VwGH Ra 2018/19/0703

VwGHRa 2018/19/070329.8.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des G O U, vertreten durch Mag. Martin Honemann, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Ölzeltgasse 4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. November 2018, I414 2197252-1/5E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

BFA-VG 2014 §21 Abs7
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §24

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018190703.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Nigerias und Angehöriger der Volksgruppe der Ibo, stellte am 15. August 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er im Wesentlichen damit, Mitglied der "Indigenious People of Biafra" (IPOB) zu sein und deshalb an Demonstrationen gegen die Regierung teilgenommen zu haben. Bei einer der Demonstrationen sei ein Polizist ums Leben gekommen. Der Revisionswerber werde auf Grund seiner politischen Tätigkeit von der Regierung verfolgt. Diese werfe ihm außerdem vor, am Tod des Polizisten beteiligt gewesen zu sein.

2 Mit Bescheid vom 19. April 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.

Das BFA erachtete das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers als nicht glaubhaft und hielt fest, weder von dessen Zugehörigkeit zur IPOB noch von seiner Teilnahme an Demonstrationen auszugehen. Der Revisionswerber sei keiner Gefährdung oder staatlichen Bedrohung ausgesetzt. Das diesbezügliche Vorbringen stelle sich als widersprüchlich und unglaubwürdig dar. Der Revisionswerber habe - aus näher genannten Gründen - im Fall seiner Rückkehr keinen Verlust seiner Existenzgrundlage zu fürchten. Eine besondere Integration in Österreich sei nicht erkennbar.

3 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde, in der er unter anderem die Heranziehung veralteter und nicht einschlägiger Länderberichte rügte. Diese seien überdies nur unvollständig ausgewertet worden. Berichte zur Situation von Mitgliedern der IPOB fehlten völlig, was eine ganzheitliche Prüfung des Vorbringens verhindert habe.

In der Beschwerde wurde insbesondere der Beweiswürdigung des BFA unter Bezugnahme auf dessen einzelne Argumente zur Begründung der Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens (zB fehlende konkrete Zeitangaben, keine genauen Angaben bezüglich der Anzahl der anwesenden Demonstranten, der von der IPOB verwendeten Fahnen und des Aushanges der Fahndungsliste der Polizei) entgegengetreten und einschlägiges Berichtsmaterial vorgelegt. Der Revisionswerber beantragte zudem die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. 4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, es könne entgegen dem Fluchtvorbringen nicht festgestellt werden, dass der Revisionswerber in seinem Herkunftsstaat Verfolgung aus asylrelevanten Gründen drohe. Der Revisionswerber habe den vom BFA festgestellten Sachverhalt in der Beschwerde weder substantiiert bestritten noch ein konkretes sachverhaltsbezogenes Vorbringen erstattet. Der maßgebliche Sachverhalt sei daher als ausreichend ermittelt anzusehen. Das BVwG schließe sich der Beweiswürdigung des BFA vollumfänglich an. Die freie Erzählung des Revisionswerbers sei vage und detailarm gewesen, zudem habe sich der Revisionswerber in Widersprüche verstrickt. Die Beschwerde sei der Ansicht des BFA, wonach das Fluchtvorbringen vage und oberflächlich und somit unglaubwürdig gewesen sei, in keiner Weise entgegengetreten. Für das BVwG bestehe somit kein Grund, an der Würdigung des BFA zu zweifeln.

 

5 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene außerordentliche Revision nach Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

6 Die vorliegende Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit unter anderem vor, das BVwG habe entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterlassen.

7 Die Revision ist zulässig und auch begründet.

8 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur Beurteilung, ob der Sachverhalt im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA-VG geklärt erscheint und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach dieser Bestimmung unterbleiben kann, folgende Kriterien beachtlich:

Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 bis 0018, sowie aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 23.1.2019, Ra 2018/19/0391).

9 Diesen Grundsätzen hat das BVwG im vorliegenden Fall nicht entsprochen:

10 Der Revisionswerber ist in seiner Beschwerde der Beweiswürdigung des BFA inhaltlich entgegengetreten, indem er hinsichtlich zentraler Argumente der behördlichen Erwägungen konkret aufzeigte, weshalb diese nicht zutreffend seien. Zudem erstattete der Revisionswerber Vorbringen zur Aufklärung vermeintlicher Widersprüche und erläuterte Zusammenhänge, die gegen die Annahmen des BFA sprechen würden. Der Revisionswerber hat die erstinstanzliche Beweiswürdigung damit nicht bloß unsubstantiiert bestritten.

11 Demnach lagen die Voraussetzungen für die Abstandnahme von einer Verhandlung nicht vor. Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und des - wie hier gegeben - Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. erneut VwGH Ra 2018/19/0391, mwN).

12 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit.c VwGG aufzuheben.

13 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 29. August 2019

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