VwGH Ra 2016/21/0006

VwGHRa 2016/21/000628.1.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin und die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Revision des M T in W, vertreten dur, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10. November 2015, Zl. L507 1413816-2/13E, betreffend Abweisung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005, Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Festsetzung einer Ausreisefrist und Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §10 Abs2 Z2 idF 2011/I/038;
AsylG 2005 §10 Abs3;
AsylG 2005 §55;
BFA-VG 2014 §9;
FrPolG 2005 §52 Abs3;
FrPolG 2005 §61 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §66 idF 2009/I/029;
FrPolG 2005 §66;
MRK Art8;
VwRallg;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2016:RA2016210006.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

Der Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste am 8. April 2010 illegal nach Österreich ein und stellte hier am nächsten Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde letztlich mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 17. August 2011 zur Gänze rechtskräftig abgewiesen; unter einem wurde die Ausweisung des Revisionswerbers aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei verfügt.

Ungeachtet dessen verblieb der Revisionswerber in Österreich und stellte am 4. Oktober 2013 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels. Über diesen Antrag entschied das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 15. Mai 2015 dahin, dass dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005 nicht erteilt werde. Unter einem erließ es gegen den Revisionswerber gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 3 FPG eine Rückkehrentscheidung. Weiters stellte das BFA gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in die Türkei zulässig sei. Schließlich setzte es die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 10. November 2015 gemäß "§§ 10, 55 AsylG iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 3 und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG" als unbegründet ab. Weiters sprach es aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich (ua.) wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG "nicht zur Behandlung eignen", ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

In der diesbezüglichen Begründung wird in der Revision vorgebracht, das BVwG habe zwar § 55 AsylG 2005 richtig zitiert, sei jedoch in seiner rechtlichen Würdigung "abgeschwenkt" und nicht mehr auf diese Bestimmung eingegangen, sondern habe nur mehr auf andere, nicht maßgebliche gesetzliche Regelungen Bezug genommen. Es habe somit den Sachverhalt nicht nach § 55 AsylG 2005 beurteilt. In diesem Zusammenhang steht auch die weitere Rüge, das BVwG habe ohne jede Grundlage die zu anderen Gesetzesbestimmungen ergangene Judikatur betreffend Fragen der Ausweisung bzw. Rückkehrentscheidung als "auf § 9 BFA-VG übertragbar" angesehen.

Richtig ist, dass der Revisionswerber einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels iSd § 55 AsylG 2005, was gemäß dessen Abs. 1 Z 1 voraussetzt, dass dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist, gestellt und das BVwG primär über die Beschwerde gegen die Abweisung dieses Antrags zu entscheiden hatte. Das brachte das BVwG zwar auch im Spruch des angefochtenen Erkenntnisses durch die Bezugnahme auf die erstgenannte Bestimmung sowie auf § 10 (offenbar gemeint: Abs. 3) AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 3 FPG, wonach mit der Abweisung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 eine Rückkehrentscheidung zu verbinden ist, zum Ausdruck. In der rechtlichen Beurteilung wurde dann jedoch in erster Linie die Erlassung der Rückkehrentscheidung begründet und dazu aufgrund der nach § 9 BFA-VG vorgenommenen Interessenabwägung zusammenfassend die Meinung vertreten, das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts des Revisionswerbers überwiege dessen persönliches Interesse am Verbleib im Bundesgebiet und daher liege durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vor. Auch sonst seien keine Anhaltspunkte hervorgekommen und auch in der Beschwerde nicht vorgebracht worden, dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre. Daraus folgerte das BVwG unmittelbar anschließend, nach Abwägung aller Umstände sei dem Revisionswerber auch ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 "von Amts wegen" nicht zu erteilen.

Durch diese Vorgangsweise ist der Revisionswerber allerdings nicht in Rechten verletzt. Der Verwaltungsgerichtshof hat nämlich erst jüngst in seinem Erkenntnis vom 12. November 2015, Ra 2015/21/0101, Punkte 3.3. und 3.4. der Entscheidungsgründe, ausführlich auf den inhaltlichen Gleichklang der Beurteilung eines Eingriffs in das Privat- und Familienleben eines Fremden bei Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung einerseits und der Frage der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 andererseits hingewiesen. Demnach waren sowohl die Zulässigkeit der gegen den Revisionswerber erlassenen Rückkehrentscheidung als auch die inhaltliche Berechtigung seines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 - ebenso wie auch die vom BVwG unter Außerachtlassung dieses Antrags diesbezüglich vorgenommene amtswegige Prüfung - jeweils vom Ergebnis der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG abhängig (vgl. dazu auch noch Punkt 4.1. des erwähnten Erkenntnisses vom 12. November 2015, Ra 2015/21/0101). In diesem Erkenntnis wurde im Übrigen auch zum Ausdruck gebracht (vgl. Punkt 3.2.), dass die zu den Vorgängerregelungen des § 9 BFA-VG (§ 61 FPG in der Fassung des am 1. Juli 2011 in Kraft getretenen FrÄG 2011 sowie davor § 66 FPG in der am 1. April 2009 in Kraft getretenen Fassung BGBl. I Nr. 29/2009 und § 66 FPG in der am 1. Jänner 2006 in Kraft getretenen Stammfassung, jeweils betreffend die fremdenpolizeiliche Ausweisung bzw. Rückkehrentscheidung) ergangene Judikatur weiterhin ihre Gültigkeit hat. Das gilt sinngemäß auch für die - sich auf die asylrechtliche Ausweisung beziehende und mit den genannten Normen im Wesentlichen ebenfalls inhaltsgleiche - Bestimmung des § 10 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 (in der bis zum 31. Dezember 2013 geltenden Fassung vor dem FNG), die das BVwG im vorliegenden Fall in erster Linie für maßgeblich erachtete. Der diesbezügliche Einwand in der Revision geht daher ins Leere.

In der Zulässigkeitsbegründung wird vom Revisionswerber aber auch das Ergebnis der vom BVwG an Hand der Kriterien des § 9 BFA-VG vorgenommenen Interessenabwägung bemängelt und dazu die Auffassung vertreten, das BVwG habe dabei seinen Ermessensspielraum überschritten.

Dem ist jedoch zu entgegnen, dass die einzelfallbezogene Beurteilung, ob ein Eingriff iSd Art. 8 EMRK zulässig oder unzulässig ist, nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dann nicht revisibel ist, wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde (siehe zuletzt etwa den Beschluss vom 16. Dezember 2015, Ra 2015/21/0154, mit dem Hinweis auf den grundlegenden Beschluss vom 25. April 2014, Ro 2014/21/0033). Das ist hier aber trotz Unbescholtenheit und ansatzweisen Integrationsbemühungen des ledigen und nicht berufstätigen Revisionswerbers, dessen Kernfamilie und auch seine Verlobte in der Türkei leben, eindeutig der Fall, zumal der etwa fünfjährige Inlandsaufenthalt dadurch entscheidend relativiert ist, dass er einerseits nur auf einem unberechtigten Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz beruhte und andererseits nach Erlassung der nicht befolgten asylrechtlichen Ausweisung seit August 2011 zur Gänze unrechtmäßig ist.

In der Revision werden somit keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufgezeigt, sodass sie gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unzulässig zurückzuweisen war.

Wien, am 28. Jänner 2016

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