber habe jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen oder lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt. Auch der Umstand, dass weitere Vernehmungen erforderlich sind, rechtfertigt für sich genommen eine Aufhebung und Zurückverweisung nicht (siehe VwGH 19.1.2017, Ro 2014/08/0084, mwN).
11 Vor allem aber lässt sich dem angefochtenen Beschluss keine Begründung dazu entnehmen, warum das Verwaltungsgericht davon ausgegangen ist, dass die Ergänzung des Ermittlungsverfahrens bzw. die Nachholung der fehlenden Feststellungen durch das Verwaltungsgericht selbst nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre (vgl. VwGH 30.6.2015, Ra 2014/03/0054, 0055; 20.6.2017, Ra 2017/18/0103, Rn. 17, mwN; eine Ergänzung der Begründung durch das Verwaltungsgericht im Zuge der Vorlage der Revision - wie vorliegend erfolgt - ist nicht möglich). Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt festgehalten, dass das Verwaltungsgericht nachvollziehbar zu begründen hat, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit nicht als gegeben annimmt (siehe VwGH 16.1.2018, Ra 2017/22/0162, Rn. 8, mwN). Auch der Verweis auf das Fehlen "eigenständiger" Ermittlungen der belangten Behörde stellt keine derartige Begründung dar, weil das Heranziehen von Erhebungsergebnissen der LPD im Verfahren nach § 37 Abs. 4 NAG vorgesehen ist.
12 Der angefochtene Beschluss ist daher mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet und war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 18. April 2018
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