VwGH Ra 2018/18/0285

VwGHRa 2018/18/028512.3.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des A B, vertreten durch Mag. Wolfgang Winkler, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Ditscheinergasse 2/4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. April 2018, Zl. I411 2156807- 1/9E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

BFA-VG 2014 §21 Abs7;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018180285.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber ist Staatsangehöriger Algeriens und stellte am 23. Februar 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet. Anlässlich seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gab er zu seinen Fluchtgründen befragt an, homosexuell zu sein und deshalb bei Rückkehr nach Algerien bestraft zu werden.

2 Mit Bescheid vom 18. April 2017 wies das BFA den Antrag auf internationalen Schutz ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Algerien zulässig sei. Die Behörde hielt weiters fest, dass eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht bestehe, und erkannte einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung ab.

3 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde, in der er u.a. darlegte, aus welchen konkreten Gründen die Annahme des BFA, er sei nicht homosexuell, und die diesbezügliche behördliche Beweiswürdigung unzutreffend seien. Das BFA habe seine beweiswürdigenden Erwägungen auf verschiedene Klischees gegründet, die - wie in der Beschwerde näher dargestellt - in mehrerlei Hinsicht ungeeignet seien, um die Glaubhaftigkeit der Angaben des Revisionswerbers betreffend seine sexuelle Ausrichtung zu entkräften.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Gericht für nicht zulässig.

Hinsichtlich der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unterbliebenen mündlichen Verhandlung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, es seien die Voraussetzungen des § 21 Abs. 7 BFA-VG vorgelegen, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine. Der Sachverhalt sei durch das BFA vollständig erhoben worden. Das Gericht habe sich der Beweiswürdigung der Behörde zur Gänze angeschlossen. Das Beschwerdevorbringen werfe keine neuen oder noch zu klärenden Sachverhaltsfragen auf und richte sich ausschließlich gegen die rechtliche Beurteilung. Es seien keine weiteren Beweise aufzunehmen gewesen. Davon ausgehend sei aufgrund der Aktenlage zu entscheiden gewesen.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit u.a. geltend macht, das Bundesverwaltungsgericht habe entgegen der Bestimmung des § 21 Abs. 7 BFA-VG von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen.

6 Das BFA erstattete keine Revisionsbeantwortung.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7 Die Revision ist zulässig und begründet.

8 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum auch hier maßgeblichen § 21 Abs. 7 erster Fall BFA-VG ist ein Absehen von der mündlichen Verhandlung dann gerechtfertigt, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018).

9 Fallbezogen lagen die Voraussetzungen für das Absehen von der mündlichen Verhandlung schon deshalb nicht vor, weil der Revisionswerber in der Beschwerde der Beweiswürdigung des BFA substantiiert entgegengetreten ist und hinsichtlich zentraler Argumente der behördlichen Erwägungen konkret aufzeigte, weshalb diese untauglich seien, um seinen Ausführungen zu seiner Homosexualität die Glaubhaftigkeit abzusprechen.

10 Ausgehend davon wäre das Bundesverwaltungsgericht gehalten gewesen, die beantragte mündliche Verhandlung durchzuführen (vgl. erneut VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018).

11 Das angefochtene Erkenntnis war somit wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

12 Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 12. März 2019

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