VwGH Ra 2016/17/0200

VwGHRa 2016/17/02001.6.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Holeschofsky und die Hofrätinnen Mag.Dr. Zehetner sowie Dr. Koprivnikar als Richterinnen bzw Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kratschmayr, über die Revision 1. der A KG in M und 2. der C s.r.o. in B, beide vertreten durch Dr. Patrick Ruth, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 14. März 2016, 1) LVwG-S-386/005-2014 und 2) LVwG-S-386/006-2014, betreffend Beschlagnahme nach dem Glücksspielgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Tulln), zu Recht erkannt:

Normen

12010P/TXT Grundrechte Charta Art47;
GSpG 1989 §53 Abs2;
MRK Art6 Abs1;
VwGVG 2014 §37;
VwGVG 2014 §44 Abs4;
VwGVG 2014 §44;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2017:RA2016170200.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in Höhe von insgesamt EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Tulln vom 23. Oktober 2014 wurde gegenüber den revisionswerbenden Parteien die Beschlagnahme von zwei näher bezeichneten Glücksspielgeräten samt dem in der Geldlade befindlichem Bargeld gemäß § 53 Abs 3 und 4 iVm § 53 Abs 1 Z 1 lit a Glücksspielgesetz (GSpG) angeordnet.

2 Im ersten Verfahrensgang gab das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich der dagegen von den revisionswerbenden Parteien erhobenen Beschwerde mit Erkenntnis vom 25. November 2014 statt und hob den angefochtenen Bescheid ohne Durchführung der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung auf. Begründend wurde ausgeführt, dass keine Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde zur Beschlagnahme vorliege.

3 Auf Grund einer Amtsbeschwerde des Bundesministers für Finanzen hob der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 24. April 2015, Ra 2015/17/0009, unter Verweis auf seine Entscheidung desselben Tages, Ra 2015/17/0005, dieses Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts auf, da eine Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden gegeben sei.

4 Mit dem angefochtenen, im fortgesetzten Verfahren erlassenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich nunmehr die Beschwerde ab und sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.

5 Bezüglich der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung führte das Landesverwaltungsgericht aus, dass eine solche unterbleiben könne, da sich das erneut zu behandelnde Beschwerdevorbringen als reine Rechtsfrage darstelle.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht erstattete eine Revisionsbeantwortung.

 

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8 Nach Art 133 Abs 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9 Nach § 34 Abs 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs 3 VwGG) zu überprüfen.

10 Im Hinblick auf die in der Revision vorgebrachte Unionsrechtswidrigkeit ist anzumerken, dass der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 16. März 2016, Ro 2015/17/0022, nach der vom Gerichtshof der Europäischen Union geforderten Gesamtwürdigung der Umstände, unter denen die Dienstleistungsfreiheit beschränkende Bestimmungen des Glücksspielgesetzes erlassen worden sind und unter denen sie durchgeführt werden, eine Unionsrechtswidrigkeit der Bestimmungen des Glücksspielgesetzes nicht festgestellt hat. Dieser Rechtsansicht hat sich der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 15. Oktober 2016, E 945/2016, E 947/2016, E 1054/2016, angeschlossen.

11 Hinsichtlich des Zulässigkeitsvorbringens, es liege eine erhebliche Rechtsfrage vor, weil das Verwaltungsgericht entgegen der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keine mündliche Verhandlung anberaumt habe, obwohl die revisionswerbenden Parteien die Anberaumung der Verhandlung ausdrücklich beantragt hätten, ist die Revision zulässig und berechtigt.

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat im Zusammenhang mit § 53 Abs 2 GSpG bereits ausgesprochen, dass die Bestimmungen über die Beschlagnahme im Glücksspielgesetz als Regelungen des Verwaltungsstrafverfahrens zu verstehen sind (vgl VwGH vom 27. April 2012, 2012/17/0053, mwN), weshalb die Vorschriften über das Verfahren in Verwaltungsstrafsachen des VwGVG (§§ 37ff VwGVG) zur Anwendung zu gelangen haben. Im Hinblick auf die in Frage stehende Verhandlungspflicht bedeutet dies im vorliegenden Fall, dass § 44 VwGVG anzuwenden gewesen wäre.

13 Das Landesverwaltungsgericht hat gemäß § 44 Abs 1 VwGVG grundsätzlich eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. In den Abs 2 bis 5 leg cit finden sich Ausnahmen von der Verhandlungspflicht. Nach § 44 Abs 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteienantrages von einer Verhandlung absehen, wenn es einen Beschluss zu fassen hat, die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Sache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art 6 Abs 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl Nr 210/1958, noch Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl Nr C 83 vom 30. März 2010 S 389 entgegenstehen. Ein Absehen von der Verhandlung wäre nach dieser Bestimmung zu beurteilen und ausreichend zu begründen gewesen (vgl VwGH vom 15. Dezember 2014, Ro 2014/17/0121, mwN).

14 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs 2 Z 3 lit c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

15 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 1. Juni 2017

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