VwGH Ra 2017/11/0016

VwGHRa 2017/11/001620.9.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler und die Hofräte Dr. Schick und Mag. Samm als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Soyer, über die Revision des F T in F, vertreten durch Dr. Roland Grilc, Mag. Rudolf Vouk und Dr. Maria Skof, Rechtsanwälte in 9020 Klagenfurt, Karfreitstraße 14/III, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 11. August 2016, Zl. LVwG 30.29‑508/2016‑22, betreffend Übertretung des Arbeitskräfteüberlassungsgesetzes (AÜG) (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Südoststeiermark), den Beschluss gefasst:

Normen

AÜG §17 Abs2
AÜG §4
AÜG §4 Abs2
AVRAG 1993 §7d
B-VG Art133 Abs4
EURallg
VwGG §28 Abs3
12010E056 AEUV Art56
31996L0071 Entsende-RL
32014L0067 Durchsetzung-RL Entsendung Arbeitnehmern
62013CJ0586 Martin Meat VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017110016.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde ‑ insoweit in Bestätigung und teilweiser Abänderung eines entsprechenden Straferkenntnisses der belangten Behörde ‑ dem Revisionswerber eine Übertretungen des AÜG angelastet, weil er als inländischer Beschäftiger ihm von der B K s.p. (iF auch: BK s.p.) grenzüberschreitend überlassener, in Österreich nicht sozialversicherungspflichtiger Arbeitskräfte erforderliche Unterlagen (nämlich das Sozialversicherungsdokument A1 und eine Abschrift der Meldungen nach § 17 Abs. 2 AÜG = ZKO4‑Meldung betreffend die Arbeitnehmer G F und M V) nicht bereitgehalten bzw. zugänglich gemacht habe. Er habe dadurch gegen § 17 Abs. 7 iVm § 22 Abs. 1 Z 2 1. Fall AÜG verstoßen; über ihn wurde deshalb eine Geldstrafe von EUR 600.‑ ‑ verhängt.

2 Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass der Revisionswerber als Einzelunternehmer einen Auftrag zur Durchführung von Trockenbau‑ und Zimmererarbeiten übernommen habe und ‑ zwecks Einhaltung des Fertigstellungstermins ‑ mit der BK s.p. die Beistellung von zwei Arbeitskräften „für Holzarbeiten jeglicher Art“ zu einem Stundensatz von EUR 25.‑ ‑ vereinbart habe. Die schriftliche Vereinbarung enthalte keine Regelungen betreffend Haftung bzw. Gewährleistung der BK s.p. In der Folge seien die im Spruch genannten, von der BK s.p. überlassenen Arbeitskräfte beim Bauvorhaben (neben den eigenen Arbeitnehmern des Revisionswerbers und denen eines beigezogenen inländischen Subunternehmens) unter Anweisung und Kontrolle eines Vorarbeiters des Revisionswerbers, mittels vom Revisionswerber beigestellter Arbeitsmittel tätig geworden. Anlässlich der zur Einleitung des Verfahrens führenden finanzpolizeilichen Kontrolle hätten nur Entsendemeldungen (ZKO3‑Meldungen) betreffend G F und M V vorgelegt werden können, nicht aber die im Spruch genannten erforderlichen Unterlagen.

3 Das Beschäftigungsverhältnis sei als Arbeitskräfteüberlassung und nicht als Werkvertrag zu beurteilen gewesen: Für die Beurteilung, ob Arbeitskräfteüberlassung vorliegt, sei nach § 4 Abs. 1 AÜG der wahre wirtschaftliche Gehalt und nicht die äußere Erscheinungsform des Sachverhalts maßgebend. Nach § 4 Abs. 2 AÜG liege Arbeitskräfteüberlassung insbesondere auch vor, wenn die Arbeitskräfte ihre Arbeitsleistung im Betrieb des Werkbestellers in Erfüllung von Werkverträgen erbrächten, aber einer der Tatbestände der Z 1 bis Z 4 vorliege. Im vorliegenden Fall seien alle vier Ziffern erfüllt: Es liege kein unterscheidbares Werk iSd Z 1 vor, weil lediglich Arbeitskräfte zu einem Regiestundensatz beigestellt worden seien und auch nicht einmal ansatzweise rekonstruierbar gewesen sei, in welchen Teilen des Bauvorhabens (welche) Arbeitsleistungen von den beiden Mitarbeitern erbracht worden seien. Die BK s.p. habe weder Material noch Maschinen beigestellt und nicht einmal das Handwerkszeug oder Sicherheitsausrüstung mitgebracht. Vielmehr sei ausschließlich mit Material und Werkzeug des Werkbestellers gearbeitet worden (Z 2). Es sei auch das Vorliegen der organisatorischen Eingliederung in den Betrieb des Werkbestellers und dessen Dienst‑ und Fachaufsicht zu bejahen gewesen (Z 3). Auch eine Haftung für den Erfolg des Werks sei von der BK s.p. nicht übernommen worden (Z 4). Eine Gesamtbeurteilung ergebe daher, dass die zugrundeliegende Vereinbarung nach ihrem wahren wirtschaftlichen Gehalt zweifelsfrei als grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung zu bewerten sei, zumal alle vier Abgrenzungskriterien des § 4 Abs. 2 Z 1 bis 4 AÜG erfüllt seien. Den Revisionswerber träfen daher die Verpflichtungen als (inländischen) Beschäftiger grenzüberschreitend überlassener Arbeitskräfte. Ihm wäre es oblegen, gemäß § 17 Abs. 7 AÜG für jede nicht in Österreich sozialversicherungspflichtige überlassene Arbeitskraft Unterlagen über deren Anmeldung zur Sozialversicherung (Sozialversicherungsdokument A1) sowie die Meldung gemäß den § 17 Abs. 2 und 3 AÜG bereitzuhalten bzw. zugänglich zu machen.

4 Der Revisionswerber sei als Gewerbeinhaber mit den einschlägigen Vorschriften vertraut und kenne den Unterschied zwischen Arbeitskräfteüberlassung und Entsendung; im Zweifel hätte er bei den zuständigen Stellen Erkundigungen einholen können. Im vorliegenden Fall habe der festgestellte Sachverhalt zweifelsfrei und auch für den Revisionswerber leicht erkennbar ergeben, dass Arbeitskräfteüberlassung vorlag und daher die entsprechenden Unterlagen bereitzuhalten gewesen wären.

5 Auf Basis der im vorliegenden Fall anwendbaren Fassung des § 22 Abs. 1 AÜG sei keine gesonderte Strafbarkeit pro betroffenem Arbeitnehmer vorgesehen; vielmehr liege nur eine Übertretung vor, was bei der Neufassung des Spruchs zu berücksichtigen gewesen sei.

6 Im Rahmen der Strafbemessung legte das Verwaltungsgericht dar, dass ausgehend vom zur Anwendung kommenden Strafrahmen von € 500.‑ ‑ bis € 5000.‑ ‑ unter Berücksichtigung der gegebenen Strafzumessungsgründe die Strafe insgesamt habe herabgesetzt werden können, wobei durch die knapp über der Mindeststrafe liegende Geldstrafe berücksichtigt worden sei, dass immerhin zwei Arbeitnehmer betroffen gewesen seien.

7 Die ordentliche Revision sei mangels Vorliegens einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig.

8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision.

9 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B‑VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B‑VG).

10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12 In der demnach für die Beurteilung der Zulässigkeit allein maßgeblichen Zulässigkeitsbegründung der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision macht dazu (zusammengefasst) Folgendes geltend: Die Bestimmungen des AVRAG und des AÜG normierten empfindliche Strafen für den Fall, dass unrichtige Unterlagen vorgelegt würden; auch für das Nichtbereithalten von Lohnunterlagen würden empfindliche Strafen vorgesehen, selbst dann wenn nur ein kleiner Teil fehle oder wenn sie nachgereicht würden. Derartige Verfahren beträfen eine Vielzahl von Dienstleistungsanbietern aus anderen EU‑Mitgliedsstaaten, die sich bemühten, die komplizierten österreichischen Vorschriften einzuhalten. Unterlaufe dabei ein Fehler, werde auch der österreichische Auftraggeber zur Haftung herangezogen. Hinzu trete der unionsrechtliche Aspekt, dass es sich jedenfalls um die in Art. 56 AEUV festgelegte Dienstleistungsfreiheit handle, weshalb es notwendig gewesen wäre, zu prüfen, ob im Sinne der Judikatur des EuGH die österreichische Rechtslage mit dem Unionsrecht vereinbar sei. Unzutreffend sei schließlich die Auffassung des Verwaltungsgerichts, seine Entscheidung wiche nicht von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ab und fehle es auch nicht an einer solchen. Die zitierten Erkenntnisse beträfen nämlich andere Fallgestaltungen. Offen sei vielmehr die Frage, ob der österreichische Auftraggeber zur Verantwortung gezogen werden könne, wenn vom „Subunternehmer“ aus einem anderen EU‑Mitgliedsstaat eine „Entsendung“ gemeldet werde, die Tätigkeit aber unrichtig als Werkvertrag und nicht als Arbeitskräfteüberlassung qualifiziert werde. Dies sei insbesondere deshalb von Bedeutung, weil der EuGH das Vorliegen von Arbeitskräfteüberlassung anders beurteile als die österreichische Judikatur.

13 Mit dem Vorbringen, es gebe eine Vielzahl von Dienstleistungsanbietern aus anderen EU‑Staaten, die sich bemühten, die komplizierten österreichischen Vorschriften genau einzuhalten, wird dem Erfordernis, gesondert die Gründe zu nennen, warum die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG vorliegen, nicht Rechnung getragen (vgl. den hg. Beschluss vom 20. Februar 2017, Zl. Ra 2016/11/0185, mwN). Dies gilt auch für das allgemein gehaltene Vorbringen, dass in Fällen wie dem vorliegenden die in Art. 56 AEUV festgelegte Dienstleistungsfreiheit betroffen sei: Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 6. März 2014, Zl. 2013/11/0143, unter Hinweis auf Judikatur des EuGH ausgeführt hat, kann das Erfordernis einer effektiven Kontrolle durch die Behörden des Aufnahmemitgliedstaats die Verpflichtung zur Bereithaltung von Unterlagen wie den vorliegenden auf der Baustelle bzw. gegebenenfalls an einem anderen Ort im Aufnahmemitgliedstaat rechtfertigen; die Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer solchen Verpflichtung obliegt dem nationalen Gericht.

14 Was schließlich die geltend gemachte unterschiedliche Beurteilung von Arbeitskräfteüberlassung (durch den EuGH und österreichische Gerichte) samt der aus einer unrichtigen Qualifizierung eines Vertragsverhältnisses resultierenden Haftung des österreichischen Auftraggebers anlangt, hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem jüngst ergangenen Erkenntnis vom 22. August 2017, Zl. Ra 2017/11/0068, unter Verweis auf Judikatur des EuGH Folgendes klargestellt: Infolge des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts ist die bisherige hg. Rechtsprechung zu § 4 AÜG im Sinne der Rechtsprechung des EuGH zu lesen, weshalb es einer Gesamtbeurteilung aller für die Abgrenzung zwischen Werkvertrag und Arbeitskräfteüberlassung maßgebenden Umstände bedarf und nicht (mehr) allein auf das Vorliegen einer der in § 4 Abs. 2 Z 1 bis 4 AÜG genannten Parameter abgestellt werden darf. Da die Frage, ob die Voraussetzung des Art. 133 Abs. 4 B‑VG (Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung) vorliegt, im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zu beurteilen ist, liegt keine Rechtsfrage (mehr) vor, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme, wenn die zu lösende Rechtsfrage in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ‑ wenngleich erst nach Einbringung der Revision ‑ bereits geklärt wurde (vgl. den hg. Beschluss vom 20. Dezember 2016, Zl. Ro 2014/03/0031, mwN), was vorliegendenfalls für die aufgeworfene Frage nach dem für die vorzunehmende Abgrenzung anzulegenden Maßstab gilt. Da das Verwaltungsgericht die nach dem Gesagten erforderliche Gesamtbeurteilung ‑ auf verfahrensrechtlich nicht zu beanstandender Grundlage, insbesondere nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ‑ auch vorgenommen hat, liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B‑VG auch unter diesem Blickwinkel nicht vor.

15 Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 20. September 2017

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