Normen
AsylG 2005 §57;
AsylG 2005 §59 Abs4;
AVG §56;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
NAG 2005 §1 Abs2 Z1;
NAG 2005 §20 Abs2;
NAG 2005 §41a Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §17;
VwGVG 2014 §27;
VwGVG 2014 §28;
VwRallg;
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Die Mitbeteiligte, eine philippinische Staatsangehörige, verfügte über eine Aufenthaltsbewilligung "besonderer Schutz" gemäß § 69a Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG idF BGBl. I Nr. 38/2011) mit einer Gültigkeitsdauer bis 25. Juli 2015. Sie war als Hausangestellte eines Diplomaten tätig und es besteht der begründete Verdacht, dass sie in diesem Arbeitsverhältnis Opfer von Ausbeutung und Menschenhandel wurde. Ein Verfahren bei der Staatsanwaltschaft Wien ist anhängig.
2 Mit dem Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012, wurde der Aufenthaltstitel "besonderer Schutz", der zuvor in § 69a NAG geregelt war, inhaltsgleich in § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) übernommen; das Verlängerungsverfahren ist in § 59 AsylG 2005 geregelt.
3 Mit Schriftsatz vom 7. Juli 2015 beantragte die Mitbeteiligte beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Revisionswerber) die Verlängerung ihres Aufenthaltstitels. Sie führte weiter aus, sie erfülle die in § 59 Abs. 4 AsylG 2005 genannten Voraussetzungen und ersuche daher, der Revisionswerber wolle die nach dem NAG örtlich zuständige Behörde darüber in Kenntnis setzen, dass sie die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 41a Abs. 3 NAG erfülle.
4 In einem Aktenvermerk vom 13. Dezember 2016 hielt der Revisionswerber - soweit für das vorliegende Verfahren relevant - fest, es bestehe weiterhin der dringende Verdacht, dass die Mitbeteiligte Opfer einer strafbaren Handlung geworden sei. Einer Stellungnahme der Landespolizeidirektion Wien vom 4. Februar 2016 zufolge lägen keine fremdenpolizeilichen Bedenken gegen die Erteilung des Aufenthaltstitels vor. Da die Mitbeteiligte die erforderlichen Identitätsdokumente vorgelegt habe, sei "ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 zu erteilen".
5 Am 28. Dezember 2016 erteilte der Revisionswerber der Mitbeteiligten eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 AsylG 2005.
6 In der dagegen erhobenen Beschwerde machte die Mitbeteiligte geltend, der Revisionswerber hätte gemäß § 59 Abs. 4 AsylG 2005 eine Mitteilung an die nach dem NAG zuständige Behörde machen müssen, damit ihr eine "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 41a Abs. 3 NAG erteilt werde.
7 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis sprach das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) aus, der Revisionswerber habe gegen § 59 Abs. 4 AsylG 2005 verstoßen, indem er - trotz Erfüllung der Kriterien des § 59 Abs. 4 Z 1 bis 3 AsylG 2005 durch die Mitbeteiligte - die Mitteilung an die nach dem NAG örtlich zuständige Behörde unterlassen habe (Spruchpunkt A I.); weiter stellte das BVwG gemäß § 59 Abs. 1 AsylG 2005 fest, dass sich die Mitbeteiligte bis zur Ausfolgung eines Aufenthaltstitels gemäß § 41a Abs. 3 NAG weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte (Spruchpunkt A II.), und machte eine entsprechende Mitteilung gemäß § 59 Abs. 4 AsylG 2005 an die nach dem NAG zuständige Behörde (Spruchpunkt A III.). Eine ordentliche Revision wurde für nicht zulässig erklärt (Spruchpunkt B).
8 Begründend führte das BVwG aus, die Mitbeteiligte erfülle die in § 59 Abs. 4 Z 1 bis 3 AsylG 2005 genannten Kriterien, weshalb die Voraussetzungen für eine Mitteilung an die nach dem NAG zuständige Behörde zum Zweck der amtswegigen Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 41a Abs. 3 NAG erfüllt seien. § 59 Abs. 4 AsylG 2005 lasse keine Wahlmöglichkeit, sondern lege ausdrücklich fest, dass der nach dem NAG zuständigen Behörde die Erfüllung der Kriterien des § 59 Abs. 4 Z 1 bis 3 AsylG 2005 mitzuteilen sei. Da das BVwG in der Sache zu entscheiden habe, ergehe eine entsprechende Mitteilung gemäß § 59 Abs. 4 AsylG 2005, damit der Mitbeteiligten amtswegig ein Aufenthaltstitel gemäß § 41a Abs. 3 NAG erteilt werde.
9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision.
10 Die Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
11 Der Revisionswerber bringt in der Zulässigkeitsbegründung vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage, ob § 59 Abs. 4 erster Satz AsylG 2005 der Verlängerungsantragstellerin ein subjektiv-öffentliches Recht einräume, dass die nach dem NAG zuständige Behörde verständigt werde, damit diese amtswegig einen Aufenthaltstitel erteile.
12 Die Revision erweist sich als zulässig und auch als berechtigt.
13 § 59 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 70/2015, lautete:
"Verlängerungsverfahren des Aufenthaltstitels ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz'
§ 59. (1) Anträge auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 sind vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels, frühestens jedoch drei Monate vor diesem Zeitpunkt, beim Bundesamt einzubringen. Danach gelten Anträge als Erstanträge. Nach Stellung eines Verlängerungsantrages ist der Antragsteller, unbeschadet der Bestimmung nach dem FPG, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Über die rechtzeitige Antragstellung kann dem Drittstaatsangehörigen auf begründeten Antrag eine einmalige Bestätigung im Reisedokument angebracht werden, die keine längere Gültigkeitsdauer als drei Monate aufweisen darf. Diese Bestätigung berechtigt zur visumfreien Einreise in das Bundesgebiet. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, Form und Inhalt der Bestätigung durch Verordnung zu regeln.
(2) Die Gültigkeitsdauer eines verlängerten Aufenthaltstitels beginnt mit dem auf den letzten Tag des letzten Aufenthaltstitels folgenden Tag, wenn seither nicht mehr als sechs Monate vergangen sind. Der rechtmäßige Aufenthalt im Bundesgebiet im Zeitraum zwischen Ablauf des letzten Aufenthaltstitels und Beginn der Gültigkeitsdauer des verlängerten Aufenthaltstitels ist gleichzeitig mit dessen Erteilung von Amts wegen gebührenfrei mit Bescheid festzustellen.
(3) ...
(4) Das Bundesamt hat der örtlich zuständigen Behörde nach dem NAG unverzüglich mitzuteilen, dass
- 1. die Voraussetzung(en) des § 57 weiterhin vorliegen,
- 2. der Antragsteller das Modul 1 der
Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG erfüllt hat, und
3. die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 bis 4 erfüllt sind. Liegen die Voraussetzungen der Z 2 oder Z 3 nicht vor, hat das Bundesamt den Aufenthaltstitel gemäß § 57 zu erteilen. Die Entscheidung über den Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels nach Abs. 1 ist unverzüglich, längstens jedoch binnen 4 Monaten ab Einbringung des Antrages zu treffen.
(5) Im Falle einer Mitteilung gemäß Abs. 4 ist der Ablauf der Frist gemäß Abs. 4 letzter Satz gehemmt. Das Bundesamt hat den Antragsteller von der Mitteilung in Kenntnis zu setzen. Mit Ausfolgung des Aufenthaltstitels gemäß § 41a Abs. 3 NAG ist das Verlängerungsverfahren formlos einzustellen."
14 §§ 1, 20 und 41a Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 122/2015, lauteten (auszugsweise):
"Geltungsbereich
§ 1. (1) Dieses Bundesgesetz regelt die Erteilung, Versagung und Entziehung von Aufenthaltstiteln von Fremden, die sich länger als sechs Monate im Bundesgebiet aufhalten oder aufhalten wollen, sowie die Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts.
(2) Dieses Bundesgesetz gilt nicht für Fremde, die
1. nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100, oder nach vorigen asylgesetzlichen Bestimmungen zum Aufenthalt berechtigt sind ...
Gültigkeitsdauer von Aufenthaltstiteln
§ 20. (1) ...
(2) Die Gültigkeitsdauer eines Aufenthaltstitels beginnt mit dem Ausstellungsdatum, die Gültigkeitsdauer eines verlängerten Aufenthaltstitels mit dem auf den letzten Tag des letzten Aufenthaltstitels folgenden Tag, wenn seither nicht mehr als sechs Monate vergangen sind. Der rechtmäßige Aufenthalt im Bundesgebiet im Zeitraum zwischen Ablauf des letzten Aufenthaltstitels und Beginn der Gültigkeitsdauer des verlängerten Aufenthaltstitels ist gleichzeitig mit dessen Erteilung von Amts wegen gebührenfrei mit Bescheid festzustellen.
(3) ...
Aufenthaltstitel ‚Rot-Weiß-Rot - Karte plus'
§ 41a. (1) ...
(3) Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" zu erteilen, wenn eine Mitteilung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 59 Abs. 4 AsylG 2005 vorliegt. Der Aufenthaltstitel ist unverzüglich, längstens jedoch binnen acht Wochen ab Zustellung der Mitteilung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, zu erteilen. § 20 Abs. 2 gilt sinngemäß.
(4) ..."
15 §§ 17, 28 und 31 VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. Nr. 24/2017, lauten (auszugsweise):
"Anzuwendendes Recht
§ 17. Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Erkenntnisse
§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
- 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
- 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das
Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) ...
Beschlüsse
§ 31. (1) Soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss.
(2) ..."
16 Die Mitbeteiligte war im Besitz eines Aufenthaltstitels "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" und stellte vor Gültigkeitsablauf einen Verlängerungsantrag gemäß § 59 AsylG 2005. Sie erfüllt unstrittig die Voraussetzungen gemäß § 59 Abs. 4 AsylG 2005; dennoch unterließ der Revisionswerber die in dieser Bestimmung vorgesehene Mitteilung an die nach dem NAG zuständige Behörde.
17 In ihrem Antrag vom 7. Juli 2015 ersuchte die Mitbeteiligte ausdrücklich um eine entsprechende Mitteilung gemäß § 59 Abs. 4 AsylG 2005. Aus dem eindeutigen Wortlaut dieser
Bestimmung ("Das Bundesamt hat ... unverzüglich mitzuteilen, ...")
geht hervor, dass dem Bundesamt kein Ermessen eingeräumt ist, ob es eine solche Mitteilung macht oder nicht; der Antragsteller hat vielmehr ein Recht darauf, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 59 Abs. 4 AsylG 2005 vorgegangen wird, zumal es in seinem Interesse liegt, dass ihm eine "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" ausgestellt wird.
Da der Revisionswerber den Antrag der Mitbeteiligten nicht zurückwies, sondern inhaltlich darüber entschied, war die Entscheidung über ein Vorgehen nach § 59 Abs. 4 AsylG 2005 auch Gegenstand des behördlichen Verfahrens und damit von der vom BVwG zu entscheidenden Sache umfasst. Demnach ging das BVwG dem Grunde nach zu Recht davon aus, eine Mitteilung gemäß § 59 Abs. 4 AsylG an die nach dem NAG zuständige Behörde vornehmen zu müssen.
Fallbezogen ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Revisionswerber der Mitbeteiligten einen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt hatte und dieser zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses noch aufrecht war. Die Mitbeteiligte war somit aufgrund dieses Aufenthaltstitels zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt. Daher wäre der nach dem NAG zuständigen Behörde gemäß § 1 Abs. 2 Z 1 NAG die Erteilung eines Aufenthaltstitels verwehrt. Es wäre daher erforderlich gewesen, anstelle des Ausspruchs über das Vorliegen eines Verstoßes nach § 59 Abs. 4 AsylG 2005 die als Bescheid zu wertende Ausstellung der Aufenthaltsberechtigung in Kartenform gemäß § 57 AsylG 2005 zu beheben, damit ein Aufenthaltstitel gemäß § 41a Abs. 3 NAG erteilt und in der Folge das Verlängerungsverfahren eingestellt werden kann.
Darüber hinaus ist die in Spruchpunkt A I. getroffene Feststellung, wonach der Revisionswerber gegen § 59 Abs. 4 AsylG 2005 verstoßen habe, weil er trotz Vorliegen der Voraussetzungen eine Mitteilung unterlassen und einen Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 ausgestellt habe, gesetzlich nicht ausdrücklich vorgesehen, wurde von der Mitbeteiligten nicht beantragt und es ist auch kein öffentliches Interesse an einer solchen Feststellung erkennbar (vgl. VwGH 6.7.2016, Ra 2016/01/0119, mwN).
18 Indem das BVwG dies verkannte, belastete es die Spruchpunkte A I. und A. III. des angefochtenen Erkenntnisses bereits aus diesem Grund mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
19 In Spruchpunkt A II. stellte das BVwG fest, dass der Aufenthalt der Mitbeteiligten bis zur Ausfolgung eines Aufenthaltstitels gemäß § 41a Abs. 3 NAG rechtmäßig sei. Dabei übersah das BVwG jedoch, dass diese Feststellung gemäß § 20 Abs. 2 NAG gleichzeitig mit der Erteilung des Aufenthaltstitels gemäß § 41a Abs. 3 NAG durch die nach dem NAG zuständige Behörde zu erfolgen hat. Auch hinsichtlich des Spruchpunktes A II. erweist sich das angefochtene Erkenntnis daher als rechtswidrig.
20 Es war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 12. Dezember 2017
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