VwGH Ra 2017/19/0143

VwGHRa 2017/19/014330.5.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Tanzer, über die Revision 1. des A W Q (auch: A M Q), und

2. des A H Qa (auch: A H Q), beide in G, beide vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes je vom 1. Februar 2017, 1. W185 2142334-1/8E und 2. W185 2142336-1/8E, jeweils betreffend Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005 und Anordnung einer Außerlandesbringung nach dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §5;
B-VG Art133 Abs4;
MRK Art8;
VwGG §28 Abs3;
VwGG §34 Abs1;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

4 Die Revisionswerber sind Brüder im Alter von 33 (oder 24) und 31 Jahren, die ihren in Österreich aufhältigen Eltern und Geschwistern (ua.) über die Republik Italien, die für die Behandlung ihrer Anträge auf internationalen Schutz als zuständig angesehen wurde, nachgereist sind. Sie bringen zur Zulässigkeit der Revision vor, es bestehe zwischen ihnen und ihren Eltern und Geschwistern, deren Asylverfahren in Österreich zugelassen worden sei, ein schützenswertes Familienleben. Daher hätte Österreich vom in Art. 17 Dublin III-Verordnung vorgesehenen Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen müssen.

5 Bei Entscheidungen gemäß § 5 AsylG 2005 ist auch Art. 8 EMRK zu berücksichtigen. Bei einer drohenden Verletzung dieser Vorschrift ist das in Art. 17 Abs. 1 Dublin III-Verordnung vorgesehene Selbsteintrittsrecht auszuüben (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 18. November 2015, Ra 2014/18/0139, mwN).

6 Familiäre Beziehungen unter Erwachsenen fallen nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur dann unter den Schutz des Art. 8 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. den hg. Beschluss vom 16. Februar 2017, Ra 2017/01/0024, und das hg. Erkenntnis vom 8. September 2016, Ra 2015/20/0296 bis 0299, jeweils mwN). Die Ausführungen der Revisionswerber bieten keinen Anlass von dieser - entgegen der in der Revision vertretenen Ansicht mit der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes und des EGMR nicht im Widerspruch stehenden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. April 2010, 2008/19/0139 bis 0143, sowie das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 9. Juni 2006, B 1277/04) - Rechtsprechung abzugehen. Anders als die Revisionswerber meinen, bedeutet diese Rechtsprechung nämlich nicht, dass damit die Aussage verbunden wäre, bei Fehlen zusätzlicher Merkmale der Abhängigkeit würde von vornherein das Bestehen jeglicher familiärer Beziehung in Abrede gestellt werden (vgl. das bereits erwähnte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 9. Juni 2006, auf das sich der Verwaltungsgerichtshof ausdrücklich etwa im ebenfalls schon genannten Erkenntnis 2008/19/0139 bis 0143 bezogen hat und in dem der Verfassungsgerichtshof unter Hinweis auf den oben angeführten Rechtssatz fallbezogen ausführte, dass im Anlassfall keine Anhaltspunkte für eine besondere familiäre Bindung in Österreich vorgelegen seien und die Erlassung des unbefristeten Aufenthaltsverbots daher nur unwesentlich in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht des Beschwerdeführers auf Achtung des Familienlebens eingreife).

7 Eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK ist im Allgemeinen, wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wird, nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG (vgl. auch dazu den bereits angeführten Beschluss Ra 2017/01/0024, sowie den hg. Beschluss vom 11. Oktober 2016, Ra 2016/01/0025, 0026, jeweils mwN).

8 Die Revisionswerber zeigen nicht auf, dass die vom Bundesverwaltungsgericht durchgeführte Interessenabwägung in unvertretbarer Weise vorgenommen worden wäre; reduziert sich doch ihr - wenngleich weitwendiges, so letztlich doch - bloß allgemein gehaltenes Vorbringen darauf, dass sie den Wunsch haben, im selben (europäischen) Land leben zu wollen wie ihre übrigen Angehörigen. Worin nun konkret die besonderen Merkmale der gegenseitigen Abhängigkeit zu ihren Eltern und Geschwistern bestünden, wird allerdings nicht dargelegt. Dies gilt auch für die nicht näher substantiierte Anmerkung, den Revisionswerbern müsse wegen des Kindeswohls betreffend die in Österreich aufhältige 16-jährige Schwester der Aufenthalt im Bundesgebiet gestattet werden.

9 Soweit die Revisionswerber in diesem Zusammenhang Ermittlungsmängel rügen, lassen sie im Dunkeln, zu welchen für sie günstigen entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen im Fall ergänzender Ermittlungen gelangt hätte werden können, weshalb schon die Relevanz des behaupteten Verfahrensfehlers nicht aufgezeigt wird. Vor diesem Hintergrund ist auch nicht zu sehen, dass die Rüge berechtigt wäre, das Bundesverwaltungsgericht hätte gemäß § 21 Abs. 3 (zweiter Satz) BFA-VG vorgehen müssen, damit die Behörde das Ermittlungsverfahren ergänze.

10 Woraus abzuleiten wäre, dass - wie die Revisionswerber meinen - das öffentliche Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften - wozu im hier gegebenen Zusammenhang auch die Vorschriften der Dublin III-Verordnung zu zählen sind - gemindert sei, weil es "nur" um die Frage gehe, "in welchem Mitgliedstaat" die Revisionswerber "den Ausgang ihrer Asylverfahren (vorübergehend) abwarten" dürften, vermag selbst die Revision nicht darzulegen.

11 Soweit sich die Revisionswerber noch auf die hg. Erkenntnisse vom 6. November 2009, 2008/19/0532, und vom 15. Dezember 2015, Ra 2015/18/0192, berufen, sind sie darauf hinzuweisen, dass die dortigen Konstellationen mit den hier vorliegenden Fällen nicht vergleichbar sind. Der dem hg. Erkenntnis vom 6. November 2009, 2008/19/0532, zugrundeliegende Fall betraf eine Asylwerberin, die mit einem in Österreich lebenden anerkannten Flüchtling verheiratet war, wobei sich gerade vor diesem Hintergrund und dem Umstand, dass zu erwarten ist, dass ein Asylwerber seine Fluchtgründe von jenen des - national bereits als Flüchtling anerkannten - Familienangehörigen ableiten könnte, die behördlichen Feststellungen und Überlegungen zur Interessenabwägung als unzureichend dargestellt haben. Im Fall des hg. Erkenntnisses vom 15. Dezember 2015 wiederum waren die Voraussetzungen für die Behandlung sämtlicher Anträge im Rahmen des Familienverfahrens nach § 34 AsylG 2005 erfüllt.

Weder das eine noch das andere liegt hier vor, sodass die in den genannten Erkenntnissen angestellten Überlegungen nicht auf die hier gegenständlichen Fälle übertragbar sind. Anders als die Revisionswerber meinen, hat aber auch in den damaligen Fällen kein für sich allein stehendes "unionsrechtliches Kohärenzkriterium" zum Erfolg der Rechtsmittel geführt, sondern es hat sich die jeweilige - zwecks (bezüglich des Erkenntnisses 2008/19/0532: auch schon während der Geltung der Dublin II-Verordnung gebotene) Beurteilung der Frage, ob das Selbsteintrittsrecht ausgeübt werden müsse - von der Verwaltungsbehörde einzelfallbezogen durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK als mangelhaft dargestellt.

12 Schließlich ist noch anzumerken, dass sich die Revision, die die Ausführungen zu ihrer Begründetheit wortident auch als Ausführungen zur Zulässigkeit der Revision enthält, als nicht gesetzmäßig ausgeführt erweist (vgl. die in Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, 2. Aufl., § 28 VwGG, E 78, wiedergegebene hg. Rechtsprechung).

13 Die Revision, die weder Rechtsfragen aufwirft, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme, noch dem Gesetz entsprechend ausgeführt ist, war sohin gemäß § 34 Abs. 1 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 30. Mai 2017

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