Normen
12010E056 AEUV Art56;
GSpG 1989 §3;
GSpG 1989 §52 Abs1 Z1;
EMRK Art6 Abs1;
VStG §45 Abs1 Z1;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGG §47;
VwGG §48 Abs3 Z2;
VwGVG 2014 §44;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017170877.L00
Spruch:
I.) den Beschluss gefasst:
Die Revision vom 23. Oktober 2017 wird zurückgewiesen. II.) zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit
seines Inhalts
aufgehoben.
III.) Ein Kostenersatz findet nicht statt.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Gmunden vom 22. Februar 2016 wurde die Mitbeteiligte der zweifachen Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 iVm § 2 Abs. 2 und 4 iVm § 4 Glücksspielgesetz (GSpG) schuldig erkannt; es wurden über sie zwei Geldstrafen von jeweils EUR 3.000,-- (sowie zwei Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis hob das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (LVwG) - ohne eine mündliche Verhandlung durchgeführt zu haben - das Straferkenntnis auf und stellte die Verwaltungsstrafverfahren nach § 38 VwGVG iVm § 45 Abs. 1 Z 1 VStG ein. Weiters sprach es aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig sei. Dieses Erkenntnis wurde dem Bundesminister für Finanzen am 25. August 2017 zugestellt.
3 Das Landesverwaltungsgericht traf zur Beurteilung der Vereinbarkeit von Regelungen des Glücksspielgesetzes mit Art. 56 AEUV ausführliche Feststellungen und gelangte nach umfangreicher Auseinandersetzung mit der vorgebrachten Unionsrechtswidrigkeit des Glücksspielgesetzes rechtlich zum Ergebnis, dass das in den §§ 3 ff GSpG normierte System des Glücksspielmonopols deshalb in Art. 56 AEUV keine Deckung finde und somit dem Unionsrecht widerspreche, weil es nicht auf einem durch die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) anerkannten zwingenden Grund des Allgemeininteresses - wie etwa dem Spielerschutz und der Suchtvorbeugung oder der Kriminalitätsbekämpfung - basiere, sondern primär der Sicherung einer verlässlich kalkulierbaren Quote an Staatseinnahmen diene. Darüber hinaus seien die konkrete Ausgestaltung des Monopolsystems und die den staatlichen Behörden zur Abwehr von Beeinträchtigungen dieses Monopols gesetzlich übertragenen Eingriffsermächtigungen insbesondere mangels der gänzlich fehlenden Notwendigkeit einer vorhergehenden richterlichen Ermächtigung jeweils unverhältnismäßig.
4 Mit Beschluss vom 11. September 2017 fasste das LVwG einen Berichtigungsbeschluss bezüglich der mitbeteiligten Partei, der Aktenzahl sowie der Zustellverfügung. Dieser Beschluss wurde dem Bundesminister für Finanzen am 11. September 2017 per E-Mail zugestellt.
5 Gegen das Erkenntnis erhob der Bundesminister für Finanzen mit Schriftsatz vom 5. Oktober 2017 eine außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof; hinsichtlich der Bezeichnung der mitbeteiligten Partei führte der Bundesminister für Finanzen jene in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses unter ausdrücklicher Bezugnahme auf diesen Beschluss an.
6 Mit Schriftsatz vom 23. Oktober 2017 erhob der Bundesminister für Finanzen erneut Revision an den Verwaltungsgerichtshof gegen das Erkenntnis vom 23. August 2017.
7 Die Mitbeteiligte und die belangte Behörde erstatteten jeweils eine Revisionsbeantwortung und beantragten Kostenersatz.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
8 Die vorliegende Revision vom 5. Oktober 2017 erweist sich als zulässig, weil das angefochtene Erkenntnis sowohl zur Frage der Unionsrechtswidrigkeit des Glücksspielgesetzes, als auch zur Frage der Verhandlungspflicht gemäß § 44 VwGVG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht.
9 Sie ist auch berechtigt:
10 Der Revisionsfall gleicht in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zur Beurteilung der Unionsrechtskonformität in den entscheidungswesentlichen Punkten jenem, der vom Verwaltungsgerichtshof mit hg. Erkenntnis vom 16. März 2016, Ro 2015/17/0022, entschieden wurde. Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG wird auf die Entscheidungsgründe des genannten Erkenntnisses verwiesen. In diesem Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof, nach der vom EuGH geforderten Gesamtwürdigung der Umstände, unter denen die Dienstleistungsfreiheit beschränkende Bestimmungen des Glücksspielgesetzes erlassen worden sind und unter denen sie durchgeführt werden, eine Unionsrechtswidrigkeit der Bestimmungen des Glücksspielgesetzes nicht erkannt. Dieser Rechtsansicht hat sich der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 15. Oktober 2016, E 945/2016-24, E 947/2016-23, E 1054/2016-19, angeschlossen.
11 Eine Unionsrechtswidrigkeit von Bestimmungen des GSpG ist somit ausgehend von den Verfahrensergebnissen im Revisionsfall nicht zu erkennen.
12 Da das Verwaltungsgericht insoweit die Rechtslage verkannte, belastete es das angefochtene Erkenntnis insoweit mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
13 Das LVwG hat im vorliegenden Fall keine mündliche Verhandlung durchgeführt und dies einerseits aktenwidrig mit einem von der belangten Behörde und der Abgabenbehörde erklärten Verzicht, andererseits mit Hinweis auf "jüngere" Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 Abs. 1 EMRK begründet.
14 Zur Rechtsfrage der Verhandlungspflicht gleicht der Revisionsfall in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht in den entscheidungswesentlichen Punkten jenem, der vom Verwaltungsgerichtshof mit hg. Erkenntnis vom 28. Februar 2018, Ra 2017/17/0703, entschieden wurde. Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG wird auf die Entscheidungsgründe des genannten Erkenntnisses (Rn 13 bis 21) verwiesen. In diesem Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof eine Verletzung der Verhandlungspflicht gemäß dem im Hinblick auf die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung in einem Verwaltungsstrafverfahren anzuwendenden § 44 VwGVG bejaht, weil nicht alle Verfahrensparteien auf die Durchführung der Verhandlung verzichtet haben, nachdem die mitbeteiligte Partei in ihrer Beschwerde eine solche beantragt hatte.
15 Indem das LVwG die Durchführung einer Verhandlung ohne Vorliegen der Voraussetzungen für ein Absehen davon unterlassen hat, hat es das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG auch mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.
16 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen prävalierender Rechtswidrigkeit des Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
17 Gemäß § 47 Abs. 3 und 4 VwGG besteht kein Anspruch auf Kostenersatz.
18 Die am 23. Oktober 2017 erhobene Revision erweist sich als unzulässig:
19 Durch die Erhebung der Revision vom 5. Oktober 2017, in der bereits auf den Berichtigungsbeschluss vom 11. September 2017 Bezug genommen wird, hat der Bundesminister für Finanzen im vorliegenden Fall sein Revisionsrecht gegen das Erkenntnis des LVwG vom 23. August 2017 verbraucht, sodass die später eingelangte - hier zu behandelnde - Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen war (vgl. etwa VwGH 15.9.2015, Ra 2015/18/0207, mwN).
20 Da die Revisionsbeantwortung der mitbeteiligten Partei keine auf die (zweite) Revision vom 23. Oktober 2017 abstellenden Ausführungen, insbesondere zur Zulässigkeit, enthielt, gebührt der mitbeteiligten Partei kein Schriftsatzaufwand (vgl. z.B. VwGH 22.6.2016, Ra 2016/03/0023).
21 Ein Aufwandersatz für die von der belangten Behörde eingebrachte Revisionsbeantwortung findet gemäß § 47 Abs. 4 VwGG nicht statt.
Wien, am 9. April 2018
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