VwGH Ra 2016/18/0127

VwGHRa 2016/18/012714.9.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schweda, über die Revision des A R J in W, vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. April 2016, Zl. L519 2121433- 1/2E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §73 Abs2;
B-VG Art130 Abs1 Z3;
B-VG Art133 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §8 Abs1;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger des Iran, brachte am 5. August 2013 beim Bundesasylamt (nunmehr: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) einen Antrag auf internationalen Schutz ein. Zusammengefasst brachte er vor, am 16. April 2012 mit einem Visum eingereist zu sein und nicht mehr in den Iran zurückkehren zu können, weil ihm dort Verfolgung wegen seiner Konversion zum protestantischen Glauben drohe.

2 Das Asylverfahren wurde von der Asylbehörde zwar zugelassen, über den Antrag im Folgenden aber keine Entscheidung getroffen.

3 Mit Schreiben vom 9. November 2015, eingelangt am 11. November 2015, erhob der Revisionswerber deshalb Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht (Säumnisbeschwerde) an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG), die mit dem nun angefochtenen Erkenntnis als unbegründet abgewiesen wurde. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das BVwG für nicht zulässig.

4 Zur Begründung seiner Entscheidung führte das BVwG aus, die Verzögerung in der Erledigung des Antrags des Revisionswerbers sei nicht auf ein überwiegendes Verschulden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, sondern auf vom Bundesamt unbeeinflussbare und unüberwindliche Hindernisse zurückzuführen. Mit Schreiben vom 17. September 2013 sei der Magistrat der Stadt Wien vom Bundesasylamt um Übermittlung jener Unterlagen ersucht worden, die zur Ausstellung eines Aufenthaltstitels und/oder Visums an den Revisionswerber geführt hätten. Weiters sei mit Schreiben vom selben Tag die Österreichische Botschaft in Teheran um Mitteilung jener Gründe ersucht worden, die zur Ausstellung des Sichtvermerks an den Revisionswerber geführt hätten, sowie um Übermittlung einer Kopie des Antrags und des Originals einer etwaigen Verpflichtungserklärung gebeten worden. Beide Schreiben seien bislang unerledigt geblieben. Der Revisionswerber habe Schreiben vom 6. Mai und vom 28. Juli 2013 vorgelegt, die in Zusammenhang mit seiner Konversion standen. Beweismittel für seine eigentliche Fluchtgeschichte wie z.B. angeblich am Flughafen Teheran unterzeichnete Papiere über die Ableistung seines Wehrdienstes nach seiner Rückkehr, Nachweise über erfolgte Zahlungen der Eltern, etc. habe der Revisionswerber bis dato nicht vorgelegt. Aus Sicht des BVwG sei die Säumigkeit sohin der Sphäre des Revisionswerbers zuzurechnen und als Mitverschulden an der Verfahrensdauer mit zu berücksichtigen.

5 Darüber hinaus sei in maßgeblicher Weise in Betracht zu ziehen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit einem explosionsartigen Anstieg der Zahl der Anträge auf internationalen Schutz spätestens im Geschäftsjahr 2015 konfrontiert gewesen sei, sodass es der Behörde in nachvollziehbarer Weise erschwert worden sei, diese binnen der Frist des § 73 AVG zu erledigen. Daraus folge, dass das Bundesamt in Bezug auf eine etwaige Säumnis nicht schuldhaft gehandelt habe. Die Säumnisbeschwerde sei deshalb abzuweisen gewesen.

6 Gegen diese Entscheidung wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, zu der das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl keine Revisionsbeantwortung erstattet hat.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7 Die Revision ist zulässig und begründet.

8 Gemäß § 8 Abs. 1 VwGVG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) erst erhoben werden, wenn die Behörde die Sache nicht innerhalb von sechs Monaten, wenn gesetzlich eine kürzere oder längere Entscheidungsfrist vorgesehen ist, innerhalb dieser entschieden hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war. Die Beschwerde ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.

9 Im vorliegenden Fall hatte das Bundesasylamt und ihm nachfolgend das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nach der maßgeblichen Rechtslage binnen sechs Monaten ab Einbringung des Antrags auf internationalen Schutz zu entscheiden (die Neuregelung des § 22 Abs. 1 Asylgesetz 2005, die am 1. Juni 2016 in Kraft trat und eine 15-monatige Entscheidungsfrist vorsieht, war fallbezogen noch nicht anzuwenden). Demnach lief die sechsmonatige Entscheidungsfrist bereits am 5. Februar 2014 und somit vor jenem Zeitpunkt ab, zu dem nach den Ausführungen des BVwG das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit einem "explosionsartigen Anstieg der Zahl der Anträge auf internationalen Schutz" konfrontiert gewesen sei, der es der Asylbehörde erschwert habe, seine Entscheidungen fristgerecht zu treffen. Insofern unterscheidet sich der vorliegende Fall auch von jenen, in denen in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein überwiegendes Verschulden des Bundesamtes an der Säumnis verneint wurde, weil diese allein auf eine durch den massiven Zustrom von Schutzsuchenden in der jüngeren Vergangenheit bewirkte Ausnahmesituation zurückzuführen war (vgl. etwa VwGH vom 24. Mai 2016, Ro 2016/01/0001 bis 0004, und vom 29. Juli 2016, Ro 2016/18/0004). Die Abweisung der Säumnisbeschwerde wegen der angenommenen Überlastung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl erweist sich daher als rechtlich verfehlt.

10 Auch die Alternativbegründung des BVwG, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl treffe kein überwiegendes Verschulden, weil ihm vom Magistrat der Stadt Wien und von der Österreichischen Botschaft in Teheran abgeforderte Unterlagen nicht übermittelt worden seien, bzw. weil der Revisionswerber keine Beweismittel für seine "eigentliche Fluchtgeschichte" vorgelegt habe, trägt die angefochtene Entscheidung nicht.

11 Wenngleich die Frage, ob die Behörde in einem konkreten Fall ein überwiegendes Verschulden an der Verzögerung der Verfahrenserledigung trifft, als einzelfallbezogene Beurteilung im Allgemeinen nicht revisibel ist, setzt dies voraus, dass diese Beurteilung auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde (vgl. auch dazu etwa VwGH vom 29. Juli 2016, Ro 2016/18/0004).

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat in Fällen der Verletzung der Entscheidungspflicht zur Frage des überwiegenden Verschuldens der Behörde bereits ausgesprochen, dass der Begriff des Verschuldens der Behörde nicht im Sinn eines Verschuldens von Organwaltern der Behörde, sondern insofern "objektiv" zu verstehen ist, als ein solches "Verschulden" dann anzunehmen ist, wenn die zur Entscheidung berufene Behörde nicht durch schuldhaftes Verhalten der Partei oder durch unüberwindliche Hindernisse an der Entscheidung gehindert war. Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung ein überwiegendes Verschulden der Behörde darin gesehen, dass diese die für die zügige Verfahrensführung notwendigen Schritte unterlässt oder mit diesen grundlos zuwartet (vgl. etwa jüngst VwGH vom 28. Juni 2016, Ra 2015/10/0107, mwN).

13 Mit der zuvor wiedergegebenen Begründung (Rz 4 und 10) zeigt das BVwG nicht auf, welche für die Entscheidung konkret notwendigen Beweismittel der Asylbehörde gefehlt haben und inwieweit deren Beschaffung außerhalb des Einflussbereiches der Asylbehörde gelegen sind. Insbesondere wird nicht nachvollziehbar dargestellt, welche entscheidungsrelevante Bedeutung die als fehlend bezeichneten Beweismittel für die Beurteilung des Fluchtvorbringens des Revisionswerbers (Verfolgungsgefahr wegen der behaupteten Konversion) gehabt hätten. Hinzu kommt, dass der Revisionswerber nach der Aktenlage auch nicht aufgefordert wurde, weitere Beweismittel zu bestimmten, relevanten Beweisthemen vorzulegen, über die die Asylbehörde nicht verfügte, und es fand auch keine Urgenz in Bezug auf die an andere Behörden gestellten, aber unbeantwortet gebliebenen Anfragen statt. Der Begründung der angefochtenen Entscheidung lässt sich somit nicht nachvollziehbar entnehmen, warum das BVwG fallbezogen ein überwiegendes Verschulden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl an der Verzögerung der Entscheidung verneint hat.

14 Das angefochtene Erkenntnis war aus allen diesen Gründen - vorrangig - wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

15 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 14. September 2016

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