Normen
AsylG 2005 §8 Abs1;
MRK Art3;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird in seinen Spruchpunkten II. und III. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger Afghanistans, schiitischer Moslem und Angehöriger der Volksgruppe Hazara, stellte am 25. Juli 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei seiner Einvernahme gab der Mitbeteiligte zusammengefasst an, von seinem Bruder aufgrund von Erbschaftsstreitigkeiten telefonisch bedroht worden zu sein. Daraufhin sei er von unbekannten Personen im Auftrag seines Bruders mit Benzin übergossen und angezündet worden. Danach sei er zwei Monate im Krankenhaus gewesen. Darüber hinaus erstattete der Mitbeteiligte ein Vorbringen zur allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan.
2 Mit Bescheid vom 3. März 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag sowohl gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt. Unter einem wurde gegen den Mitbeteiligten eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Eine Frist zur freiwilligen Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 Z 3 FPG mit 14 Tagen festgelegt (Spruchpunkt IV.).
3 Hinsichtlich der Versagung von subsidiärem Schutz führte das BFA - soweit für den vorliegenden Fall relevant - aus, dass laut den eigenen Angaben des Mitbeteiligten, sein Bruder weiterhin in Kabul lebe und diesem offenbar möglich sei, den Alltag in Afghanistan zu meistern. Die Familie des Mitbeteiligten besitze mehrere Ländereien, die als Einkommensquellen dienen könnten. Zudem besitze seine Familie zwei Wohnhäuser, womit ihm bei der Rückkehr Wohnraum zur Verfügung stehe und der Mitbeteiligte von seinem Bruder soziale und wirtschaftliche Unterstützung erhalten könne. Außerdem sei er ein gesunder und arbeitsfähiger Mann mit Berufserfahrung und habe auch in Kabul und Herat gearbeitet.
Überdies bestehe keine exzeptionelle Gefährdungslage in Afghanistan.
4 Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte fristgerecht
Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG).
5 Mit dem am 4. April 2017 mündlich verkündeten und am
21. August 2017 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis gab das BVwG der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. nicht statt. Hingegen gab das BVwG der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides statt und erkannte dem Mitbeteiligten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zu (Spruchpunkt II.). Gleichzeitig wurde dem Mitbeteiligten gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.). Die Revision erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
6 Das BVwG führte hinsichtlich der Zuerkennung des subsidiären Schutzes im Wesentlichen aus, dass es sich bei dem Mitbeteiligten um einen arbeitsfähigen, jungen Mann handle, bei dem grundsätzlich die Teilnahme am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne. Jedoch sei der Mitbeteiligte aufgrund seiner nicht folgenlos verheilten Brandverletzungen als vulnerable Person zu betrachten. Aufgrund dieser Verletzungen habe der Mitbeteiligte auch mit Einschränkungen im Erwerbsleben zu rechnen. Zum anderen habe der Mitbeteiligte keine tauglichen familiären oder sozialen Anknüpfungspunkte in Kabul oder Herat. Ferner könne der Mitbeteiligte keine Schul- oder Berufsausbildung, außer Teppichknüpfen, aufweisen. Für den Mitbeteiligten sei die Rückkehr nach Kabul oder Herat unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände und des Fehlens eines hinreichenden unterstützenden sozialen oder familiären Netzwerks, nach Prüfung des innewohnenden Zumutbarkeitskalküls unter Berücksichtigung aktueller Feststellungen zu Kabul, nicht zumutbar. Auch sei mittlerweile die Aufnahmekapazität von Kabul und anderen Städten bereits sehr belastet. Eine innerstaatliche Fluchtalternative komme nicht in Betracht.
7 Erkennbar nur gegen die Spruchpunkte II. und III. dieses Erkenntnisses des BVwG richtet sich die vorliegende Amtsrevision.
8 Zu ihrer Zulässigkeit bringt die Amtsrevision - unter Verweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 8. September 2016, Ra 2016/20/0063, und den Beschluss vom 13. September 2016, Ra 2016/01/0096 - vor, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen für das Vorliegen einer extremen Gefahrenlage iSd. Art. 3 EMRK und im Hinblick auf eine innerstaatliche Fluchtalternative abgewichen. Der Mitbeteiligte habe, entgegen der Ansicht des BVwG, eine dreimonatige Schulausbildung, habe einen Englischkurs absolviert und verfüge über vielerlei Berufserfahrung. Darüber hinaus habe der Mitbeteiligte angegeben, dass er nach dem Krankenhausaufenthalt für acht Monate weitergearbeitet habe. Dies zeige, dass die Beeinträchtigungen nicht ein solches Ausmaß erreicht hätten, dass der Mitbeteiligte nicht in der Lage gewesen wäre, grundsätzlich einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Zudem beschränke sich die Prüfung des BVwG im Rahmen der rechtlichen Beurteilung in Bezug auf subsidiären Schutz rein auf die wirtschaftliche Situation des Mitbeteiligten in Afghanistan. Das BVwG zeige anhand der getroffenen Feststellungen zu den individuellen Verhältnissen des Mitbeteiligten sowie zur Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan nur die bloße Möglichkeit einer Verletzung des Art. 3 EMRK, nicht aber eine reale Gefahr. Der Mitbeteiligte sei gesund, arbeitsfähig, spreche die Landessprache und sei mit den kulturellen und sprachlichen Gepflogenheiten Afghanistans vertraut. Ferner habe das BVwG zu dieser Frage keine konkreten Feststellungen getroffen, weshalb ein Begründungsmangel vorliege.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Amtsrevision nach Vorlage derselben und der Verfahrensakten durch das BVwG sowie nach Einleitung des Vorverfahrens und Erstattung einer Revisionsbeantwortung durch den Mitbeteiligten in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
10 Die Amtsrevision ist bereits aufgrund des aufgezeigten Abweichens des BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen der Zuerkennung von subsidiärem Schutz zulässig. Sie ist auch begründet.
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 25. April 2017, Ra 2017/01/0016, zur Prüfung der Zuerkennug des Status des subsidiär Schutzberechtigten Folgendes ausgeführt:
"Nach der ständigen Rechtsprechung ist bei der Prüfung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr (‚real risk') einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des EGMR beruhenden Judikatur ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. VwGH 25.5.2016, Ra 2016/19/0036, und VwGH 8.9.2016, Ra 2016/20/0063, jeweils mwN).
Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (vgl. dazu VwGH 21.2.2017, Ra 2016/18/0137, mit Hinweisen auf Rechtsprechung des EGMR und EuGH).
In diesem Sinn hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner jüngeren, zum Herkunftsstaat Afghanistan ergangenen Rechtsprechung wiederholt und unter Bezugnahme auf die diesbezügliche ständige Rechtsprechung des EGMR ausgesprochen, dass es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde. Es reicht für den Antragsteller nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan zu berufen. Die allgemeine Situation in Afghanistan ist nämlich nicht so gelagert, dass schon alleine die Rückkehr eines Antragstellers dorthin eine ernsthafte Bedrohung für die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte bedeuten würde (vgl. VwGH 25.4.2017, Ra 2016/01/0307, mwN)."
12 Das BVwG geht bei seiner Begründung der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im angefochtenen Erkenntnis davon aus, dass dem Mitbeteiligten "vor dem Hintergrund der dargelegten Erkenntnisquellen unter Berücksichtigung der ihn betreffenden Umstände bei einer Rückkehr nach Afghanistan die reale Gefahr einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK" drohe.
13 Auf der Grundlage der vom BVwG getroffenen Feststellungen zur Person der Mitbeteiligten und unter Einbeziehung der im angefochtenen Erkenntnis ebenfalls enthaltenen Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat teilt der Verwaltungsgerichtshof die Auffassung der Amtsrevision, dass die Schwelle des Art. 3 EMRK ausgehend von den Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis nicht als erreicht anzusehen ist.
14 Das BVwG geht im angefochtenen Erkenntnis zwar von der Möglichkeit einer schwierigen Lebenssituation für den Mitbeteiligten im Fall seiner Rückführung in den Herkunftsstaat bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht aus. Die reale Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse und somit einer Verletzung des Art. 3 EMRK im Sinn der obigen Rechtsgrundsätze wird damit aber nicht dargetan (vgl. VwGH 25.5.2016, Ra 2016/19/0036; 8.9.2016, Ra 2016/20/0063; 25.4.2017, Ra 2017/01/0016, jeweils mwN; bzw. zur Frage einer innerstaatlichen Fluchtalternative für einen gesunden und arbeitsfähigen afghanischen Staatsangehörigen VwGH 10.8.2017, Ra 2016/20/0389).
15 Sofern das BVwG aufgrund der Brandverletzungen des Mitbeteiligten von einer Vulnerabilität ausgeht, welche ihn auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt benachteilige, ist dazu auszuführen, dass dies insofern nicht nachvollziehbar ist, als der Mitbeteiligte selbst angegeben hat, nach dem Krankenhausaufenthalt noch acht Monate lang gearbeitet zu haben. Dies lässt nicht darauf schließen, dass der Mitbeteiligte in seiner Erwerbsfähigkeit derart beeinträchtigt ist, um von einer existenzbedrohenden Notlage im Sinne des Art. 3 EMRK auszugehen.
16 Im Ergebnis ist das BVwG somit von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abgewichen. Daher war die Entscheidung sowohl im Umfang des Spruchpunktes II. als auch im Umfang des Spruchpunktes III., weil dieser mit der Aufhebung des Spruchpunktes II. seine rechtliche Grundlage verliert (VwGH 5.12.2017, Ra 2017/01/0236), wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 23. Jänner 2018
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