Normen
BAO §307 Abs1;
B-VG Art133 Abs4;
VwGG §28 Abs3;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2016:RA2016160015.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 8. Februar 2012 hatte der Bürgermeister der Stadtgemeinde Tulln an der Donau dem Mitbeteiligten eine Ergänzungsabgabe zur Kanaleinmündungsabgabe vorgeschrieben. Eingaben des Mitbeteiligten vom 5. Juni und 30. August 2012, wonach ein Anschluss im Obergeschoß bereits seit langer Zeit vorhanden gewesen sei, beantwortete der Bürgermeister mit Erledigung vom 27. September 2012 dahingehend, dass die Bescheide in den Abgabenverfahren längst rechtskräftig seien und daher auch kein Rechtsmittel zulässig sei. In einer weiteren Eingabe vom 14. April 2014 beantragte der Mitbeteiligte die Aufhebung von Abgabenbescheiden und die Rückzahlung von geleisteten Abgaben gemäß § 299 BAO.
2 Mit Erkenntnis vom 16. März 2015 wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich die Beschwerde des Mitbeteiligten gegen die im Instanzenzug ergangene Versagung des Begehrens nach § 299 Abs. 1 BAO gemäß § 279 BAO als unbegründet ab und bestätigte den angefochtenen Bescheid der Revisionswerberin. Mit einem weiteren Beschluss vom selben Tag gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde des Mitbeteiligten gegen die im Instanzenzug erfolgte Versagung der Wiederaufnahme des mit Abgabenbescheid vom 2. Februar 2012 abgeschlossenen Verfahrens statt, hob den dort angefochtenen Bescheid gemäß § 278 Abs. 1 BAO auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an den Stadtrat der Stadtgemeinde Tulln zurück. Die Abgabenbehörden der Stadtgemeinde hätten - so der Kern der Begründung - den Antrag vom 5. Juni 2012, der mehrfach, zuletzt im April 2014, präzisiert worden sei, als Antrag auf Wiederaufnahme dahingehend prüfen müssen, ob - wie behauptet - die Abgabenbehörden bei Erlassung des Bescheides vom 8. Februar 2012 von einem Sachverhalt ausgegangen seien, welcher mit den in den Verwaltungsakten festgehaltenen Tatsachen nicht im Einklang stehe. Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Gericht der Beschwerde des Mitbeteiligten gegen den Bescheid des Stadtrates der Stadtgemeinde Tulln vom 24. Juni 2015, mit dem einem Antrag des Mitbeteiligten keine Folge gegeben und der Bescheid vom 8. Februar 2012 bestätigt worden war, statt und änderte den angefochtenen Bescheid dahingehend ab, dass der Abgabenbescheid erster Instanz ersatzlos behoben wurde. Weiters sprach das Gericht aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
Begründend führte das Gericht nach Darstellung des Verfahrensganges und Zitierung aus der BAO, dem NÖ KanalG 1977 sowie aus der NÖ BauO 1976 u.a. folgendes aus:
"In der Sache ist eingangs festzuhalten, dass die von den Abgabenbehörden des mitbeteiligten Gemeindeverbandes der Abgabenfestsetzung zugrunde gelegten Berechnungsflächen dem Grunde nach außer Streit stehen.
Das Beschwerdevorbringen lässt sich vielmehr auf die Frage reduzieren, ob die Vorschreibung der Kanaleinmündungsabgabe an sich zu Recht erfolgt ist, dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass der faktische Anschluss an den Ortskanal bereits in den 1960er Jahren erfolgt sein dürfte. Vom Beschwerdeführer wurde diesbezüglich eine Verjährungseinrede erhoben.
Mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer im Recht.
...
Im gegenständlichen Fall ist somit auf die tatsächliche Errichtung des WCs bzw. wegen des Wegfalls der Verpflichtung zur Vorlage einer Vorliegens der Benützungsbewilligung (bzw. einer Fertigstellungsanzeige) der Abgabenanspruch zufolge Art. II Abs.4 der Übergangsbestimmungen zur 5. Novelle des NÖ Kanalgesetzes 1977 bereits am 1. Jänner 1997 entstanden. Die Verjährungsfrist hat diesfalls - eine Fertigstellungsanzeige war nicht geboten und demgemäß auf die faktische Vollendung der Maßnahme abzustellen - gemäß § 157 Abs.1 lit. a NÖ Abgabenordnung 1977 (nunmehr § 208 Abs. 1 lit. a BAO), wonach die Verjährung mit Ablauf des Jahres beginnt, in dem der Abgabenanspruch entstanden ist, mit 1. Jänner 1998 zu laufen begonnen. Demgemäß endete die Verjährungsfrist, da zwischenzeitig keine Unterbrechungshandlungen erfolgten, am 31. Dezember 2002. Die Beurteilung, ob Verjährung eingetreten ist, setzt ausdrückliche und nachprüfbare bescheidmäßige Feststellungen voraus, und zwar auch dann, wenn im Verwaltungsverfahren noch keine Verjährungseinrede erhoben wurde, zumal Verjährung im Abgabenverfahren von Amts wegen wahrzunehmen ist (vgl. VwGH vom 18. Oktober 1988, Zl. 87/14/0173, und vom 8. September 2005, Zl. 2005/17/0029). Einer Vorschreibung der Ergänzungsabgabe zur Kanaleinmündungsabgabe im Jahre 2012 steht somit im Ergebnis die eingetretene Verjährung entgegen.
Die Abgabenbehörden der mitbeteiligten Stadtgemeinde haben somit im Ergebnis den Beschwerdeführer in seinem subjektivöffentlichen Recht auf Durchführung eines den Bestimmungen des NÖ Kanalgesetzes 1997 und der BAO entsprechenden Verfahrens verletzt, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.
...
Diese Entscheidung konnte gemäß § 274 Abs. 1 BAO unter Entfall der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung getroffen werden. Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung wurde vom Beschwerdeführer nicht beantragt. Auch aus dem vorgelegten Verwaltungsakt ist ersichtlich, dass eine mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt."
Abschließend begründete das Gericht seinen Ausspruch über die Unzulässigkeit einer Revision.
3 Die gegen dieses Erkenntnis erhobene Amtsrevision begründet ihre Zulässigkeit wie folgt:
"Entgegen der Ansicht des LVwG NÖ liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art 133 Abs 4 B-VG und § 25a VwGG vor.
Es liegt nämlich zu keiner der nachstehenden Fragestellungen, die im gegenständlichen Fall relevant sind, einschlägige Judikatur des VwGH vor:
- Wie sind die Regelungen über die Fälligkeit der Ergänzungsabgabe zur Kanaleinmündungsabgabe (§ 12 Abs 1 NÖ KanalG 1977 sowie Art II Abs 4 der 5. Novelle zum NÖ KanalG, LGBl 8230-5) auf Änderungen der Berechnungsgrundlagen infolge von bewilligungspflichtigen, aber nicht bewilligten Bauführungen, die vor dem 1.1.1997 abgeschlossen wurden, anzuwenden?
- Wie ist die Übergangsbestimmung des Art II der 5. Novelle zum NÖ KanalG 1977, LGBl 8230-5, im Fall der Sanierung eines Konsensdefizits durch die Freistellung eines Bauvorhabens von der Bewilligungspflicht durch § 17 NÖ BauO 1996 anzuwenden?
- Wie sind der Bewilligungstatbestand gemäß § 14 Z 4 NÖ BauO 1996 und der Anzeigetatbestand gemäß § 15 Abs 1 Z 2 leg cit im Hinblick auf den nachträglichen Einbau von Sanitäranlagen gegenüber anzeigefreien Abänderungen im Inneren eines Gebäudes (§ 17 Abs 1 Z 5 NÖ BauO 1996) abzugrenzen?
- Welche Rechtsfolgen haben anzeigepflichtige, aber nicht angezeigte Bauführungen, wie zB die Schaffung einer weiteren Wohneinheit, im Hinblick auf die Fälligkeit der Ergänzungsabgabe zur Kanaleinmündungsabgabe?
Zusammenfassend geht es darum, ob der vor Jahrzehnten (jedenfalls vor dem 1.1.1997) zweifellos konsenslos erfolgte Einbau einer WC-Anlage dazu führt, dass anlässlich einer aktuellen Bauführung die Ergänzungsabgabe zur Kanaleinmündungsabgabe wegen Verjährung nicht mehr vorgeschrieben werden darf.
Da konsenslose Bauführungen, wie allgemein bekannt ist, in der Praxis immer wieder vorkommen und vor allem dann, wenn sie im Wesentlichen im Inneren eines Gebäudes erfolgen, schwer entdeckt werden können, hat diese Fragestellung für den Revisionswerber naturgemäß weit über den Anlassfall hinausreichende Bedeutung. Dasselbe gilt zweifellos für zahlreiche andere niederösterreichische Gemeindebehörden, die das NÖ KanalG 1977 zu vollziehen haben."
Der Revisionswerber begehrt, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
4 Der Verwaltungsgerichtshof hat über diese Revision gemäß § 36 Abs. 1 VwGG ein Vorverfahren eingeleitet, in dessen Rahmen der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattete, in der er die Zurückweisung der Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage, in eventu deren Abweisung beantragt.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG ist gegen eine Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Hat das Verwaltungsgericht im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist, hat die Revision nach § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird (außerordentliche Revision).
6 Die Zulässigkeit der Revision setzt neben einer grundsätzlichen Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG voraus, dass die Revision von der Lösung dieser geltend gemachten Rechtsfrage abhängt. Davon kann aber nur dann ausgegangen werden, wenn auch die Relevanz der Rechtsfrage für den Verfahrensausgang begründet wird (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 24. März 2015, Ra 2015/05/0010).
7 Das Verwaltungsgericht hatte in seinem eingangs genannten Beschluss vom 16. März 2015 die Versagung der auch als Begehren auf Wiederaufnahme des Abgabenverfahrens gedeuteten Anträge des Mitbeteiligten aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides - sohin über das Wiederaufnahmebegehren des Mitbeteiligten - zurückverwiesen.
8 Nach § 303 Abs. 1 lit. b BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im Verfahren neu hervorgekommen sind.
Gemäß § 307 Abs. 1 BAO ist mit dem die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheid unter gleichzeitiger Aufhebung des früheren Bescheides die das wiederaufgenommene Verfahren abschließende Sachentscheidung zu verbinden. Dies gilt nur, wenn dieselbe Abgabenbehörde zur Erlassung beider Bescheide zuständig ist.
9 Eine Verbindung von Wiederaufnahme und Sachentscheidung ist nur denkbar, wenn die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligt oder verfügt wird (vgl. das Erkenntnis vom 4. Oktober 1983, 82/14/0315). Wiederaufnahme- und Sachbescheid sind jeder für sich einer Anfechtung zugänglich (vgl. das Erkenntnis vom 18. Oktober 1984, 83/16/0161). Gibt das Verwaltungsgericht der Beschwerde gegen die Abweisung eines Wiederaufnahmeantrages Folge, hat in der Folge die Verwaltungsbehörde im wiederaufgenommenen Verfahren eine neue Sachentscheidung zu treffen.
10 Vor dem Hintergrund dieser verfahrensrechtlichen Konstellation - Sache des fortgesetzten Verfahrens war die Entscheidung über das Begehren auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 303 Abs. 1 lit. b BAO - ist der im fortgesetzten Verfahren erlassene und vor dem Verwaltungsgericht angefochtene Bescheid als Versagung der Wiederaufnahme und das nun angefochtene Erkenntnis von seinem normativen Gehalt her als Aufhebung der Versagung der Wiederaufnahme aus der Erwägung heraus zu deuten, dass - ausgehend vom unstrittigen Sachverhalt der Herstellung des Kanalanschlusses in den "1960er Jahren" - die Wiederaufnahme des mit Bescheid vom 8. Februar 2012 abgeschlossenen Verfahrens berechtigt sei.
11 Damit entfalten jedoch die von der Revisionswerberin aufgeworfenen materiell-rechtlichen Fragen für den Ausgang des Revisionsverfahrens, das die Rechtmäßigkeit der Versagung der Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 303 Abs. 1 lit. b BAO iVm § 307 Abs. 1 BAO betrifft, keine erkennbare Relevanz. Diese Fragen werden sich im Rahmen des (mit dem angefochtenen Erkenntnis) wiederaufgenommenen Abgabenverfahrens stellen, indem bei Erlassen des neuen Abgabenbescheides zu klären sein wird, was den "Bestand vor der Änderung" iSd § 3 Abs. 6 des NÖ KanalG 1977 ausmachte.
12 Die vorliegende außerordentliche Amtsrevision ist daher wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 25. April 2016
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