VwGH Ra 2017/19/0016

VwGHRa 2017/19/001626.4.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Rossmeisel sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Tanzer, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Dezember 2016, W211 1428789-2/9E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: W I in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Blaschitz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Walfischgasse 11/10), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §11;
AsylG 2005 §75 Abs20;
AsylG 2005 §8 Abs1;
AsylG 2005 §8 Abs3;
AsylG 2005 §8 Abs3a;
AsylG 2005 §8 Abs6;
AsylG 2005 §8;
AsylG 2005 §9 Abs2 Z3;
AsylG 2005 §9 Abs2;
FrPolG 2005 §46a Abs1 Z2;
EMRK Art2;
EMRK Art3;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang der Anfechtung, somit in seinen Spruchpunkten A II. und A III., wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und gehört der tschetschenischen Volksgruppe an.

Er stellte am 20. Februar 2012 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Dezember 2012 rechtskräftig abgewiesen und der Mitbeteiligte in die Russische Föderation ausgewiesen.

2 Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 16. Juni 2015 wurde der Mitbeteiligte des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs. 2 StGB für schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 26 Monaten verurteilt, weil er sich der Terrororganisation "Islamischer Staat" als Mitglied angeschlossen und die Ausreise nach Syrien in Angriff genommen hatte, um sich dort am bewaffneten Kampf dieser Organisation zu beteiligen.

3 Der Mitbeteiligte beantragte am 5. Februar 2014 erneut internationalen Schutz in Österreich. Er brachte vor, seine Verurteilung wegen einer Mitgliedschaft in der Organisation "Islamischer Staat" sei in seinem Herkunftsstaat bekannt. Bei Rückkehr sei er deshalb in Gefahr, gefoltert oder getötet zu werden. In Tschetschenien und im gesamten Nordkaukasus werde "mit solchen Leuten kurzer Prozess gemacht".

4 Mit Bescheid vom 15. September 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Mitbeteiligten vom 5. Februar 2014 auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch "gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005)" hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt und gegen den Mitbeteiligten eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen sowie festgestellt, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde des Mitbeteiligten, soweit diese sich gegen die Abweisung der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten richtete, keine Folge (Spruchpunkt A I.). Hinsichtlich der Abweisung der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wies es die Beschwerde mit der Maßgabe ab, dass der Antrag "gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 und 3 AsylG abgewiesen werde" (Spruchpunkt A II.). Unter Spruchpunkt A III. traf es die Feststellung, gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 sei die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Mitbeteiligten in die Russische Föderation nicht zulässig. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte es nicht für zulässig (Spruchpunkt B).

6 Begründend stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, der Mitbeteiligte sei vor seiner Flucht nach Österreich in Tschetschenien (Grosny) als Arzt beschäftigt gewesen. Nachdem er die mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 16. Juni 2015 verhängte Freiheitsstrafe zur Gänze verbüßt habe, sei er am 18. Oktober 2016 aus der Strafhaft entlassen worden. Aus den Länderberichten ergebe sich, dass sich in Tschetschenien - einer Teilrepublik der Russischen Föderation - ein vom Gesamtstaat geduldetes autoritäres System entwickelt habe, in dem gegen "Extremisten" und "politische Gegner" "hart vorgegangen" werde, wobei Menschenrechtsverletzungen, wie rechtswidrige Inhaftierungen, "Verschwindenlassen" sowie Folter und Misshandlungen, weit verbreitet seien und durch den Staat nicht geahndet würden. In der gesamten Russischen Föderation würden Strafverfahren gegen Mitglieder des "Islamischen Staates" - insbesondere gegen Rückkehrer aus den Kämpfen in Syrien und im Irak - geführt und teilweise lange Haftstrafen verhängt. In der russischen Strafjustiz gebe es weit verbreitete Mängel. Dazu zählten Gewalt und der Einsatz von Folter durch die Ermittlungsbehörden sowie diverse Verstöße gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens, wie die Verletzung des Grundsatzes der Waffengleichheit und die Verwertung von unter Folter erzwungenen Geständnissen. Die Haftbedingungen hätten sich zwar in den letzten Jahrzehnten verbessert, entsprächen aber noch immer nicht europäischen Mindeststandards. Es sei davon auszugehen, dass abgeschobenen Tschetschenen, insbesondere wenn sie im Verdacht stünden, einen fundamentalistischen Islam zu propagieren, "besondere Aufmerksamkeit" durch die russischen Behörden - insbesondere den Geheimdienst - zuteil werde. Im Rahmen seiner Ausführungen zur Beweiswürdigung stellte das Bundesverwaltungsgericht weiters fest, das 7. Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sei in der Russischen Föderation in Kraft. Es bestünden keine Hinweise darauf, dass dem Mitbeteiligten im Hinblick auf seine Verurteilung in Österreich wegen Mitgliedschaft in der Terrororganisation "Islamischer Staat" in der Russischen Föderation eine "Doppelbestrafung" drohen würde.

7 In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, eine Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten komme schon aufgrund der Verwirklichung des Ausschlussgrundes nach § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 durch die Verurteilung des Mitbeteiligten nach § 278b Abs. 2 StGB nicht in Betracht. Aus den wiedergegebenen Länderberichten sei der Schluss zu ziehen, dass "ein erhöhtes Interesse" der russischen Behörden an der "Beobachtung" der dem "Islamischen Staat" nahestehenden Personen bestehe, wobei "solche Personen" im Rahmen von Ermittlungsverfahren und in Untersuchungsgefängnissen nach glaubhaften Angaben häufig Misshandlungen und Folter ausgesetzt seien. Darüber hinaus seien auch die Haftbedingungen teilweise "Art. 3 EMRK-widrig". Der Mitbeteiligte sei daher einem "echten Risiko" ausgesetzt, in der Russischen Föderation "Opfer von Folter und einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinn des Art. 3 EMRK" zu werden. Aufgrund der Verurteilung des Mitbeteiligten wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs. 2 StGB seien die Aberkennungsgründe gemäß § 9 Abs. 2 und 3 AsylG verwirklicht und könne die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht erfolgen. Es sei aber auszusprechen, dass gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nicht zulässig sei.

8 Das BFA bringt in seiner gegen die Spruchpunkte A II. und A III. des angefochtenen Erkenntnisses gerichteten Revision vor, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, wonach zur Beurteilung, ob der Asylwerber bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung ausgesetzt sei, konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu treffen seien. Im Übrigen komme es bei der Beurteilung, ob subsidiärer Schutz zuzuerkennen sei bzw. eine Abschiebung gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 nicht zulässig sei, auf die reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK und nicht nur auf eine bloße Möglichkeit an. Das Bundesverwaltungsgericht habe umfangreiche Feststellungen zu Strafverfolgungsverfahren gegen Personen, die der Organisation "Islamischer Staat" nahe stünden, und zu Haftbedingungen in der Russischen Föderation getroffen. Es habe aber auch ausgeführt, dass dem Mitbeteiligten aufgrund des Doppelbestrafungsverbotes in seinem Herkunftsstaat gar keine erneute Strafverfolgung drohe. Davon ausgehend sei die rechtliche Schlussfolgerung des Bundesverwaltungsgerichtes nicht nachvollziehbar. Unerörtert geblieben sei im angefochtenen Erkenntnis auch das Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative. Soweit dennoch davon auszugehen wäre, dass für den Mitbeteiligten in Folge einer möglichen Verletzung des Doppelbestrafungsverbotes eine "reale Gefahr" im Sinn des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 in der Russischen Föderation bestehe, wäre das Bundesverwaltungsgericht gehalten gewesen, im Rahmen seiner Verpflichtung zur vollständigen Ermittlung des Sachverhaltes mit der russischen Vertretungsbehörde in Österreich in Kontakt zu treten bzw. das BFA um eine solche Kontaktaufnahme zu ersuchen, um eine diplomatische Zusicherung, dass eine solche Gefahr nicht gegeben sei, einzuholen. Ein Ausspruch gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG 2005, dass die Abschiebung nicht zulässig sei, wie ihn das Bundesverwaltungsgericht vorgenommen habe, sei nur zulässig, wenn die Voraussetzungen nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gegeben seien.

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens und Erstattung einer Revisionsbeantwortung durch den Mitbeteiligten erwogen:

10 Die Revision ist zulässig und berechtigt.

11 Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn sein Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat aber eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Nach § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht; ebenso ist vorzugehen, wenn der Herkunftsstaat des Asylwerbers nicht festgestellt werden kann (§ 8 Abs. 6 AsylG 2005).

12 § 8 Abs. 3a AsylG 2005 lautet:

"Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist."

13 Gemäß § 8 Abs. 3a erster Satz AsylG 2005 hat die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten somit auch dann zu unterbleiben, wenn ein Grund für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Fremde - wie vorliegend der Mitbeteiligte - von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist (§ 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005). Nach § 8 Abs. 3a zweiter Satz AsylG 2005 ist diesfalls - somit soweit die Voraussetzungen nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten vorliegen und der Antrag nicht aus den Gründen nach § 8 Abs. 3 oder 6 AsylG 2005 abzuweisen ist - die Abweisung in Bezug auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Abschiebung des Fremden aus den genannten Gründen in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist. Der Aufenthalt des Fremden im Bundesgebiet ist in der Folge ex lege gemäß § 46a Abs. 1 Z 2 FPG geduldet (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. August 2014, 2013/21/0218).

14 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Beurteilung eines drohenden Verstoßes gegen Art. 2 oder 3 EMRK eine Einzelfallprüfung voraus, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Um von der realen Gefahr ("real risk") einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, reicht es nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüber hinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 21. Februar 2017, Ra 2016/18/0137, mwN).

15 Nach der Judikatur des EGMR obliegt es - abgesehen von Abschiebungen in Staaten, in denen die allgemeine Situation so schwerwiegend ist, dass die Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde - grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Fall der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 5. Oktober 2016, Ra 2016/19/0158, mwN).

16 Die Prüfung des Vorliegens einer realen Gefahr im Sinn des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 stellt eine rechtliche Beurteilung dar, die auf Basis der getroffenen Feststellungen zu erfolgen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. September 2016, Ra 2016/20/0063).

17 Wie das revisionswerbende BFA zutreffend darlegt, besteht nach den Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis kein Hinweis darauf, dass der Mitbeteiligte unter Verletzung des Verbotes der Doppelbestrafung nach Art. 4 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK wegen seiner Mitgliedschaft in einer Terrororganisation, für die er in Österreich bereits verurteilt wurde, in seinem Herkunftsstaat neuerlich strafrechtlich verfolgt werden wird. Davon ausgehend ist aber - entgegen der Schlussfolgerung des Bundesverwaltungsgerichtes in seiner rechtlichen Beurteilung - eine reale Gefahr im dargelegten Sinn für den Mitbeteiligten, einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung ausgesetzt zu werden, aus den festgestellten Mängeln des Strafverfahrens und des Strafvollzuges in der Russischen Föderation nicht abzuleiten. Derartiges ergibt sich auch allein aus einer möglichen Überwachung ehemaliger Mitglieder des "Islamischen Staates" durch die russischen Behörden (den russischen Geheimdienst) nicht.

18 Der Mitbeteiligte hat sich zur Begründung der ihm drohenden gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung - anders als das Bundesverwaltungsgericht - allerdings nicht (bzw. jedenfalls nicht vorrangig) auf Mängel im regulären Strafverfahren in der Russischen Föderation, sondern auf die Bedrohung durch die Regierung der Teilrepublik Tschetschenien aufgrund seiner Verurteilung in Österreich gestützt.

19 Hinsichtlich dieses Vorbringens des Mitbeteiligten hat das Bundesverwaltungsgericht festgestellt, dass es in Tschetschenien zu Menschenrechtsverletzungen gegen "Extremisten" und "politische Gegner" abseits einer regulären Strafverfolgung komme, wobei rechtswidrige Inhaftierungen, "Verschwindenlassen" sowie Folter und Misshandlungen weit verbreitet seien und durch den Staat nicht geahndet würden. Das Erkenntnis enthält jedoch keine konkrete Auseinandersetzung mit der Frage, ob auch konkrete Hinweise darauf bestehen, dass Personen wie der Mitbeteiligte, die im Ausland wegen Mitgliedschaft in der Terrororganisation "Islamischer Staat" verurteilt worden sind und ihre Strafe bereits verbüßt haben, im dargelegten Sinn einer realen Gefahr einer solchen Behandlung in Tschetschenien ausgesetzt sind.

20 Auch enthält die Begründung des Bundesverwaltungsgerichts keine Feststellungen dazu, ob dem Mitbeteiligten ein Aufenthalt in einem anderen Teil des Staatsgebietes der Russischen Föderation offen steht bzw. zumutbar ist und er dort Schutz vor einer (allfälligen) Verfolgung finden kann. Bei Vorliegen einer solchen innerstaatlichen Fluchtalternative nach § 11 AsylG 2005 (vgl. zu den Voraussetzungen etwa die hg. Erkenntnisse vom 29. April 2015, Ra 2014/20/0151, und vom 16. Dezember 2010, 2007/20/0913) wäre der Antrag auf internationalen Schutz schon nach § 8 Abs. 3 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen und käme ein Ausspruch nach § 8 Abs. 3a zweiter Satz AsylG 2005, dass seine Abschiebung unzulässig ist, nicht in Betracht.

21 Vor diesem Hintergrund vermögen die Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichtes dessen rechtliche Schlussfolgerung, die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 8 Abs. 1 und 3 AsylG 2005 seien vorgelegen, nicht zu tragen. Damit ist aber der Abweisung des Antrages des Mitbeteiligten auf internationalen Schutz nach dem ersten Satz des § 8 Abs. 3a AsylG 2005 und der darauf aufbauenden Feststellung nach dem zweiten Satz dieser Bestimmung, eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Mitbeteiligten sei unzulässig, die Grundlage entzogen. Das angefochtene Erkenntnis war daher im Umfang der Anfechtung - vorrangig - wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 26. April 2017

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte