VwGH Ra 2017/21/0206

VwGHRa 2017/21/020614.11.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Samonig, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das am 14. Juli 2017 mündlich verkündete und am 18. September 2017 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, W171 2163672-1/16E, betreffend Schubhaft (mitbeteiligte Partei: A A in W, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, 1170 Wien, Wattgasse 48, 3. Stock), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z1;
VwGG §34 Abs1;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein algerischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner Einreise in Österreich Mitte Mai 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen Antrag wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit rechtskräftigem Bescheid vom 2. März 2016 vollinhaltlich ab; unter einem erging gegen den Mitbeteiligten eine Rückkehrentscheidung.

2 Der Mitbeteiligte wurde am 1. Juli 2017 entsprechend einem am 8. Mai 2017 gemäß § 34 Abs. 3 Z 2 BFA-VG erteilten Auftrag im Rahmen einer fremdenpolizeilichen Kontrolle während einer Zugfahrt von Wien nach Linz festgenommen. Anschließend verhängte das BFA über den Mitbeteiligten, ohne ihn zuvor niederschriftlich zu befragen, mit Mandatsbescheid vom 1. Juli 2017 gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG Schubhaft zum Zweck der Sicherung seiner Abschiebung.

3 Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen, am 14. Juli 2017 in der mündlichen Verhandlung verkündeten Erkenntnis gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 1 FPG dahin Folge, dass der Schubhaftbescheid des BFA aufgehoben und die Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft vom 1. Juli 2017 bis 14. Juli 2017 für rechtswidrig erklärt wurde. Des Weiteren stellte das BVwG gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorlägen. Überdies traf das BVwG diesem Verfahrensergebnis entsprechende Kostenentscheidungen. Außerdem sprach es gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

6 In dieser Hinsicht wendet sich das BFA in der Amtsrevision gegen die Annahme des BVwG, die Verhängung und Aufrechterhaltung der Schubhaft gegen den Mitbeteiligten sei trotz des Vorliegens von Fluchtgefahr angesichts des Bestehens von ausreichenden sozialen Kontakten einschließlich eines "gesicherten Wohnsitzes" bei der Freundin Ulrike A. in Wien, bei der er auch schon früher (zum Teil gemeldet) gewohnt habe, unverhältnismäßig gewesen.

7 In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wurde bereits dargelegt, dass die Frage, ob konkret von einem Sicherungsbedarf bzw. von (erheblicher) Fluchtgefahr auszugehen sei, stets eine solche des Einzelfalles ist, die daher nicht generell zu klären und als einzelfallbezogene Beurteilung grundsätzlich nicht revisibel ist, wenn diese Beurteilung auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage in vertretbarer Weise vorgenommen wurde. Das gilt sinngemäß auch für die Frage, ob von einem Sicherungsbedarf auszugehen ist, dem nur durch Schubhaft und nicht auch durch gelindere Mittel begegnet werden könne (vgl. etwa VwGH 31.8.2017, Ro 2016/21/0014, Rn. 18, mwN), und auch für die Frage, ob sich die Schubhaft nach Abwägung der wechselseitigen Interessen als verhältnismäßig erweist.

8 Dem trägt das BFA in der Amtsrevision im Ergebnis insofern Rechnung, als es in Bezug auf die fallbezogene Annahme einer Unverhältnismäßigkeit der gegenständlichen Schubhaft nicht diese Wertung, sondern nur die dieser Beurteilung vom BVwG zugrunde gelegten sachverhaltsmäßigen Prämissen bekämpft und diesbezüglich eine nicht nachvollziehbare Begründung der Beweiswürdigung geltend macht.

9 Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG läge im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung jedoch nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. etwa VwGH 28.4.2015, Ra 2015/02/0072, mit dem Hinweis auf VwGH 18.2.2015, Ra 2015/08/0008; vgl. darauf Bezug nehmend etwa auch VwGH 15.10.2015, Ra 2015/21/0142, mwN). Das ist entgegen der Meinung des BFA vorliegend nicht der Fall. Das BVwG stützte die maßgebenden Feststellungen nämlich ausreichend nachvollziehbar auf die - wegen deren Übereinstimmung und aufgrund des in der Verhandlung erlangten persönlichen Eindrucks - als glaubwürdig eingeschätzten Angaben des Mitbeteiligten und der vernommenen Zeugin Ulrike A. Diesbezüglich räumt aber auch das BFA ein, dass bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit dem im Rahmen einer Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck entscheidende Bedeutung zukommt (siehe zur deshalb gebotenen Verhandlungspflicht in einem Schubhaftfall etwa VwGH 15.9.2016, Ro 2015/21/0043 bis 0045, Rn. 12).

10 In der Amtsrevision wird zwar dargetan, dass das BVwG aufgrund bestimmter Umstände in Bezug auf die als wesentlich erachteten sozialen Anknüpfungspunkte samt gesicherter Wohnmöglichkeit des Mitbeteiligten beweiswürdigend auch zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können. Das genügt aber am Maßstab der erwähnten Judikatur nicht für die Darlegung der Revisionszulässigkeit, weil der Verwaltungsgerichtshof nicht dazu berufen ist, die Beweiswürdigung des BVwG auf ihre Richtigkeit hin zu beurteilen, das heißt, sie mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Ablauf der Ereignisse bzw. ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. etwa aus der letzten Zeit VwGH 10.8.2017, Ra 2016/20/0256, Rn. 8, mwN).

11 Richtig ist in diesem Zusammenhang zwar, dass in der Beschwerde geltend gemacht wurde, der Mitbeteiligte habe beabsichtigt, seine "Verlobte" M S. in Linz zu besuchen und bei ihr Unterkunft zu beziehen, was von der Genannten noch am 1. Juli 2017 gegenüber Organen der festnehmenden Sicherheitsbehörde bestätigt worden sei, und dass zum Beweis für dieses Vorbringen in der Beschwerde deren zeugenschaftliche Einvernahme in einer Verhandlung vor dem BVwG beantragt wurde. Das hinderte das BVwG aber nicht, die dann zu Tage getretenen Verhandlungsergebnisse zu berücksichtigen, wonach der Mitbeteiligte M S. in Linz nur kurzfristig habe besuchen und dann wieder nach Wien zurückkehren wollen, wo bei U A. eine gesicherte Wohnmöglichkeit bis zu seiner Ausreise nach Algerien bestanden habe. Dabei unterstellte das BVwG noch ausreichend erkennbar (vgl. Punkt II.2.4 iVm II.3.1.4. und II.3.1.5. des angefochtenen Erkenntnisses) und nicht unvertretbar, dass diese Umstände schon bei der Schubhaftverhängung vorlagen und sich bei einer entsprechenden niederschriftlichen Einvernahme durch das BFA herausgestellt hätten, sodass aus der Sicht des BVwG folglich auch schon die Anordnung der Schubhaft rechtswidrig war. Auch insoweit liegt daher - entgegen der Meinung in der Amtsrevision - kein zur (teilweisen) Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses führender wesentlicher Begründungsmangel vor.

12 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Wien, am 14. November 2017

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