Normen
AVG §59 Abs1;
BFA-VG 2014 §18 Abs1;
BFA-VG 2014 §18 Abs5;
VwGG §24a;
VwGG §48 Abs1 Z1;
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1 Die revisionswerbenden Parteien sind Ehegatten und armenische Staatsangehörige. Sie stellten am 7. Juli 2015 Anträge auf internationalen Schutz, die mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) jeweils vom 12. Juni 2017 abgewiesen wurden (Spruchpunkte I. und II.). Das BFA erteilte keine Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005, erließ gegen die revisionswerbenden Parteien Rückkehrentscheidungen und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Armenien zulässig sei (Spruchpunkte III.). Überdies erkannte die Asylbehörde einer Beschwerde in beiden Fällen gemäß § 18 Abs. 1 Z 4 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkte IV.).
2 Gegen diese Bescheide erhoben die revisionswerbenden Parteien eine gemeinsame Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG). Sie brachten zusammengefasst vor, das BFA hätte feststellen müssen, dass die kranken revisionswerbenden Parteien sich in Armenien die notwendigen Medikamente nicht leisten könnten und von der Pflege ihrer in Österreich lebenden Angehörigen - aus näher genannten Gründen - abhängig seien. Es werde beantragt, vorweg der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen und die Rückkehrentscheidungen für dauernd unzulässig zu erklären.
3 Mit dem angefochtenen "Beschluss" sprach das BVwG aus, dass der Beschwerde die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG nicht zuerkannt werde. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.
4 Begründend führte das BVwG nach Zitierung des § 18 Abs. 5 BFA-VG lediglich aus, dass "nach der derzeitigen Aktenlage und ausgehend vom Antrags- bzw. vom Beschwerdevorbringen ... für das (BVwG) keine Veranlassung (bestehe), der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 (BFA-VG) die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. ... Weder aus dem Beschwerdevorbringen noch aus dem Akteninhalt (sei) ein Grund hervorgekommen, dass die (revisionswerbenden Parteien) in ihrem Recht auf Leben (Art. 2 EMRK), auf Verbot der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Bestrafung oder Behandlung (Art. 3 EMRK), auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK) oder in ihrem Recht betreffend die Abschaffung der Todesstrafe sowohl in Friedens- als auch in Kriegszeiten (Protokolle Nr. 6, Nr. 13 zur Konvention) ernsthaft bedroht werden würden, wenn sie in ihren Herkunftsstaat zurückkehren und dort das Ergebnis des Verfahrens abwarten. Auch (sei) weder aus dem Akteninhalt noch aus dem Vorbringen der (revisionswerbenden Parteien) eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes im Herkunftsstaat abzuleiten. Vor diesem Hintergrund (sei) - jedenfalls im Rahmen des gegenständlichen Provisorialverfahrens - kein Grund ersichtlich, warum die (revisionswerbenden) Parteien den Ausgang des Beschwerdeverfahrens nicht auch im Ausland abwarten können. Daher (sei) den gegenständlichen Beschwerden die aufschiebende Wirkung nicht zuzuerkennen (gewesen)."
5 Gegen diesen "Beschluss" richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen vorgebracht wird, das BVwG übergehe in seiner Begründung sowohl das wesentliche Beschwerdevorbringen als auch den Akteninhalt. Das Beschwerdevorbringen enthalte ausreichend Substrat für eine den revisionswerbenden Parteien drohende Verletzung ihrer durch Art. 3 und 8 EMRK garantierten Rechte.
6 Das BFA erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
7 Die Revision ist zulässig und begründet.
8 Der Verwaltungsgerichtshof entscheidet seit dem hg. Beschluss vom 13. September 2016, Fr 2016/01/0014, in mittlerweile gefestigter Rechtsprechung, dass § 18 Abs. 5 BFA-VG das BVwG dazu verpflichtet, über eine Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 Abs. 1 BFA-VG bzw. gegen einen derartigen trennbaren Spruchteil eines Bescheides binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde zu entscheiden (vgl. etwa VwGH 19.06.2017, Fr 2017/19/0023, 0024; 30.6.2017, Fr 2017/18/0026; 20.9.2017, Ra 2017/19/0284, 0285). Zur näheren Begründung wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf den zitierten Beschluss verwiesen.
9 Ausgehend davon wäre auch im gegenständlichen Fall die korrekte Vorgangsweise gewesen, über die Beschwerde der revisionswerbenden Parteien gegen die Spruchpunkte IV. der Bescheide des BFA (Aberkennung der aufschiebenden Wirkung) binnen einer Woche mit Erkenntnis abzusprechen. Dass das BVwG stattdessen einen "Beschluss" fasste, mit dem es der Beschwerde die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG nicht zuerkannte und das Verfahren irrigerweise als "Provisorialverfahren" bezeichnete, erweist sich vor diesem Hintergrund zwar als nicht richtig, kann aber letztlich nur als ein Vergreifen in der Form und im Ausdruck betrachtet werden. In der Sache hat das BVwG mit der angefochtenen Entscheidung die Beschwerde gegen die Spruchpunkte IV. der Bescheide des BFA abschlägig erledigt, wogegen sich die Revision auch wendet (ohne die Entscheidungsform zu problematisieren). Gegenstand des Revisionsverfahrens ist daher diese Angelegenheit (vgl. in diesem Sinne bereits VwGH 20.9.2017, Ra 2017/19/0284, 0285).
10 In der Sache erweist sich die Revision jedenfalls dahingehend im Recht, als die Begründung der angefochtenen Entscheidung eine nachprüfende Kontrolle in Bezug auf die Frage, ob den revisionswerbenden Parteien durch die (sofortige) Abschiebung nach Armenien eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 3 und 8 EMRK bedeuten würde, nicht möglich macht.
11 Die Begründung der Entscheidung beschränkt sich nämlich auf die bloße Wiedergabe des Gesetzestextes des § 18 Abs. 5 BFA-VG einerseits und der nicht näher begründeten Einschätzung, der Akteninhalt und das Vorbringen der Parteien ließen nicht erkennen, dass den revisionswerbenden Parteien im Falle einer Abschiebung insbesondere eine Verletzung von Art. 3 und 8 EMRK drohen könnte. Aus welchen Gründen das BVwG zu dieser Einschätzung gelangte, wird hingegen nicht nachvollziehbar dargestellt. Das ist vor allem deshalb zu beanstanden, weil das Vorbringen der revisionswerbenden Parteien sowohl die Behauptung einer möglichen Verletzung von Art. 3 EMRK (mangelnde Behandlung von Krankheiten der revisionswerbenden Parteien im Herkunftsstaat) als auch von Art. 8 EMRK (Familienleben mit den in Österreich lebenden Angehörigen) enthielt. Auf dieses Vorbringen wurde in der angefochtenen Entscheidung überhaupt nicht eingegangen, sodass diese mit einem relevanten Begründungsmangel belastet ist (vgl. auch dazu den ähnlich gelagerten Fall VwGH 20.9.2017, Ra 2017/19/0284, 0285).
12 Die angefochtene Entscheidung war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.
13 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Da nur eine (gemeinsame) Revision vorliegt, war die Gebühr nach § 24a VwGG nur einmal zu entrichten und daher auch nur einmal zuzuerkennen.
Wien, am 19. Oktober 2017
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