VwGH Ra 2017/15/0025

VwGHRa 2017/15/002522.11.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Karlovits, LL.M., über die Revision des Finanzamtes Landeck/Reutte in 6500 Landeck, Innstraße 11, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 8. Februar 2017, Zl. RV/3100163/2016, betreffend Haftung für Lohnsteuer der Jahre 2009 bis 2011 (mitbeteiligte Partei: W in E, vertreten durch die Dr. Obermoser Wirtschaftstreuhand GmbH in 6370 Kitzbühel, St. Johannerstraße 49a), zu Recht erkannt:

Normen

BAO §21 Abs1;
EStG 1988 §68 Abs1;
EStG 1988 §68 Abs5;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017150025.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

1 Im Ergebnis einer Prüfung lohnabhängiger Abgaben bei der mitbeteiligten Partei, die das Rauchfangkehrergewerbe betreibt, erließ das Finanzamt Haftungsbescheide betreffend Lohnsteuer der Jahre 2009 bis 2011.

2 Die Nachversteuerung betraf die an die Dienstnehmer gewährte Schmutzzulage, welche die mitbeteiligte Partei in Anlehnung an den Kollektivvertrag für Rauchfangkehrer für das Bundesland Tirol in Höhe von 18 % des Grundlohnes gemäß § 68 EStG 1988 lohnsteuerfrei ausbezahlt hatte. Das Finanzamt vertrat die Ansicht, dass auf Grund des geänderten Arbeitsbildes, der sehr unterschiedlichen Höhe der Schmutzzulage in den einzelnen Bundesländerkollektivverträgen (zwischen 8 % und 20 % des Grundlohnes) und in Anlehnung an die (bis zum Wartungserlass 2016 geltende Rz. 11130 der) Lohnsteuerrichtlinien österreichweit einheitlich 8 % des Grundlohnes als angemessen zu erachten und die Differenzzahlung der Lohnsteuer zu unterwerfen sei.

3 In ihrer dagegen erhobenen Berufung (nunmehr Beschwerde) beantragte die mitbeteiligte Partei die gesamte dem einschlägigen Kollektivvertrag entsprechend ausbezahlte Schmutzzulage gemäß § 68 Abs. 1 und 5 EStG 1988 steuerfrei zu belassen. Das Finanzamt habe keinerlei Feststellungen zur Angemessenheit der Schmutzzulage getroffen, sondern habe willkürlich den laut Richtlinie als "angemessen" erachteten Prozentsatz von 8 % herangezogen. Die in den Bundesländern unterschiedlichen Höchstgrenzen für die Schmutzzulagen seien darin begründet, dass in den Bundesländern auch unterschiedliche Kehrordnungen gelten würden. So seien in Tirol bspw. laut Kehrordnung auch alle Heizkessel zu reinigen.

4 Nach Ergehen einer abweisenden Beschwerdevorentscheidung beantragte die mitbeteiligte Partei, die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorzulegen.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde Folge und hob die angefochtenen Haftungsbescheide des Finanzamtes auf. Begründend wird zunächst ausgeführt, die Arbeitnehmer der mitbeteiligten Partei seien nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts überwiegend mit Arbeiten betraut, die eine erhebliche Verschmutzung zwangsläufig zur Folge hätten. Die von den Arbeitnehmern bei der Ausübung ihrer Tätigkeit getragene Oberbekleidung werde gemäß § 71 ASchG von der mitbeteiligten Partei, dem Arbeitgeber, zur Verfügung gestellt und nach dem Ende der täglichen Kehrgänge auch beim Arbeitgeber gelagert und von diesem wöchentlich gereinigt. Für die Reinigung der anderen Kleidungsstücke (Unterwäsche, Socken, Kopfbedeckung, Winterjacken) habe der Arbeitnehmer selbst aufzukommen. Vom Arbeitgeber würden auch Duschen und Seife zur Verfügung gestellt. Die Kosten von Haarshampoo, Duschgel oder Deodorant hätten hingegen die Arbeitnehmer zu tragen.

6 Zur gegenständlich strittigen Frage der "Angemessenheit" der Zulage wird im angefochtenen Erkenntnis ausgeführt, die Zulage werde länderweise unterschiedlich - zum Teil mit Pauschbeträgen, zum Teil mit Hundertsätzen in einer Bandbreite von 8 % bis 20 % des Grundlohns - bemessen. Zum Teil sei auch - wie bspw. für das Bundesland Tirol - ausdrücklich vorgesehen, dass ein Anspruch auf Schmutzzulage nur für die Zeit tatsächlich erbrachter Arbeitsleistung bestehe. Dass die Höhe der Zulagen in Kollektivverträgen geregelt sei, bedeute entgegen der Ansicht der mitbeteiligten Partei nicht, dass die Angemessenheit in steuerlicher Hinsicht nicht geprüft werden dürfe (Hinweis auf VwGH 22.4.1998, 97/13/0163). Wohl sei aber davon auszugehen, dass Schmutzzulagen, die in mehreren Länderkollektivverträgen in annähernd gleicher Höhe vereinbart worden seien, zunächst einmal die "Vermutung" für sich hätten, dass sie - zufolge der wirtschaftlich gegenläufigen Interessen und Erfahrungen der Vertragspartner - den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen könnten bzw. nahe kämen und daher von der Abgabenbehörde nur nach ausreichenden Tatsachenfeststellungen und mit zureichender Begründung verworfen werden dürften.

7 Gegenständlich bewegten sich die in den Kollektivverträgen vereinbarten Schmutzzulagen in einer Größenordnung zwischen 8 % und 20 % des Grundlohns. Der vom Finanzamt anerkannte Prozentsatz von 8 % bewege sich an der alleruntersten Grenze der kollektivvertraglich vereinbarten Sätze. Eine Schmutzzulage in dieser Höhe sei nur in einem einzigen Bundesland (Burgenland) vorgesehen. In Vorarlberg betrage der Satz 8,5 %, in Niederösterreich rund 9 %, in Oberösterreich 11 %. In weiteren drei Bundesländern liege der Satz bei 18 %. In der Steiermark betrage die Schmutzzulage 15 %, in Salzburg 20 %. Das arithmetische Mittel der zuletzt genannten fünf Bundesländer liege bei 17,8 % (und damit in etwa bei 18 %).

8 Mit dem Hinweis der mitbeteiligten Partei auf einen unterschiedlich hohen Verschmutzungsgrad auf Grund der Reinigung von Heizkesseln könne - wie im angefochtenen Erkenntnis näher ausgeführt - die unterschiedliche Höhe der Zulage in den Bundesländern nicht erklärt werden.

9 Bei Beurteilung der Frage, ob eine Schmutzzulage in einer bestimmten Höhe noch als angemessen angesehen werden könne, sei nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts mit zu berücksichtigen, dass sie nur innerhalb einer bestimmten Bandbreite erfolgen könne und dem Ergebnis der Abwägungen - vergleichbar einer Schätzung - ein gewisser Spielraum innewohne. Hilfsweise könne auch darauf Bedacht genommen werden, in welcher Höhe Schmutzzulagen in Berufen vereinbart würden, in denen von einem vergleichbaren Grad der Verschmutzung auszugehen sei und in denen offenbar genauso den besonderen Umständen Rechnung getragen werde, unter denen die entsprechenden Arbeiten üblicherweise und zwangsläufig verrichtet werden müssten. Nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts könnten für einen Vergleich der Arbeitsbedingungen am ehesten die Arbeitnehmer in der Mineralölindustrie Österreichs in Betracht gezogen werden. Für die Reinigung von Behältern, Kesseln, Rauchfängen, etc. seien im Kollektivvertrag in der ab 1.2.2015 geltenden Fassung Schmutzzulagen von 20 % vorgesehen. Wenngleich die Angemessenheit dieser Zulagen im Revisionsfall nicht zu beurteilen sei, könne doch darauf verwiesen werden, dass eine Zulage in der hier vorliegenden Größenordnung von 18 % noch nicht aus dem Rahmen falle. Für die Veranlagungsjahre vor 2008 sei dieser Prozentsatz von der Finanzverwaltung und der Sozialversicherung auch nicht in Frage gestellt worden. Er möge zwar an der oberen Grenze liegen. Dessen ungeachtet befinde er sich nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts noch im Rahmen dessen, was als "angemessen" bzw. als "durchschnittlich üblich" (Hinweis auf VwGH 17.2.1988, 85/13/0177) angesehen werden könne, solange keine Änderung der Arbeitsverhältnisse nachweisbar sei.

10 Dass auf Grund der (Zusatz‑)Kollektivverträge zweier Bundesländer (Burgenland, Vorarlberg) erheblich niedrigere Schmutzzulagen zu zahlen seien, lasse es noch nicht zu, allgemein nur eine Zulage von 8 % des Grundlohns als angemessen anzuerkennen. Die Beurteilung der Angemessenheit lasse einen gewissen Spielraum zu. Der im (Zusatz‑)Kollektivvertrag für Tirol vorgesehene Prozentsatz von 18 % bewege sich annähernd in der Höhe, wie er in mehreren anderen Bundesländern vereinbart worden sei. Er liege nicht außerhalb jener Bandbreite, in der Schmutzzulagen in Berufszweigen vereinbart würden, die einen vergleichbar hohen Grad der Verschmutzung aufwiesen.

11 Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof sei nicht zulässig, weil es sich bei der Frage, ob die gezahlten Zulagen auf der Grundlage der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes noch als angemessen angesehen werden können, um eine Sachverhaltsfrage handle, die im Rahmen der Beweiswürdigung zu beantworten gewesen sei.

12 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die außerordentliche Revision des Finanzamtes, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten durch das Bundesfinanzgericht und Erstattung einer Revisionsbeantwortung durch die mitbeteiligte Partei erwogen hat:

13 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

14 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

15 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

16 Zur Zulässigkeit wird in der Revision geltend gemacht, die Gegenüberstellung der unterschiedlichen Ansprüche auf eine Schmutzzulage bei annähernd gleicher Kehrordnung in Tirol, Vorarlberg und der Steiermark durch das Bundesfinanzgericht zeige deutlich auf, dass das Ausmaß der steuerlichen Begünstigung letztlich nicht von den in § 68 EStG 1988 definierten Voraussetzungen abhänge, sondern davon, in welchem Bundesland ein Rauchfangkehrer seine Tätigkeit ausübe. Dieser unsachlichen Differenzierung könne nur durch eine verfassungskonforme Interpretation des § 68 EStG 1988 begegnet werden. Ein sachliches Ergebnis werde dadurch herbeigeführt, dass bei vergleichbaren Arbeitsbedingungen die Angemessenheit der Höhe der Zulage bundesländerübergreifend und somit bundeseinheitlich beurteilt werde. Es liege keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage vor, ob im Hinblick auf die Zielsetzung des § 68 Abs. 5 EStG 1988 eine unsachliche Differenzierung hinsichtlich der Steuerfreiheit von Schmutzzulagen bei unterschiedlichem arbeitsrechtlichen Anspruch in einer lohngestaltenden Vorschrift für dieselbe Tätigkeit als Rauchfangkehrer durch verfassungskonforme Auslegung der Bestimmung vermieden werden müsse.

17 Die Revision ist zulässig.

18 Der Verwaltungsgerichtshof ist in seiner Rechtsprechung zu § 68 Abs. 1 EStG 1988 davon ausgegangen, dass Voraussetzung für die Begünstigung auch die Angemessenheit des Ausmaßes der Zulage ist (vgl. VwGH 22.4.1998, 97/13/0163, unter Hinweis auf das noch zum EStG 1972 ergangene Erkenntnis 17.2.1988, 85/13/0177). Da den angeführten Erkenntnissen jeweils Entscheidungen zu Grunde lagen, in denen die seinerzeit belangten Behörden ihrer Begründungspflicht nicht nachgekommen waren, unterblieb jedoch eine konkrete Auseinandersetzung mit der gegenständlich strittigen Frage der Angemessenheit von Zulagen nach § 68 EStG 1988, insbesondere bei Vorliegen unterschiedlicher Kollektivverträge.

19 Gemäß § 68 Abs. 1 EStG 1988 idF BGBl. I Nr. 59/2001 sind Schmutz-, Erschwernis- und Gefahrenzulagen sowie Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit und mit diesen Arbeiten zusammenhängende Überstundenzuschläge insgesamt bis 360 Euro monatlich steuerfrei.

20 Gemäß § 68 Abs. 5 EStG 1988 sind unter Schmutz-, Erschwernis- und Gefahrenzulagen jene Teile des Arbeitslohnes zu verstehen, die dem Arbeitnehmer deshalb gewährt werden, weil die von ihm zu leistenden Arbeiten überwiegend unter Umständen erfolgen, die

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