Normen
BFA-VG 2014 §21 Abs7;
VwGVG 2014 §24;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017200405.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der vom Revisionswerber, einem Staatsangehörigen von Pakistan, nach dem Asylgesetz 2005 gestellte Antrag auf internationalen Schutz wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl abgewiesen. Unter einem wurde ihm kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass seine Abschiebung nach Pakistan zulässig sei, und eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ging in seiner Begründung - soweit hier wesentlich - davon aus, der geltend gemachte Fluchtgrund sei nicht glaubhaft gemacht worden. Es werde davon ausgegangen, dass der Revisionswerber sein Heimatland nur wegen der Hoffnung auf eine wirtschaftliche und soziale Besserstellung verlassen habe.
3 Das Bundesverwaltungsgericht gab der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde keine Folge und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei. Wie zuvor die Behörde schenkte das Verwaltungsgericht dem Vorbringen zum Fluchtgrund keinen Glauben. Davon ausgehend habe die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nicht zu erfolgen. Aber selbst im Fall der Wahrunterstellung des Fluchtvorbringens verfüge der Revisionswerber über eine innerstaatliche Fluchtalternative.
4 Die vom Revisionswerber beantragte Verhandlung führte das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) nicht durch. Es ging in seiner diesbezüglichen Begründung davon aus, dass die Verhandlung selbst dann unterbleiben dürfe, wenn aus den bisherigen Ermittlungen Schlüsse gezogen würden, mit denen die Beweiswürdigung des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl ergänzt werde. Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG dürfe nämlich auch dann von der Verhandlung abgesehen werden, wenn sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergebe, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspreche.
5 Die Zulässigkeit der Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG verneinte das Bundesverwaltungsgericht unter Hinweis darauf, dass das Schwergewicht seiner Entscheidung in Fragen der Beweiswürdigung liege. Zudem habe sich das Verwaltungsgericht auf die zu früheren Bestimmungen ergangene Rechtsprechung stützen können, die auf die aktuelle Rechtlage zu übertragen sei.
6 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen gerichtete Revision nach Vorlage derselben sowie der Verfahrensakten und nach Einleitung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
7 Die Revision macht zu ihrer Zulässigkeit - mit näherer Begründung - geltend, das Bundesverwaltungsgericht habe in rechtswidriger Weise von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen.
8 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet. 9 Gemäß dem hier maßgeblichen § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine
mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
10 Seit seinem Erkenntnis vom 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017 und 0018, judiziert der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung (vgl. dazu etwa VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0412; 22.11.2017, Ra 2017/19/0275, jeweils mwN), dass für die Beurteilung, ob der Sachverhalt im Sinn des ersten Falles des § 21 Abs. 7 erster Satz BFA-VG geklärt erscheint und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach dieser Bestimmung daher unterbleiben kann, folgende Kriterien beachtlich sind:
Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht muss die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.
11 Das Bundesverwaltungsgericht hat die beweiswürdigenden Überlegungen der Verwaltungsbehörde nicht bloß unwesentlich ergänzt. Das stellt das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung auch gar nicht in Abrede. Somit konnte es sich bei der Abstandnahme von der Verhandlung nicht auf den ersten Fall des § 21 Abs. 7 erster Satz BFA-VG stützen (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 31.1.2018, Ra 2017/19/0443; 22.11.2017, Ra 2017/19/0412; 22.11.2017, Ra 2017/19/0275; 14.11.2017, Ra 2017/20/0142; 20.9.2017, Ra 2017/19/0207, jeweils mwN).
12 Vielmehr erachtete das Bundesverwaltungsgericht den zweiten Fall des § 21 Abs. 7 erster Satz BFA-VG als erfüllt. Zu dieser Bestimmung hat der Verwaltungsgerichtshof allerdings bereits festgehalten, dass die Voraussetzungen für deren Anwendbarkeit jedenfalls dann nicht vorliegen, wenn aufgrund einer umfangreichen eigenen Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichtes der Schluss gezogen wird, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspreche. Eine solche Beweiswürdigung hat regelmäßig erst nach einer mündlichen Verhandlung, in der auch ein persönlicher Eindruck vom Asylwerber gewonnen werden kann, zu erfolgen (vgl. VwGH 13.9.2016, Ra 2016/01/0070, 19.1.2016, Ra 2014/01/0122; 27.1.2015, Ra 2014/19/0014).
13 Soweit das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen seiner Alternativbegründung davon ausgeht, dass dem Revisionswerber eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht, ist darauf hinzuweisen, dass entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts von einer Wahrunterstellung keine Rede sein kann, weil es auch bei der Beurteilung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist, dem dies bestreitenden sachverhaltsbezogenen Vorbringen ausdrücklich die Glaubwürdigkeit abspricht. Somit hätte auch aus diesem Blickwinkel nicht von der Verhandlung Abstand genommen werden dürfen.
14 Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und des Art. 47 GRC - Letzterer ist hier gegeben - zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. etwa VwGH 20.9.2017, Ra 2017/19/0207; 22.11.2017, Ra 2017/19/0412; 31.1.2018, Ra 2017/19/0443).
15 Somit war aus diesem Grund das angefochtene Erkenntnis - zur Gänze, weil die übrigen von der Versagung des Status des Asylberechtigten abhängenden Aussprüche ihre rechtliche Grundlage verlieren - gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben.
16 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und Z 5 VwGG abgesehen werden.
17 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47ff. VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 15. März 2018
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