Normen
AsylG 2005 §3 Abs1;
B-VG Art133 Abs4;
MRK Art3;
VwGG §28 Abs3;
VwGG §34 Abs1;
AsylG 2005 §3 Abs1;
B-VG Art133 Abs4;
MRK Art3;
VwGG §28 Abs3;
VwGG §34 Abs1;
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind Ehegatten, die Drittrevisionswerberin ist ihre minderjährige Tochter. Sie alle besitzen die ukrainische Staatsbürgerschaft, lebten gemeinsam bis November 2014 in der Region Donezk, übersiedelten dann in die Hauptstadt Kiew und reisten schließlich im Februar 2015 mit Visa nach Österreich ein, wo sie am 28. Februar 2015 Anträge auf internationalen Schutz stellten.
2 Dabei stützten sie sich insbesondere darauf, dass sie der - in der Ukraine gesetzlich anerkannten - Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas angehörten und der Erstrevisionswerber aus religiösen Gründen der Einberufung zum Wehrdienst in der ukrainischen Armee nicht Folge leisten wolle. Seine Religion verbiete ihm, eine Waffe in die Hand zu nehmen. Dem werde von den Militärbehörden im Heimatstaat aber keine Bedeutung beigemessen und ihm drohe aus diesem Grund Verfolgung.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Anträge der revisionswerbenden Parteien auf internationalen Schutz im Beschwerdeverfahren zur Gänze ab, erteilte keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß den §§ 57 und 55 Asylgesetz 2005, erließ gegen alle Familienmitglieder Rückkehrentscheidungen und erklärte ihre Abschiebung in die Ukraine für zulässig. Zur freiwilligen Ausreise wurde eine Frist von zwei Wochen festgelegt. Die Revision wurde für nicht zulässig erklärt.
4 Begründend hielt das BVwG - zusammengefasst - fest, es sei angesichts der politischen Entwicklung in der Ukraine nicht auszuschließen, dass der Erstrevisionswerber im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat eine (neuerliche) Einberufung zu einer Musterung oder Ladung zum Antritt eines Militärdienstes erhalten werde. Für diesen Fall stehe ihm jedoch die Möglichkeit der Ableistung eines zivilen Wehrersatzdienstes offen. In diesem Zusammenhang bezog sich das BVwG auf die Länderfeststellungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in der erstinstanzlichen Entscheidung, wonach ein derartiges Recht auch für Zeugen Jehovas in der Ukraine (verfassungs-)gesetzlich festgelegt sei und laut einer Gerichtsentscheidung vom Juni 2015 auch in der derzeitigen Situation einer Mobilmachung, der auch der Erstrevisionswerber unterliege, geltend gemacht werden könne. Von einer zwangsweisen Einberufung des Erstrevisionswerbers, gegen die ihm kein entsprechender Rechtsschutz gewährt würde, könne daher nicht ausgegangen werden. Dem sei der Erstrevisionswerber auch nicht substantiiert (etwa durch Vorlage von Berichtsmaterial oder Gerichtsentscheidungen gegenteiligen Inhalts) entgegen getreten.
5 Unabhängig von dieser dem Erstrevisionswerber offenstehenden Möglichkeit der Ableistung eines Wehrersatzdienstes habe das Verfahren keine Hinweise darauf geliefert, dass er im Fall der Rückkehr aus asylrelevanten Gründen einberufen würde oder im Vergleich zu anderen männlichen Staatsbürgern der Ukraine schlechter behandelt würde, sollte er einer erfolgenden Einberufung keine Folge leisten. Auch das vorgesehene Strafausmaß für die Entziehung vom Wehrdienst sei nicht unverhältnismäßig. Zudem werde in den vorliegenden Länderberichten hervorgehoben, dass bislang lediglich in wenigen Fällen eine tatsächliche Freiheitsstrafe (im Ausmaß von zwei Jahren) verhängt worden sei, im Übrigen würden lediglich geringfügige Verwaltungsstrafen bzw Bußgelder auferlegt. Generell sei als notorisch anzusehen, dass die Kampfhandlungen in der Ostukraine in den letzten Monaten beendet worden seien und der Waffenstillstand im Wesentlichen eingehalten werde. Eine Involvierung von Rekruten wie dem Erstrevisionswerber, der erst eine militärische Grundausbildung durchlaufen müsse, sei demzufolge in absehbarer Zeit auszuschließen. Insgesamt sei daher keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft gemacht worden.
6 Dagegen wendet sich die (gemeinsame) außerordentliche Revision der revisionswerbenden Parteien, in der zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen Folgendes geltend gemacht wird:
"Wie (...) aus der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht hervorgeht(,) liegt sehr wohl eine asylrelevante Verfolgung vor, da trotz Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehova, welche aus konfessionelle(n) Gründen verbietet, den Militärdienst zu leisten(,) der Erstrevisionswerber mehrmals aufgefordert wurde(,) der Wehrpflicht nachzukommen. Da sich der innerstaatliche Erlass über die Maßnahme zur Erhöhung der Verteidigungsfähigkeit des Landes auf das gesamte Staatsgebiet der Ukraine bezieht(,) besteht gerade deshalb keine innerstaatliche Fluchtalternative.
Gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts ist daher eine außerordentliche Revision zulässig, da diese von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Insbesondere(,) weil eine Rechtsprechung des VwGH, (ob) in Verbindung mit der Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehova eine asylrelevante Verfolgung innerhalb des Staatsgebietes der Ukraine vorliegt, fehlt. Auch (die) Frage der Ableistung eines Ersatzwehrdienstes aufgrund religiöser Zugehörigkeit trotz allgemeiner Erhöhung der Verteidigungsfähigkeit innerhalb der Ukraine wurde in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet."
Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Hat das Verwaltungsgericht - wie im vorliegenden Fall - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.
Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe zu überprüfen. Liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG danach nicht vor, ist die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
8 Im vorliegenden Fall vermisst die Revision Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu, ob Zeugen Jehovas in der Ukraine Verfolgung erfahren, und bezieht sich dabei erkennbar auf die dem Erstrevisionswerber möglicherweise drohende Einberufung zum Militärdienst, den er aus religiösen Gründen ablehnt. Überdies vermeint sie uneinheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der Möglichkeit einer Ableistung des Wehrersatzdienstes für Zeugen Jehovas in der momentanen Situation der Mobilmachung in der Ukraine zu erkennen, ohne diese angebliche Uneinheitlichkeit der Judikatur näher zu präzisieren.
9 Dem ist zunächst zu erwidern, dass der Verwaltungsgerichtshof nicht dazu berufen ist, im Rahmen des Revisionsverfahrens länderspezifische Tatsachenfragen zu klären, sondern seine zulässige Anrufung das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG erfordert.
10 Fehlende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu, ob die Angehörigen einer bestimmten Religionsgemeinschaft in einem speziellen Land Verfolgung unterliegen, weil sie gegen ihre Überzeugung zum Wehrdienst verpflichtet werden bzw. ob ihnen dort ein Wehrersatzdienst zur Verfügung steht, begründet somit keine Rechtsfrage nach Art. 133 Abs. 4 B-VG, wenn es dabei nur um Tatfragen geht, die vom Verwaltungsgericht unter Einhaltung der tragenden Verfahrensgrundsätze gelöst wurden. Dass Letzteres im vorliegenden Fall nicht zuträfe, macht die Revision in der Zulassungsbegründung nicht geltend.
11 Im gegenständlichen Verfahren hat das BVwG eine asylrelevante Verfolgung des Erstrevisionswerbers in der Ukraine wegen einer allfälligen Einberufung zum Wehrdienst vor allem deshalb verneint, weil dem Erstrevisionswerber die Möglichkeit eines zivilen Ersatzdienstes offen steht, um seine religiösen Gewissenskonflikte auszuräumen. Auf dieser Tatsachengrundlage hat das BVwG die asylrelevante Verfolgung des Erstrevisionswerbers am Maßstab der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zum asylrechtlichen Verfolgungsbegriff (vgl. etwa VwGH vom 15. Dezember 2015, Ra 2014/18/0118, mwN) zu Recht verneint, weil der Erstrevisionswerber seinen religiösen Bedenken gegen den verpflichtenden Wehrdienst mit der Waffe durch Inanspruchnahme eines Wehrersatzdienstes begegnen kann (vgl. dazu etwa EGMR vom 7. Juli 2011, Nr. 23.459/03, Bayatyan/Armenien, NVwZ 2012, 1603 ff).
12 Bei diesem Ergebnis braucht auf die Hilfsbegründung des BVwG, wonach auch unabhängig von der Möglichkeit der Ableistung eines Wehrersatzdienstes die Ablehnung des Wehrdienstes aus religiösen Gründen keinen Asylanspruch rechtfertige, wenn - wie das BVwG annimmt - der Erstrevisionswerber dadurch im Vergleich zu anderen männlichen ukrainischen Staatsbürgern nicht schlechter gestellt werde und die ihm drohende Strafe wegen Wehrdienstverweigerung nicht unverhältnismäßig sei, nicht näher eingegangen zu werden.
13 Es sei nur angemerkt, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen kann, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen - wie etwa der Anwendung von Folter - jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine "bloße" Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (vgl. etwa VwGH vom 25. März 2015, Ra 2014/20/0085, mwN).
14 Ob auch eine dem Asylwerber wegen Wehrdienstverweigerung aus religiösen Gründen drohende Bestrafung im festgestellten Ausmaß (Verwaltungsstrafen bzw. vereinzelt Gefängnisstrafen von zwei Jahren) für sich betrachtet ausreichen würde, um als "Verfolgung" im Sinne des Asylrechts anerkannt zu werden, musste in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht behandelt werden und kann auch im vorliegenden Fall offen bleiben, weil die Lösung der Revision von dieser Rechtsfrage - wie zuvor gezeigt - nicht abhängt (vgl. zum Meinungsstand in Bezug auf die Asylrelevanz von Wehrdienstverweigerung aus religiöser Überzeugung etwa UNHCR, Handbuch und Richtlinien über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft (2011), Rz 172 f ; Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz2 (2012), Rz 153 und 159 ff; derselbe, Kriegsdienstverweigerung im Flüchtlingsrecht, in:
Kriegsdienstverweigerung und Asyl (2014), 14 ff;
Hathaway/Foster, The Law of Refugee Status2 (2014), 274;
Goodwin-Gill/McAdam, The Refugee in International Law3 (2007), 104 ff).
15 Die Revision war daher wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG zurückzuweisen.
Wien, am 14. September 2016
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