Normen
BFA-VG 2014 §21 Abs7
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §24
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2018190501.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 13. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen gab er an, drei seiner Onkel seien Mitglieder der Taliban gewesen und hätten ihn für den Jihad rekrutieren wollen. Als die Taliban die Stadt Kunduz übernommen hätten, habe der Revisionswerber Angst bekommen und sei geflüchtet. Er fürchte im Fall einer Rückkehr, zum Jihad gezwungen und dann umgebracht zu werden. Seine Eltern seien zur Zeit der Taliban gestorben. Der Vater des Revisionswerbers sei selbst Taliban gewesen und habe damals große Grausamkeiten begangen. Aus diesem Grund hätten sie an vielen Orten Feinde gehabt. 2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies den Antrag mit Bescheid vom 14. Dezember 2017 zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und sprach aus, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise setzte das BFA mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Begründend führte das BFA aus, der Revisionswerber habe nicht glaubhaft machen können, von Seiten der Taliban respektive von seinen Onkeln persönlich verfolgt oder bedroht worden zu sein. Es sei glaubhaft, dass der Revisionswerber auf Grund der Eroberung der Provinz bzw. der Stadt Kunduz durch die Taliban im September 2015 Angst um sein Leben gehabt und deshalb die Flucht ergriffen habe. Ungeachtet des Wahrheitsgehaltes würden die vom Revisionswerber geltend gemachten Umstände nicht zur Begründung einer asylrelevanten Bedrohung genügen, zumal nicht von einer völlig mangelnden Schutzfähigkeit und -willigkeit staatlicher Behörden auszugehen sei. Ebenso wäre es unwahrscheinlich, dass der Revisionswerber im gesamten Staatsgebiet ausfindig gemacht werden könne. Der Revisionswerber habe die Möglichkeit, sich in sicheren Provinzen wie Kabul, Balkh oder Herat niederzulassen. 4 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde, in der unter anderem eine Verletzung der Ermittlungspflicht, mangelhafte Länderberichte sowie die Beweiswürdigung des BFA gerügt wurden. Der Revisionswerber legte verschiedene Länderberichte zur Untermauerung seines Fluchtvorbringens und seiner Flüchtlingseigenschaft auf Grund einer drohenden Zwangsrekrutierung durch die Taliban vor. Weiters monierte er, dass sich das BFA in der Beweiswürdigung auf angebliche Widersprüche zwischen Erstbefragung und Einvernahme gestützt habe. Auch habe ihm das BFA zu Unrecht unterstellt, sein Vorbringen sehr emotionslos geschildert zu haben. Zudem sei dem BFA durch den bloßen Verweis auf die Staatendokumentation, wonach Drohbriefe der Taliban gekauft werden könnten, eine antizipierende Beweiswürdigung anzulasten. Er sei bereits nach wenigen Tagen von seinen Verfolgern in Kabul gefunden worden, eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe nicht. Der Revisionswerber beantragte in der Beschwerde außerdem die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, weil eine solche insbesondere zur Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung und der Verfolgungssituation durch die Taliban erforderlich sei.
5 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab (Spruchpunkt A.) und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B.).
6 Das BVwG führte dazu zusammengefasst aus, dass der Revisionswerber - wie bereits in der Beweiswürdigung des BFA festgehalten - mit seinem Vorbringen keine gezielte Verfolgung seiner Person aufgezeigt habe. Im Einklang mit den beweiswürdigenden Erwägungen des BFA werde es als glaubwürdig erachtet, dass der Revisionswerber seinen Herkunftsstaat auf Grund allgemeiner Sicherheitsbedenken angesichts der Eroberung seiner Heimatregion durch die Taliban im Jahr 2015 verlassen habe. Er habe zu seinem in Österreich lebenden Bruder reisen wollen, dem hier zuvor der Status eines Asylberechtigten zuerkannt worden sei, ohne im Vorfeld jedoch einer konkreten Bedrohung durch die Taliban respektive seine Onkel ausgesetzt gewesen zu sein. Anders als sein Bruder habe der Revisionswerber sein Vorbringen auch nicht durch Beweismittel untermauern vermocht. Es müsse daher davon ausgegangen werden, dass der Revisionswerber zu keinem Zeitpunkt einer vergleichbaren Bedrohung wie sein Bruder, der Afghanistan bereits im Jahr 2010 verlassen habe, ausgesetzt gewesen sei. Selbst im Fall einer Wahrunterstellung sei es unwahrscheinlich, dass sich die vom Revisionswerber geschilderte Verfolgung durch seine den Taliban angehörenden Onkel auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken würde. Überdies könne der Revisionswerber in zumutbarer Weise in andere Landesteile Afghanistans, insbesondere in die Hauptstadt Kabul, verwiesen werden. In Hinblick auf die Prüfung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führte das BVwG aus, dass dem Revisionswerber bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Kunduz die reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK drohen würde. Das BVwG verwies jedoch wiederum auf eine bestehende Übersiedlungsmöglichkeit in andere Landesteile Afghanistans, konkret in die Hauptstadt Kabul. Es handle sich beim Revisionswerber um einen arbeitsfähigen Mann im erwerbsfähigen Alter mit zehnjähriger Schulbildung sowie Berufserfahrung als Zahnarzthelfer und Verkäufer, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene außerordentliche Revision nach Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
8 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit unter anderem vor, das BVwG habe entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterlassen.
9 Die Revision ist zulässig und auch begründet.
10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur Beurteilung, ob der Sachverhalt im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA-VG geklärt erscheint und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach dieser Bestimmung unterbleiben kann, folgende Kriterien beachtlich:
11 Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 bis 0018, sowie aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 29.8.2019, Ra 2018/19/0703, mwN).
12 Diesen Grundsätzen hat das BVwG im vorliegenden Fall nicht entsprochen:
13 Der Revisionswerber ist in seiner Beschwerde der Beweiswürdigung des BFA inhaltlich entgegengetreten, indem er unter anderem Vorbringen zur Aufklärung vermeintlicher Widersprüche erstattete und sich gegen die Annahme der Behörde wandte, sein Fluchtvorbringen sei auch deshalb unglaubwürdig, weil er dieses sehr emotionslos geschildert habe. Zudem legte der Revisionswerber einschlägige Länderberichte vor und trat der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul konkret entgegen. Der Revisionswerber hat den von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhalt damit nicht bloß unsubstantiiert bestritten.
14 Das BVwG schloss sich den Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung zwar grundsätzlich an, es setzte sich jedoch auch mit dem Beschwerdevorbringen des Revisionswerbers auseinander. So ergänzte das BVwG die Erwägungen des BFA um eigene Ausführungen zum Verfahren des Bruders des Revisionswerbers, dem auf Basis eines inhaltlich vergleichbaren Fluchtvorbringens der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden war.
15 Demnach lagen die Voraussetzungen für die Abstandnahme von der Durchführung einer Verhandlung nicht vor. Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und des - wie hier gegeben - Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. VwGH 29.8.2019, Ra 2019/19/0138, mwN). 16 Das angefochtene Erkenntnis war daher schon deshalb wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.
17 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20
14.
Wien, am 9. Jänner 2020
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