Normen
AVG §37
AVG §52
AVG §58 Abs2
AVG §60
EURallg
SDG 1975 §1 Abs1
SDG 1975 §10 Abs1 Z1
SDG 1975 §14
SDG 1975 §2 Abs2 Z1 litg
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §29 Abs1
11997E045 EG Art45 Abs1
11997E049 EG Art49
11997E050 EG Art50
12010E051 AEUV Art51 Abs1
12010E056 AEUV Art56
12010E057 AEUV Art57
12010E267 AEUV Art267
12010E267 AEUV Art267 Abs3
12010M002 EUV Art2
12010M004 EUV Art4 Abs3
12010M019 EUV Art19
32006L0123 Dienstleistungs-RL Art2 Abs2 liti
62009CJ0372 Penarroja VORAB
62015CJ0342 Piringer VORAB
62015CJ0392 Kommission / Ungarn
62016CJ0064 Associacao Sindical dos Juízes Portugueses VORAB
62016CJ0284 Achmea VORAB
62018CJ0216 Minister for Justice and Equality VORAB
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017030108.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 I. Gegenstand
2 A. Mit Bescheid vom 28. November 2016 entzog der vor dem Verwaltungsgericht belangte Präsident des Landesgerichtes Salzburg der revisionswerbenden Partei gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 des Sachverständigen‑ und Dolmetschgesetzes (SDG) mit sofortiger Wirkung die Eigenschaft als allgemein gerichtlich beeideter zertifizierter Sachverständiger.
3 Begründet wurde diese Entscheidung im Wesentlichen damit, es ergebe sich aus einem Schreiben des Revisionswerbers vom 6. November 2016, dass er seine gutachterliche Tätigkeit nunmehr in den Räumen einer in Bad Reichenhall in Deutschland gelegenen Klinik ausübe. Die Ärztekammer Salzburg habe bekannt gegeben, dass die Ordination des revisionswerbenden Sachverständigen in Salzburg bereits geschlossen worden sei. Damit sei aber die Voraussetzung einer Eintragung in die Liste nach § 2 Abs. 2 Z 1 SDG, wonach der gewöhnliche Aufenthalt oder Ort der beruflichen Tätigkeit im Sprengel des Landesgerichts, bei dessen Präsidenten der Bewerber die Eintragung beantragt habe, nicht mehr gegeben und derart die Sachverständigeneigenschaft nach § 10 Abs. 1 Z 1 SDG zu entziehen gewesen.
4 B. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde die dagegen gerichtete Revision gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm §§ 2 Abs. 2 lit. g, 10 Abs. 1 Z 1 SDG, BGBl. Nr. 137/1975 idF BGB. I Nr. 50/2016, abgewiesen (Spruchpunkt A). Ferner wurde die Revision dagegen als nicht zulässig qualifiziert (Spruchpunkt B).
5 Begründend wurde festgestellt, dass sich der Ort der beruflichen Tätigkeit des Revisionswerbers an einer näher genannten Adresse in Bad Reichenhall befinde und der Revisionswerber im Sprengel des Landesgerichts Salzburg weder seinen gewöhnlichen Aufenthalt noch den Ort seiner beruflichen Tätigkeit habe. § 2 Abs. 2 Z 1 lit. g SDG verlange für die Eintragung in die Gerichtssachverständigen‑ und die Gerichtsdolmetscherliste für ein bestimmtes Fachgebiet, dass der Bewerber seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder Ort der beruflichen Tätigkeit im Sprengel des Landesgerichts habe, bei dessen Präsidenten er die Eintragung beantragt habe. Falle nach einer Eintragung diese Voraussetzung weg, sei gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 SDG die Sachverständigeneigenschaft zu entziehen. Unstrittig lebe und ordiniere der Revisionswerber nur noch in Deutschland, weshalb ihm die Sachverständigeneigenschaft zu entziehen sei.
6 Mit seiner Behauptung, dass dies der Dienstleistungsrichtlinie widersprechen würde, übersehe der Revisionswerber, dass die Tätigkeit eines gerichtlichen Sachverständigen „eine hoheitliche Tätigkeit“ sei. Gemäß Art. 2 Abs. 2 lit. i der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über die Dienstleistungen im Binnenmarkt (DL‑RL) finde diese auf Tätigkeiten, die iSd Art. 45 des Vertrages mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden seien, keine Anwendung. Dieses Verständnis stehe nicht im Widerspruch zu mehreren Urteilen des EuGH vom 24. Mai 2011 (C‑47/08 Kommission gegen Belgien, C‑50/08 Kommission gegen Frankreich, C‑51/08 Kommission gegen Luxemburg, C‑52/08 Kommission gegen Portugal, C‑53/08 Kommission gegen Österreich, C‑54/08 Kommission gegen Deutschland, C‑61/08 Kommission gegen Griechenland) betreffend den Vorbehalt betreffend den Zugang zum Beruf des Notars. In den Urteilen habe der EuGH darauf hingewiesen, dass nur Tätigkeiten, die unmittelbar und spezifisch mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden seien, vom Grundsatz der Niederlassungsfreiheit ausgenommen werden könnten. Da das Tätigwerden des Notars voraussetze, dass zuvor eine Einigung oder Willensübereinstimmung der Parteien zustande gekommen sei, liege dort eine solche Ausübung öffentlicher Gewalt nicht vor. Bei den im behördlichen oder gerichtlichen Verfahren verwendeten Sachverständigen stelle sich die Situation vollkommen anders dar, da diese „im Rahmen der Hoheitsverwaltung“ schwierige Erhebungen für die Behörde oder die Gerichte durchführten. Daher seien diese hoheitlich ‑ also in Ausübung öffentlicher Gewalt ‑ tätig, die DL‑RL sei daher auf beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige nicht anzuwenden. Wenn der Revisionswerber seine gutachterliche Tätigkeit nur mehr in Deutschland ausüben wollte, sei dies auch aus völkerrechtlicher Sicht problematisch, da eine solche hoheitliche Tätigkeit auf dem Hoheitsgebiet eines fremden Staates zumindest dessen Duldung voraussetzen würde. Da von einer mündlichen Verhandlung keine weitere Klärung von Rechts‑ oder Tatsachenfragen zu erwarten gewesen sei, habe eine solche unterbleiben können.
7 Zu Spruchpunkt B. hält das VwG nach einer formelhaften Wiedergabe des Inhaltes des Art. 133 Abs. 4 B‑VG noch fest, dass auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorlägen.
8 C. Gegen diese Entscheidung erhob der Revisionswerber zunächst eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof, der diese nach Ablehnung ihrer Behandlung dem Verwaltungsgerichtshof nach Art. 144 Abs. 3 B‑VG zur Entscheidung abtrat (Beschluss vom 27. September 2017, E 828/2017‑12).
9 Begründend wies der Verfassungsgerichtshof insbesondere darauf hin, dass spezifische verfassungsrechtliche Überlegungen zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen sowie insbesondere der Frage, ob vom VwG „innerstaatliche einfach gesetzliche Normen oder unionsrechtliche Normen anzuwenden waren, insoweit nicht anzustellen“ seien (unter Hinweis auf VfSlg. 14.886/1997; VfGH 28.6.2017, E 33297/2016; EuGH 17.3.2011, Rs C‑372/09 ua., Penarroja Fa). Da die Entziehung der Eigenschaft als allgemein gerichtlich beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger (sowie die Löschung aus der Gerichtssachverständigenliste) der Bestellung als Sachverständiger grundsätzlich nicht entgegen stehe (§ 126 StPO, § 351 ZPO), sowie im Hinblick auf den rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Organisation der Rechtspflege lasse das Vorbringen in der Beschwerde die behauptete (Verfassungs‑)Rechtsverletzung als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass sie aber auch die Verletzung in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.
10 D. In der Folge wurde die außerordentliche Revision erhoben, zu deren Zulässigkeit insbesondere ausgeführt wird, dass offenbar keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur gegenständlich maßgebenden Frage existiere, inwieweit die Bestimmung des § 2 Abs. 2 Z 1 lit. g SDG gegen unionsrechtliche Regelungen (insbesondere die DL‑RL) verstoßen könnte. Zudem stehe die Auffassung des VwG, wonach im behördlichen oder gerichtlichen Verfahren verwendete Sachverständige im Rahmen der Hoheitsverwaltung tätig würden, im Widerspruch zur Rechtsprechung (unter Hinweis auf Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes). Weiters habe der EuGH in der auch vom Verfassungsgerichtshof zitierten Entscheidung ausgesprochen, dass es sich bei Tätigkeiten von Gerichtssachverständigen um keine Tätigkeit iSd Art. 45 Abs. 1 EG ‑ nunmehr Art. 51 Abs. 1 AEUV ‑ handle, die mit Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden seien, wozu auch eine Vorlage nach Art. 267 AEUV an den EuGH angeregt wurde.
11 II. Rechtslage
12 A. Für den vorliegenden Kontext relevante Bestimmungen des SDG, BGBl. Nr. 137/1975 idF BGBl. I Nr. 50/2016, lauten (auszugsweise):
„I. ABSCHNITT
Anwendungsbereich
§ 1. (1) Dieses Bundesgesetz bezieht sich auf die allgemeine Beeidigung und Zertifizierung von Sachverständigen und Dolmetschern für ihre Tätigkeit vor Gerichten und auf ihre Erfassung in Listen (in der elektronischen Liste der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen und Dolmetscher sowie in den Listen der allgemein beeideten gerichtlichen Sachverständigen für nur einen Bezirksgerichtssprengel).
II. Abschnitt
Allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige
Voraussetzungen für die Eintragung in die Liste der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen und Dolmetscher
§ 2. (1) Die allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen sind von den Präsidenten der Landesgerichte (§ 3) als Zertifizierungsstellen in die elektronische Liste der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen und Dolmetscher (Gerichtssachverständigen‑ und Gerichtsdolmetscherliste) einzutragen.
(2) Für die Eintragung in die Gerichtssachverständigen‑ und Gerichtsdolmetscherliste für ein bestimmtes Fachgebiet müssen folgende Voraussetzungen gegeben sein:
1. in der Person des Bewerbers
a) Sachkunde und Kenntnisse über die wichtigsten Vorschriften des Verfahrensrechts, über das Sachverständigenwesen, über die Befundaufnahme sowie über den Aufbau eines schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachtens,
b) zehnjährige, möglichst berufliche Tätigkeit in verantwortlicher Stellung auf dem bestimmten oder einem verwandten Fachgebiet unmittelbar vor der Eintragung; eine fünfjährige Tätigkeit solcher Art genügt, wenn der Bewerber als Berufsvorbildung ein entsprechendes Hochschulstudium oder Studium an einer berufsbildenden höheren Schule erfolgreich abgeschlossen hat,
c) Geschäftsfähigkeit in allen Belangen und Nichtbestehen einer aufrechten gesetzlichen Vertretung im Sinn des § 1034 ABGB,
d) persönliche Eignung für die mit der Ausübung der Tätigkeit des Sachverständigen verbundenen Aufgaben,
e) Vertrauenswürdigkeit,
f) österreichische Staatsbürgerschaft oder die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäischen Union und der anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum sowie der Schweizerischen Eidgenossenschaft,
g) gewöhnlicher Aufenthalt oder Ort der beruflichen Tätigkeit im Sprengel des Landesgerichts, bei dessen Präsidenten der Bewerber die Eintragung beantragt, und
h) geordnete wirtschaftliche Verhältnisse,
i) der Abschluß einer Haftpflichtversicherung nach § 2a;
1a. die ausreichende Ausstattung mit der für eine Gutachtenserstattung im betreffenden Fachgebiet erforderlichen Ausrüstung;
2. der Bedarf an allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen für das Fachgebiet des Bewerbers.
Führung der Gerichtssachverständigen‑ und Gerichtsdolmetscherliste
§ 3. (1) Die Gerichtssachverständigen‑ und Gerichtsdolmetscherliste ist von den Präsidenten der Landesgerichte (einschließlich des Präsidenten des Handelsgerichts Wien, jedoch mit Ausnahme der Präsidenten des Landesgerichts für Strafsachen Wien, des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien und des Landesgerichts für Strafsachen Graz) für diejenigen Sachverständigen zu führen, für die sich ihre Zuständigkeit aus den nachfolgenden Bestimmungen ergibt. Für jeden Sachverständigen ist jeweils nur ein Präsident ausschließlich zuständig.
...
Entziehung der Eigenschaft
§ 10. (1) Die Eigenschaft als allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger ist vom Präsidenten des Landesgerichts (§ 3) durch Bescheid zu entziehen,
1. wenn sich herausstellt, dass die Voraussetzungen für die Eintragung, mit Ausnahme der nach § 2 Abs. 2 Z 2, seinerzeit nicht gegeben gewesen oder später weggefallen sind,
...
Sinngemäße Anwendung von Bestimmungen über die allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen
§ 14. Für den Dolmetscher gilt der II. Abschnitt mit Ausnahme des § 2 Abs. 2 Z 1 Buchstaben b, f und i sowie des § 2a mit den Besonderheiten sinngemäß,
...“.
13 B. Die schon angesprochene Bestimmung der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über die Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl. L 376/36 vom 27.12.2006, lautet:
„Artikel 2
Anwendungsbereich
(1) Diese Richtlinie gilt für Dienstleistungen, die von einem in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringer angeboten werden.
(2) Diese Richtlinie findet auf folgende Tätigkeiten keine Anwendung:
...
i) Tätigkeiten, die im Sinne des Artikels 45 des Vertrages mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind;“
14 C. Relevante Bestimmungen des EUV, BGBl. III Nr. 85/1999 idF BGBl. III Nr. 132/2009, lauten:
„ARTIKEL 2
Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.
...
ARTIKEL 19
(1) Der Gerichtshof der Europäischen Union umfasst den Gerichtshof, das Gericht und Fachgerichte. Er sichert die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge.
Die Mitgliedstaaten schaffen die erforderlichen Rechtsbehelfe, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist.“
15 D. Relevante Bestimmungen des AEUV, BGBl. III Nr. 86/1999 idF BGBl. III Nr. 171/2013, lauten:
„Artikel 51
(ex ‑ Artikel 45 EGV)
Auf Tätigkeiten, die in einem Mitgliedstaat dauernd oder zeitweise mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind, findet dieses Kapitel in dem betreffenden Mitgliedstaat keine Anwendung.
Das Europäische Parlament und der Rat können gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren beschließen, dass dieses Kapitel auf bestimmte Tätigkeiten keine Anwendung findet.“
„DIENSTLEISTUNGEN
Artikel 56
(ex‑Artikel 49 EGV)
Die Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Union für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind, sind nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen verboten.
Das Europäische Parlament und der Rat können gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren beschließen, dass dieses Kapitel auch auf Erbringer von Dienstleistungen Anwendung findet, welche die Staatsangehörigkeit eines dritten Landes besitzen und innerhalb der Union ansässig sind.
Artikel 57
(ex‑Artikel 50 EGV)
Dienstleistungen im Sinne der Verträge sind Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit sie nicht den Vorschriften über den freien Waren‑ und Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit der Personen unterliegen.
Als Dienstleistungen gelten insbesondere:
a) gewerbliche Tätigkeiten,
b) kaufmännische Tätigkeiten,
c) handwerkliche Tätigkeiten,
d) freiberufliche Tätigkeiten.
Unbeschadet des Kapitels über die Niederlassungsfreiheit kann der Leistende zwecks Erbringung seiner Leistungen seine Tätigkeit vorübergehend in dem Mitgliedstaat ausüben, in dem die Leistung erbracht wird, und zwar unter den Voraussetzungen, welche dieser Mitgliedstaat für seine eigenen Angehörigen vorschreibt.“
„Artikel 62
(ex ‑ Artikel 55 EGV)
Die Bestimmungen der Artikel 51 bis 54 finden auf das in diesem Kapitel geregelte Sachgebiet Anwendung.“
16 III. Erwägungen
17 III.1. Zur Zulässigkeit
18 Da bislang aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 2 SDG Leitlinien zur Entscheidung einer Konstellation wie der vorliegenden nicht entnommen werden können, worauf die Zulässigkeitsbegründung der Revision zutreffend hinweist, ist die vorliegende Revision entgegen dem VwG auf dem Boden des Art. 133 Abs. 4 B‑VG iVm § 25a VwGG zulässig. Im Übrigen hat das VwG nach der gefestigten Rechtsprechung mit seiner im Wesentlichen formelhaft an den Text des Art. 133 Abs. 4 B‑VG angelehnten Darlegung seiner Begründungspflicht nach § 25a VwGG nicht entsprochen (vgl. etwa VwGH 29.5.2018, Ra 2017/03/0083, Rn. 12).
19 Die Revision erweist sich auch als begründet.
20 III.2. Zur Sache
21 A.a. Zunächst ist für den vorliegenden Fall in Erinnerung zu rufen, dass das Recht eines Mitgliedstaates die sich aus dem Unionsrecht ergebenden Verpflichtungen grundsätzlich nicht zu konterkarieren vermag. Jedes im Rahmen seiner Zuständigkeit angerufene nationale Gericht als Organ des Mitgliedstaates ist verpflichtet, in Anwendung des in Art. 4 Abs. 3 EUV niedergelegten Grundsatzes der Zusammenarbeit das unmittelbar geltende Unionsrecht uneingeschränkt anzuwenden und die Rechte, die es den Einzelnen verleiht, zu schützen. Die Geltung des Unionsrechts kann durch einen Mitgliedstaat nicht durch Vorschriften des nationalen Rechts, auch wenn diese Verfassungsrang haben, beeinträchtigt werden. Ist es nicht möglich, die volle Wirksamkeit des Unionsrechtes im Wege einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts sicherzustellen, so hat ein innerstaatliches Gericht für die volle Wirksamkeit dieser unionsrechtlichen Normen im Wege des Anwendungsvorrangs Sorge zu tragen, indem es jede möglicherweise entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lässt. Auch die Verwaltungsbehörden haben diesen Grundsätzen zu folgen (vgl. dazu aus der Rechtsprechung beispielsweise ‑ alle mwH ‑ VwGH 21.6.1999, 97/17/0501; VwGH 23.10.2000, 99/17/0193; VwGH 18.11.2004, 2001/07/0186, VwSlg. 16.495 A; VwGH 23.10.2013, 2012/03/0102, VwSlg. 18.726 A; VwGH 5.11.2015, Ro 2014/06/0078, VwSlg. 19.239 A; VwGH 19.6.2018, Ra 2017/03/0104).
22 In diesem Sinne ist es gemäß Art. 19 EUV, mit dem der Wert der in Art. 2 EUV proklamierten Rechtsstaatlichkeit konkretisiert wird, Sache der nationalen Gerichte und des EuGH, die volle Anwendung des Unionsrechts und in allen Mitgliedstaaten den Schutz der Rechte zu gewährleisten, die den Einzelnen aus ihm erwachsen. Diese Aufgabe erfüllen die nationalen Gerichte in Zusammenarbeit mit dem EuGH gemeinsam. Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV stellt das Schlüsselelement des so gestalteten Gerichtssystems dar, um die Kohärenz, die volle Geltung, die Autonomie sowie letztlich den eigenen Charakter des durch die Verträge der Europäischen Union geschaffenen Rechts zu gewährleisten (vgl. dazu EuGH 8.3.2011, Gutachten 1/09 [Übereinkommen zur Schaffung eines einheitlichen Patentgerichtssystems], Rn. 66 ff; ferner jüngst EuGH [Große Kammer] 27.2.2018, C‑64/16, Associação Sindical dos Juízes Portugueses, Rn. 27 ff; EuGH [Große Kammer] 6.3.2018, C‑284/16, Achmea BV, Rn. 36 ff; EuGH [Große Kammer] 25.7.2018, C‑2016/18 PPU, LM, Rn. 50 ff).
23 A.b. Ausgehend davon trifft die Verwaltungsgerichte und die Verwaltungsbehörden insbesondere die Verpflichtung, im Anwendungsbereich des Unionsrechts die einschlägigen Rechtsvorschriften der Union zu identifizieren und deren Sinn auch anhand der Rechtsprechung der Gerichte der Europäischen Union, insbesondere des EuGH, der letztlich zur Auslegung der Rechtsvorschriften der Europäischen Union zuständig ist (vgl. Art. 267 AEUV), zu erfassen. Auf dieser Grundlage ist der Inhalt der österreichischen Rechtsvorschriften zu klären, die damit im Zusammenhang stehen. Dies betrifft insbesondere solche österreichischen Rechtsvorschriften, die unionsrechtliche Vorgaben umsetzen. Maßgebend für das Zusammenwirken zwischen unionsrechtlichen und österreichischen Rechtsvorschriften sind ‑ wie angesprochen ‑ insbesondere die unionsrechtlichen Grundsätze des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts samt der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechtes.
24 Soweit die rechtliche Grundlage einer verwaltungsgerichtlichen oder einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung nicht nur österreichisches Recht, sondern auch (etwa im Wege einer unionsrechtskonformen Auslegung) Unionsrecht sein kann, erfordert die nach dem jeweils anzuwendenden Verfahrensrecht bestehende Begründungspflicht gegebenenfalls auch eine Begründung dafür, weshalb die Anwendung der nationalen Regelung entgegen dem (nicht erkennbar völlig grundlosen) am Unionsrecht orientierten Parteienvorbringen erfolgte. Dies schließt auch die Verpflichtung ein, sich mit den von einer Partei vorgetragenen Bedenken, sofern diese plausibel sind, auseinanderzusetzen. Verlangt die Begründung, weshalb die innerstaatliche Vorschrift entgegen solchen aus dem Blickwinkel des Unionsrechts bestehenden Bedenken angewendet wird, Sachverhaltsfeststellungen, sind diese in diesen Entscheidungen zu treffen (vgl. VwGH 21.6.1999, 97/17/0501; VwGH 27.6.2002, 99/10/01059).
25 Da eine etwaige Vorlage an den EuGH gemäß Art. 267 AEUV ‑ wie sie hier von der revisionswerbenden Partei angeregt wird ‑ nur auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts erfolgen kann, sind für die Unionsrechtsproblematik erforderliche Sachverhaltsfeststellungen zunächst von der Verwaltungsbehörde und in der Folge vom Verwaltungsgericht zu treffen, und zwar vom Verwaltungsgericht auch dann, wenn es von seiner Zuständigkeit zur Vorlage nach Art. 267 AEUV nicht Gebrauch macht und eine allfällige Vorlageverpflichtung dann dem Verwaltungsgerichtshof nach Art. 267 Abs. 3 AEUV zukommt (vgl. dazu nochmals VwGH 21.6.1999, 97/17/0501).
26 B. Dieser Rechtslage werden weder die angefochtene verwaltungsgerichtliche Entscheidung noch der diesem zugrunde liegende verwaltungsbehördliche Bescheid gerecht. Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Verwaltungsbehörde hat die unionsrechtliche Rechtslage zur Gänze außer Acht gelassen, obwohl es für eine sachverhaltsmäßige Konstellation wie die vorliegende nicht übersehen werden kann, dass für einen deutschen Staatsangehörigen, der Dienstleistungen in Österreich erbringen möchte, die Freiheiten nach dem AEUV einschlägig sein können (vgl. Art. 48 ff).
27 Die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts setzt sich mit unionsrechtlichen Rechtsvorschriften auseinander, wird ihnen aber im Ergebnis nicht gerecht. Der nach den verwaltungsgerichtlichen Feststellungen in Deutschland tätige Revisionswerber wird mit der fraglichen Sachverständigentätigkeit für ein österreichisches Gericht im Rahmen einer freiberuflichen Tätigkeit gegen Entgelt tätig (vgl. Art. 57 AEUV), wobei jedenfalls schon die grenzüberschreitende Übermittlung seines Gutachtens als Produkt seiner Dienstleistung die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 ff AEUV eröffnet („Korrespondenzdienstleistung“; vgl. Tiedje, Art. 56 AEUV, Rn. 26 ff, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg), Europäisches Unionsrecht7, Band 1 [2015]; Kluth, Art. 57 AEUV, Rn. 32 f, in: Calliess/Ruffert (Hrsg), EUV/AEUV5 [2016]; Kotzur, Art. 57 AEUV, Rn. 10, in: Geiger/Kahn/Kotzur, EUV, AEUV6 [2017]; Khan/Eisenhut, Art. 57, Rn. 23 ff, in: Vedder/Heintschel von Heinegg (Hrsg), Europäsiches Unionsrecht2 [2018]). Darüber hinaus erbringt eine Person wie der Revisionswerber auch eine grenzüberschreitende Dienstleistung, wenn er im Rahmen der fraglichen Sachverständigentätigkeit in Österreich (insbesondere vor einem Gericht) tätig wird, oder wenn sich eine Person, die er sachverständig beurteilen soll, von Österreich zu ihm nach Deutschland begibt, damit der Revisionswerber dann dort seine Dienstleistung (partiell) erbringen kann (vgl. dazu Kotzur, a.a.O., Rn. 8 f; Khan/Eisenhut, a.a.O., insb. Rn. 27).
28 Diese Qualifikation korrespondiert mit der vom EuGH in seinem (vom Verfassungsgerichtshof und auch vom Revisionswerber genannten) Urteil vom 17. März 2011 in den Rechtssachen C‑372/09 und C‑373/09 betreffend den Fall Josep Peñarroja FA vertretenen Auffassung. Im Zusammenhang mit der Einstufung als Dienstleistung hat der EuGH insbesondere darauf hingewiesen, dass der Umstand, dass ein Gerichtssachverständiger nur auf richterliche Bestellung hin bei einem Auftrag tätig wird, dessen Bedingungen vom Richter festgelegt werden, diesen Auftrag nicht grundlegend von den klassischen Vertragsverhältnissen auf dem Gebiet der Dienstleistungen unterscheidet (Rn. 39), und dass ferner der Umstand, dass die Vergütung für einen Gerichtssachverständigen nach einem von der Behörde festgelegten Tarif festgesetzt wird, für die Einstufung der Arbeiten, die Gerichtssachverständige zu verrichten haben, als Dienstleistung ohne Belang ist (Rn. 38). Wenn die Aussagen des EuGH in diesem Urteil fallbezogen auf Übersetzerdienste fokussiert sind, sind diese auf dem Boden des im vorliegenden Zusammenhang maßgebenden SDG auch für Gerichtssachverständige bedeutsam, zumal nach § 14 SDG Dolmetscher und Sachverständige bezüglich der sich aus § 2 Abs. 2 lit. g SDG ergebenden Einschränkung gleich behandelt werden. Von daher ist es auch für den vorliegenden Fall maßgebend, wenn der EuGH herausstellt, dass die Sachverständigentätigkeit die gerichtliche Würdigung und die freie Ausübung der rechtsprechenden Gewalt ungeschmälert lässt und der Sachverständigentätigkeit im Rahmen des behördlichen bzw. gerichtlichen Verfahrens bloßer „Hilfscharakter“ zukommt, weshalb diese keine unmittelbare und spezifische Teilnahme an der Ausübung der öffentlichen Gewalt iSd Art. 45 Abs. 1 EG darstellt (vgl. Rn. 41 ff des eben zitierten Urteils). Dieses Verständnis des Begriffes „Ausübung öffentlicher Gewalt“ liegt auch dem nunmehr maßgebenden Art. 51 Abs. 1 AEUV zugrunde (vgl. EuGH 1.2.2017, Rs C‑392/15, Europäische Kommission gegen Ungarn, Rn. 108). Ausgehend davon ist es aber entgegen dem VwG nicht zutreffend, die Tätigkeit eines dem SDG unterfallenden gerichtlichen Sachverständigen der Ausnahmebestimmung des Art. 2 Abs. 2 lit. i DL‑RL zu subsumieren, weil diese Sachverständigentätigkeit als Ausübung öffentlicher Gewalt zu qualifizieren wäre. Da die in Rede stehenden unionsrechtlichen Bestimmungen auch die Bundesrepublik Deutschland binden, erscheint im Übrigen der Hinweis des VwG auf eine völkerrechtliche Problematik betreffend die Ausübung von Hoheitsgewalt nicht überzeugend.
29 Da das VwG diese auf Grund des Unionsrechts unabhängig vom innerstaatlichen Recht vorgenommene rechtliche Beurteilung des EuGH nicht hinreichend beachtete und zum gegenteiligen Ergebnis kam, erweist sich schon deshalb seine hier angefochtene Entscheidung als inhaltlich rechtswidrig.
30 Lediglich der Vollständigkeit halber wird noch angemerkt, dass auch für den Bereich der österreichischen Rechtsordnung die Tätigkeit eines Sachverständigen grundsätzlich keine Mitwirkung an einer behördlichen Entscheidung darstellt, sondern ihr eine Hilfsfunktion an der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes zukommt (vgl. VwGH 22.6.2016, Ra 2016/03/0027, VwSlg. 19.385 A, Rn. 33 ff; OGH 24.4.2001, 1 Ob 1/01f).
31 D. Auf dem Boden des zitierten Urteils des EuGH vom 17. März 2011, Rn. 30, ist schließlich für die Beurteilung des VwG im fortgesetzten Verfahren noch darauf hinzuweisen, dass auch das SDG offenbar vor allem das Ziel hat, die Einschaltung von Fachkundigen im gerichtlichen Verfahren zu erleichtern, es in Österreich aber ‑ worauf der Verfassungsgerichtshof in dem oben genannten Beschluss hingewiesen hat ‑ den Gerichten offensteht, auf Sachverständige zurückzugreifen, die nicht in einer Liste nach dem SDG genannt werden. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang die Rechtsprechung des EuGH, wonach nationale Maßnahmen, die die Ausübung der durch den AEUV garantierten Grundfreiheiten behindern oder weniger attraktiv machen können, mit diesen nur dann vereinbar sind, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen. So müssen sie in nicht diskriminierender Weise angewandt werden, sie müssen aus zwingenden Gründen des allgemeinen Interesses gerechtfertigt sein, sie müssen geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Ziels zu gewährleisten und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (vgl. etwa EuGH 9.3.2017, Rs C‑342/15, Leopoldine Gertraud Piringer, Rn. 53). Ob die Regelung des § 2 Abs. 2 lit. g SDG diesen unionsrechtlichen Anforderungen gerecht wird, wird das VwG im fortgesetzten Verfahren zu beurteilen haben.
32 IV. Ergebnis
33 A. Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
34 B. Bei diesem Ergebnis war es auch nicht erforderlich, der Anregung der revisionswerbenden Partei zu folgen, den EuGH mit der Frage der Bedeutung seines Urteils in der Rs Josep Peñarroja FA für die österreichische Rechtslage zu befassen.
35 C. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 10. Oktober 2018
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