VwGH Ra 2017/20/0167

VwGHRa 2017/20/016719.9.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Hainz-Sator und Dr. Leonhartsberger sowie den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Honeder, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Mai 2017, Zl. W189 2149503- 1/5E, (Spruchpunkt II. der Entscheidung) betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (mitbeteiligte Partei: A G in P, vertreten durch S G), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §57;
AsylG 2005 §58 Abs13;
AVG §59 Abs1;
BFA-VG 2014 §16 Abs5;
FrPolG 2005 §52;

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss (Spruchpunkt II. der Entscheidung) wird soweit sich dieser auf die Aufhebung der Entscheidung über die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 bezieht wegen Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften, im Übrigen wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.

Begründung

1 1. Die mitbeteiligte Partei wurde am 24. November 2016 in Österreich geboren. Sie ist russische Staatsangehörige.

2 Ihre Eltern und Geschwister hatten zuvor in den Jahren 2012 bzw. 2013 Anträge auf internationalen Schutz gestellt. Über diese wurden im Jahr 2015 rechtskräftig negativ entschieden.

3 2.1. Am 1. Dezember 2016 stellten die Eltern der mitbeteiligten Partei für sich und ihre Kinder Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005. Am 5. Dezember 2016 stellte die mitbeteiligte Partei überdies den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

4 2.2. Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 9. Februar 2017, wurde der Antrag der mitbeteiligten Partei hinsichtlich Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt 1) sowie des Status der subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt 2) abgewiesen. Weiters wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und unter einem festgestellt, dass die Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt 3). Es wurde eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt (Spruchpunkt 4).

5 Gegen diesen Bescheid erhob die mitbeteiligte Partei fristgerecht Beschwerde.

6 2.3. Mit einem weiteren Bescheid vom 17. Februar 2017 wies das BFA den Antrag der mitbeteiligten Partei vom 1. Dezember 2016 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 zurück, weil die mitbeteiligte Partei aufgrund des Antrags auf internationalen Schutz über ein vorläufiges Aufenthaltsrecht gemäß § 13 AsylG 2005 verfüge. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

7 2.4. Die gegen den Bescheid des BFA vom 9. Februar 2017 erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 9. Mai 2017 hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten und des Status der subsidiär Schutzberechtigten als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig (Spruchpunkt I.A.).

Unter einem hob das BVwG mit dem hier angefochtenen Beschluss die Spruchpunkte 3 und 4 des Bescheids vom 9. Februar 2017 gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG auf und verwies die Angelegenheit insoweit zur Erlassung einer neuen Entscheidung an das BFA zurück (Spruchpunkt II.A.). Die Revision erklärte es für nicht zulässig (Spruchpunkt II.B).

8 Begründend führte das BVwG zum Zurückverweisungsbeschluss im Wesentlichen aus, das aufenthaltsrechtliche Schicksal der mitbeteiligten Partei folge dem ihres Familienverbandes. Dessen aufenthaltsrechtliche Stellung sei noch nicht geklärt: "Unter Berücksichtigung des gesetzlichen Grundgedankens, wonach Verfahren von Familienmitgliedern unter einem zu führen sind, und unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach in Fällen, in welchen auf Familienmitglieder in Folge einer Änderung der Rechtslage bzw. aufgrund von Übergangsbestimmungen verschiedene Rechtsnormen anzuwenden wären, im Sinne des Art. 8 EMRK in Bezug auf aufenthaltsbeendende Maßnahmen eine einheitliche Vorgehensweise geboten erscheine (...), erachtet es das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall als zweckdienlich, das Verfahren der minderjährigen (mitbeteiligten Partei) hinsichtlich Spruchpunkt (3) des angefochtenen Bescheides an die belangte Behörde zu einer gemeinsamen Beurteilung mit den nunmehr ebenfalls dort anhängigen Verfahren der Mitglieder ihrer Kernfamilie zurückzuverweisen."

Zwar lägen hinsichtlich der Eltern und Geschwister der mitbeteiligten Partei rechtskräftige Rückkehrentscheidungen vor, jedoch sei am 1. Dezember 2016 die Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen beantragt worden. Weil insofern der maßgebliche Sachverhalt im Fall der mitbeteiligten Partei aufgrund des laufenden Verfahrens ihrer Familie noch nicht feststehe, sei nach § 28 Abs. 3 VwGVG vorzugehen gewesen.

9 3. Ausschließlich gegen den erwähnten Beschluss (Spruchpunkt II.) richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision der belangten Behörde vor dem Verwaltungsgericht mit dem Antrag, diesen wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben.

10 Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

 

11 4. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

12 4.1. Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 stelle einen trennbaren Spruchpunkt dar, der mit der Aufhebung des Spruchpunktes 3 des Bescheids vom 9. Februar 2017 ebenfalls behoben worden sei. Indem sich das BVwG nicht mit dieser Folge auseinandergesetzt habe, verkenne es die Trennbarkeit jener Entscheidungen. Weiters fehle jegliche Begründung, warum hinsichtlich des Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 der entscheidungsrelevante Sachverhalt nicht feststehen würde. Damit weiche das BVwG von der hg. Rechtsprechung zur Trennbarkeit von Spruchpunkten, zur Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG und zur Begründungspflicht ab.

13 Auch hätte das BVwG seiner Entscheidung den zum Zeitpunkt der Erlassung maßgeblichen Sachverhalt zugrunde legen müssen:

Gegenüber den Familienangehörigen der mitbeteiligten Partei bestünden rechtskräftige und durchsetzbare Rückkehrentscheidungen, woran die von jenen gestellten Anträge auf Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 nichts ändern würden. Der maßgebliche Sachverhalt hinsichtlich der mitbeteiligten Partei sei daher durchaus geklärt. Ferner hätten Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 keine aufschiebende Wirkung und stünden der Vollstreckung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht entgegen.

14 Schließlich habe das BVwG weder zur (Nicht)Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 noch zur Rückkehrentscheidung krasse oder gravierende Ermittlungsfehler im Sinne der Rechtsprechung zu § 28 Abs. 3 VwGVG aufgezeigt.

15 Die Revision ist zulässig und berechtigt.

16 4.2. Die maßgebliche Bestimmung des Asylgesetzes 2005

lautet auszugsweise:

"§ 58 (...)

(13) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 begründen kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 stehen der Erlassung und Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht entgegen. Sie können daher in Verfahren nach dem 7. und

8. Hauptstück des FPG keine aufschiebende Wirkung entfalten. Bei Anträgen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 hat das Bundesamt bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diesen Antrag jedoch mit der Durchführung der einer Rückkehrentscheidung umsetzenden Abschiebung zuzuwarten, wenn

1. ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung

erst nach einer Antragstellung gemäß § 56 eingeleitet wurde und

2. die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 wahrscheinlich ist, wofür die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Z 1, 2 und 3 jedenfalls vorzuliegen haben."

17 Die maßgebliche Bestimmung des BFA-Verfahrensgesetzes

lautet auszugsweise:

"§ 16 (...)

(5) Eine Beschwerde gegen eine Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem 7. Hauptstück des AsylG 2005 oder ein diesbezüglicher Vorlageantrag begründet kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. § 58 Abs. 13 AsylG 2005 gilt."

18 4.3. Mit Spruchpunkt 3 des Bescheids des BFA vom 9. Februar 2017 wurde ein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei.

19 Bei der amtswegigen Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 handelt es sich um einen von den übrigen Spruchpunkten trennbaren Spruchpunkt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 10. November 2015, Ro 2015/19/0001, mwN). Das rechtliche Schicksal der Nichterteilung eines solchen Aufenthaltstitels hängt auch nicht von dem der Rückkehrentscheidung ab.

20 Die Aufhebung dieses gesamten Spruchpunktes durch das BVwG betrifft sohin nicht nur die Rückkehrentscheidung, sondern auch die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels, ohne dass das BVwG dies gesondert begründete.

21 Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 1. März 2016, Ra 2015/18/0283, mwN). Dies gilt gemäß § 31 Abs. 3 VwGVG auch für Beschlüsse des Verwaltungsgerichts, sofern es sich nicht um bloß verfahrensleitende Beschlüsse handelt. Wenn das BVwG den trennbaren Spruchbestandteil hinsichtlich der Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aufhebt, ohne dies zu begründen, liegt ein Abweichen von der Rechtsprechung vor.

22 4.4. Hinsichtlich der Rückkehrentscheidung führt das BVwG aus, der entscheidungserhebliche Sachverhalt stehe nicht fest, weil das aufenthaltsrechtliche Schicksal der Angehörigen der mitbeteiligten Partei noch nicht geklärt sei.

23 Damit verkennt das BVwG die Rechtslage: Gemäß § 58 Abs. 13 AsylG 2005 begründen Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut kein Aufenthalts- oder Bleiberecht und stehen auch der Erlassung und Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht entgegen (vgl. den hg. Beschluss vom 20. Dezember 2016, Ra 2016/21/0354).

24 Ausgehend von dieser klaren Rechtslage stehen auch Anträge der Familienangehörigen der mitbeteiligten Partei nach § 55 AsylG 2005 einer diese betreffenden Rückkehrentscheidung nicht entgegen. Das BVwG hatte im Zeitpunkt seiner Entscheidung von der sich ihnen darbietenden Sach- und Rechtslage auszugehen. Der vom Bundesverwaltungsgericht zur Begründung des Aufhebungsbeschlusses gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG ins Treffen geführte Ermittlungsmangel betreffend den Ausgang der Verfahren über die Anträge auf Erteilung der Aufenthaltstitel der Familienangehörigen liegt schon deshalb nicht vor, weil von einem solchen dann nicht gesprochen werden kann, wenn sich der zu ermittelnde Sachverhalt - wie hier der noch nicht feststehende Ausgang des Verfahrens über die Anträge der Familienangehörigen der Mitbeteiligten auf Erteilung eines Aufenthaltstitels - noch gar nicht ereignet hat.

25 Das Bundesverwaltungsgericht hat indem es die eben dargestellte Rechtslage verkannte den angefochtenen Aufhebungsbeschluss mit Rechtswidrigkeit des Inhalts belastet, weshalb die angefochtene Entscheidung gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am 19. September 2017

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