VwGH Ra 2016/10/0056

VwGHRa 2016/10/005628.6.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Rigler und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Revisionen der revisionswerbenden Parteien

1. Mag. pharm. S in R, 2. Dr. pharm. A in M, 3. Mag. pharm. J in F, 4. Mag. pharm. B, alle vertreten durch Schwartz Huber-Medek & Partner Rechtsanwälte OG in 1010 Wien, Stubenring 2,

5. Mag. pharm. Gertrude Geissler in Mattersburg, vertreten durch Mag. Harald Küchli, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Stubenring 2, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Burgenland vom 16. März 2016, Zlen. Zl. Ü X01/05/2014.029/060, Ü HG1/05/2014.017/049, Ü X01/05/2015.007/050, betreffend Apothekenkonzession (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:

Bezirkshauptmannschaft Mattersburg bzw. Landeshauptmann von Burgenland; mitbeteiligte Partei: Mag. pharm. Ö, vertreten durch Prof. Dr. Wolfgang Völkl, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Nußdorfer Straße 10-12), den Beschluss gefasst:

Normen

ApG 1907 §10 Abs2 Z3;
ApG 1907 §10 Abs4;
ApG 1907 §10 Abs5;
VwRallg;
ApG 1907 §10 Abs2 Z3;
ApG 1907 §10 Abs4;
ApG 1907 §10 Abs5;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Begründung

1 Zur Vorgeschichte wird auf die hg. Erkenntnisse vom 28. Jänner 2008, Zlen. 2003/10/0206, 2004/10/0011, und vom 12. August 2014, Zlen. 2012/10/0124, 2012/10/0127, verwiesen.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde u.a. dem Mitbeteiligten die Konzession zur Errichtung und zum Betrieb einer neuen öffentlichen Apotheke in M (unter Abweisung der dagegen gerichteten Einsprüche des Erst- und Zweitrevisionswerbers) erteilt sowie die damit konkurrierenden Ansuchen des Viertrevisionswerbers bzw. der Fünftrevisionswerberin auf Errichtung und Betrieb einer öffentlichen Apotheke in F bzw. M abgewiesen (I). Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für nicht zulässig erklärt (II).

3 Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht - gestützt auf das eingeholte Bedarfsgutachten der Apothekerkammer - aus, nach Eröffnung der neuen Apotheke des Mitbeteiligten verbleibe der bestehenden Apotheke (in R) des Erstrevisionswerbers ein Kundenpotenzial von 5.673, der bestehenden Apotheke (in M) des Zweitrevisionswerbers ein Kundenpotenzial von 7.187 zu versorgenden Personen. Dem Mitbeteiligten sei die Apothekenkonzession daher nach § 10 ApG zu erteilen gewesen. Infolge der Erteilung der Konzession an den Mitbeteiligten seien - aufgrund der vorliegenden Mitbewerberkonstellation - die Konzessionsanträge des Viertrevisionswerbers (betreffend die Apotheke in F) sowie der Fünftrevisionswerberin (betreffend die Apotheke in M) abzuweisen gewesen.

4 Gegen dieses Erkenntnis richten sich die vorliegenden - im Wesentlichen inhaltsgleichen - außerordentlichen Revisionen. Der Verwaltungsgerichtshof hat die gegenständlichen Revisionen infolge ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbunden.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 Soweit in den Revisionen als Zulässigkeitsgrund im Sinne des § 28 Abs. 3 VwGG zunächst geltend gemacht wird, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass das Konzessionsansuchen des Mitbeteiligten infolge mehrmaliger Änderung der Betriebsstätte die zeitliche Priorität verloren habe, ist dem entgegen zu halten, dass das Verwaltungsgericht - unter Bindung an die diesbezüglich vom Verwaltungsgerichtshof im erwähnten Erkenntnis Zl. 2012/10/0124 vertretene Rechtsanschauung - zutreffend von der Priorität des Konzessionsansuchens des Mitbeteiligten ausgegangen ist. Ein Abweichen von der hg. Rechtsprechung liegt insofern nicht vor.

9 Die Revisionen bringen als weiteren Zulässigkeitsgrund vor, im Gutachten der Apothekerkammer sei (bei der Ermittlung der gemäß § 10 Abs. 5 ApG zu versorgenden Personen) nicht berücksichtigt worden, dass sich das Kundenpotenzial der bestehenden Apotheken in R und M durch den Handel mit Arzneimitteln im Internet ("Internetapotheken") verringert habe. Es bestehe keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob unter der "Inanspruchnahme von Einrichtungen" bzw. des "Verkehrs" im Sinne des § 10 Abs. 5 ApG auch der Versandhandel mit Arzneimittel zu verstehen sei.

Damit wird eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung, von deren Lösung das Schicksal der gegenständlichen Revision abhängt, nicht aufgezeigt.

Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat sich die gemäß § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG durchzuführende Bedarfsprüfung auf eine prognostische Zuordnung konkreter Kundenpotenziale zu den beteiligten Apotheken zu gründen. Nach Maßgabe des § 10 Abs. 5 ApG sind bei der Bedarfsprüfung auch jene Personen außerhalb des Vier-Kilometer-Umkreises (§ 10 Abs. 4 ApfG) zu berücksichtigen, "die auf Grund der Beschäftigung, der Inanspruchnahme von Einrichtungen und des Verkehrs in diesem Gebiet" zu versorgen sind, wobei die Annahme, es würden sich Personen im Sinn dieser Bestimmung "auf

Grund ... des Verkehrs" der nächstgelegenen

Arzneimittelabgabestelle bedienen, dann gerechtfertigt ist, wenn dem nicht besondere Gründe entgegen stehen. Primär maßgeblich ist sohin die kürzeste Straßenentfernung zwischen Wohnsitz und Apothekenbetriebsstätte (vgl. zu all dem den hg. Beschluss vom 30. September 2015, Zl. Ra 2014/10/0002).

Ob und gegebenenfalls aus welchen Gründen Personen, die unter den Gesichtspunkten der räumlichen Nähe und Erreichbarkeit dem Versorgungspotenzial einer bestimmten Apotheke zuzuordnen sind, ihren Arzneimittelbedarf tatsächlich in dieser Apotheke oder aber in einer anderen Apotheke decken werden, ist nicht entscheidend. Im Rahmen der Prognose kommt es vielmehr ausschließlich auf das nach den dargelegten Gesichtspunkten "objektivierte Kundenverhalten" an (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. März 2007, Zl. 2005/10/0049, mwN).

Unter "zu versorgende Personen" im Sinne des § 10 Abs. 5 ApG sind daher nicht jene Personen zu verstehen, die eine bestimmte Apotheke (überhaupt bzw. mehr oder weniger regelmäßig) frequentieren; vielmehr handelt es sich dabei um jenen Personenkreis, für den unter Gesichtspunkten der Beschäftigung, der Inanspruchnahme von Einrichtungen und des Verkehrs eine räumliche Nahebeziehung zur Betriebsstätte der Apotheke besteht (vgl. Pkt. 6.3.2.10 des hg. Erkenntnisses vom 28. Juni 2004, Zl. 2001/10/0256).

Nach dem - dem in Revision gezogenen Erkenntnis zu Grunde liegenden - Gutachten der Apothekerkammer wird das Mindestversorgungspotenzial von 5.500 Personen sowohl der bestehenden Apotheke in R als auch jener in M nicht unterschritten. Unter Berücksichtigung des erwähnten Gutachtens hat das Verwaltungsgericht - neben den ständigen Einwohnern aus einem Umkreis von vier Kilometern - auch die unter den erwähnten Gesichtspunkten der räumlichen Nähe und Erreichbarkeit dem Versorgungspotenzial dieser Apotheken zuzuordnenden Personen (R: 1.115; M: 2.811 berücksichtigt). Dass die genannten Apotheken für diese Personen die jeweils nächsten Arzneimittelabgestellen sind, wird von den Revisionen nicht bestritten. Das Verwaltungsgericht hat bei der Zuordnung der relevanten Kundenpotenziale insofern auf das "objektivierte Kundenverhalten" im Sinne der dargestellten Judikatur Bedacht genommen. Dass diese Personen ihren Arzneimittelbedarf jeweils tatsächlich in diesen Apotheken (in R und M) oder aber in einer anderen Apotheke - sohin auch: im Wege einer sogenannten "Internetapotheke" - decken, ist nach der hg. Judikatur nicht entscheidend. Die Vorgangsweise der Apothekerkammer bzw. des Verwaltungsgerichts, das "Bestellen von Arzneimitteln im Internet" im Rahmen der Bedarfsprüfung nach § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG nicht zu berücksichtigen, ist daher nicht zu beanstanden. Das Verwaltungsgericht ist insofern nicht von der hg. Rechtsprechung abgewichen.

10 Die Revisionen machen als Zulässigkeitsgrund schließlich geltend, das Verwaltungsgericht habe - dem Gutachten der Apothekerkammer folgend - bei der Berechnung des Bedarfs der Apotheke in R neben den ständigen Einwohnern im Umkreis von vier Kilometern zwar auch jene Personen (aus umliegenden Gemeinden) berücksichtigt, für die diese Apotheke die nächste Arzneimittelabgabestelle ist, dabei jedoch außer Acht gelassen, dass diese Personen "in unmittelbarer räumlicher Nähe zu Ungarn leben und dorthin tendieren." In Sopron gebe es 10 Apotheken, die aufgrund ihrer längeren Öffnungszeiten und der günstigeren Medikamentenpreise insbesondere für berufstätige Personen wesentlich attraktiver seien als die Apotheke in R. Es müsse daher davon ausgegangen werden, dass in grenznahen Regionen "eine bestimmte Anzahl" an Personen ihren Arzneimittelbedarf im Ausland decke. Indem das Verwaltungsgericht das spezielle Kundenverhalten in grenznahen Regionen im Rahmen der Bedarfsprüfung nicht berücksichtigt habe, sei es von der - oberwähnten - Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (zur prognostischen Zuordnung konkreter Kundenpotenziale zur betreffenden Apotheke) abgewichen. Mit diesem Vorbringen wird ebenfalls keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung, von deren Lösung das Schicksal der Revisionen abhinge, aufgezeigt.

Die Revisionen räumen nämlich zum Einen selbst ein, dass die Apotheke in R die "nächste Arzneimittelabgabestelle" für den nach § 10 Abs. 5 ApG maßgeblichen Kundenkreis ist; zum Anderen unterlassen sie es (und zwar sowohl in den Zulässigkeits- als auch in den Revisionsgründen), den behaupteten Kundenabfluss zu ungarischen Apotheken auch nur ansatzweise zu quantifizieren. Nach den oben (Rz 10) dargestellten Grundsätzen begegnet die vom Verwaltungsgericht auf der Grundlage des Gutachtens der Apothekerkammer vorgenommene prognostische Zuordnung des Kundenpotenzials der Apotheke in R daher auch unter diesem Aspekt keinen Bedenken.

11 In den Revisionen werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher zurückzuweisen.

Wien, am 28. Juni 2016

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte