VwGH Ra 2016/08/0144

VwGHRa 2016/08/014423.12.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revisionen 1. der Salzburger Gebietskrankenkasse, vertreten durch die Niederhuber & Partner Rechtsanwälte GmbH in 5020 Salzburg, Wilhelm-Spazier-Straße 2a, (hg. Zl. Ra 2016/08/0144) und 2. des Ing. Mag. (FH) A W in S, vertreten durch Dr. Peter Hauser, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Eberhard-Fugger-Straße 2a, (hg. Zl. Ra 2016/08/0146) gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. August 2016, Zl. L503 2005270-2/11E, betreffend Pflichtversicherung nach dem ASVG (weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, Stubenring 1, 1010 Wien; mitbeteiligte Partei:

A GmbH in S, vertreten durch die Korn & Gärtner Rechtsanwälte OG in 5020 Salzburg, Sterneckstraße 37), zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §1151;
ASVG §4 Abs1 Z1;
ASVG §4 Abs2;
ASVG §4 Abs4 lita;
ASVG §4 Abs4;
GSVG 1978 §2 Abs1 Z1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2016:RA2016080144.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Zweitrevisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1 Die Salzburger Gebietskrankenkasse (die Erstrevisionswerberin - im Folgenden: GKK) stellte mit Bescheid vom 1. August 2013 fest, dass der Zweitrevisionswerber auf Grund seiner für die mitbeteiligte Partei ausgeübten Tätigkeit im Zeitraum 1. Februar 2008 bis 31. Dezember 2011 der Pflichtversicherung in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung gemäß § 4 Abs. 1 Z 2 iVm Abs. 2 ASVG und der Arbeitslosenversicherung gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG unterlegen sei.

2 Gegen diesen Bescheid erhob die mitbeteiligte Partei einen - ab dem 1. Jänner 2014 als Beschwerde zu behandelnden - Einspruch. Sie bestritt die Feststellungen der GKK und beantragte die Feststellung, dass der Zweitrevisionswerber auf Grund der für sie ausgeübten Tätigkeit nicht der Vollversicherung nach dem ASVG und der Arbeitslosenversicherung unterlegen sei.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde statt und stellte fest, dass der Zweitrevisionswerber im Zeitraum 1. Februar 2008 bis 31. Dezember 2011 auf Grund der für die mitbeteiligte Partei ausgeübten Tätigkeit nicht der Vollversicherung nach dem ASVG und der Arbeitslosenversicherung unterlegen sei. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4 Begründend stellte es nach der Darstellung des Verfahrensgangs fest, dass zwischen dem Zweitrevisionswerber und der mitbeteiligten Partei am 2. Oktober 2007 eine als Werkvertrag bezeichnete Vereinbarung geschlossen worden sei, die in der Folge wörtlich wiedergegeben wurde. Demnach beinhaltete der Aufgabenbereich des Zweitrevisionswerbers "die Akquisition von verkäuflichen und vermietbaren gewerblichen Immobilienobjekten und Anlageobjekten sowie die Vermittlung von Käufern bzw. Mietern für diese Objekte". Der Zweitrevisionswerber sei bei seiner Tätigkeit für die mitbeteiligte Partei vollkommen weisungsfrei gewesen, habe keinerlei vorgegebene Dienstzeit gehabt, habe kommen und gehen können, wann er gewollt habe, und habe auch für eine längere Abwesenheit nicht die Zustimmung der mitbeteiligten Partei benötigt. Es sei ihm im Büro der mitbeteiligten Partei ein Schreibtisch zugewiesen worden, und er habe eine Einschulung in das betriebsinterne EDV-System erhalten. In dieses seien alle relevanten Daten von Vermittlungsobjekten eingegeben worden. Das Entgelt habe ausschließlich in der vom Zweitrevisionswerber verdienten Provision bestanden, und er habe sämtliche im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit stehenden Kosten - wie etwa solche für die Verwendung eines Fahrzeugs - selbst tragen müssen. Es sei ihm erlaubt gewesen, neben seiner Tätigkeit für die mitbeteiligte Partei Projekte im eigenen Namen und auf eigene Rechnung zu vermitteln, ohne dafür aber die Betriebsmittel der mitbeteiligten Partei zu verwenden.

5 Am 19. März 2012 sei der Vertrag mit dem Zweitrevisionswerber von der mitbeteiligten Partei mit sofortiger Wirkung gelöst worden. Am 5. Juni 2012 habe der Zweitrevisionswerber der GKK eine von ihm erstellte schriftliche Aufstellung übergeben, die darauf abgezielt habe, als Dienstnehmer angesehen zu werden. Dies habe in weiterer Folge zu einer Prüfung aller lohnabhängigen Abgaben bei der mitbeteiligten Partei und schließlich zur Feststellung der Pflichtversicherung sowie zur Nachverrechnung von Sozialversicherungsbeiträgen und zur Verhängung eines Beitragszuschlags geführt.

6 Im Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 6. August 2015, im Urteil des Oberlandesgerichts Linz vom 25. November 2015 und im Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 14. Dezember 2015 sei jeweils davon ausgegangen worden, dass der Zweitrevisionswerber wider besseres Wissen und in der Absicht, der mitbeteiligten Partei zu schaden, gegenüber der GKK tatsachenwidrige Behauptungen erstattet habe; tatsächlich sei vom Vorliegen eines Werkvertrags zwischen dem Zweitrevisionswerber und der mitbeteiligten Partei auszugehen.

7 Beweiswürdigend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass sich die GKK bei ihren entgegenstehenden Feststellungen lediglich auf das ihrer Ansicht nach glaubwürdige Vorbringen des Zweitrevisionswerbers gestützt habe. Die Urteile des Landesgerichts Salzburg, des Oberlandesgerichts Linz und des Bundesfinanzgerichts seien vom Bundesverwaltungsgericht sowohl dem Zweitrevisionswerber als auch der GKK zur Stellungnahme übermittelt worden, wobei darauf hingewiesen worden sei, dass beabsichtigt sei, diese Gerichtsentscheidungen dem gegenständlichen Verfahren zugrunde zu legen. Da keine Stellungnahmen eingelangt seien, könne das Bundesverwaltungsgericht davon ausgehen, dass diesbezüglich keine Einwendungen bestünden. Es bestehe hinsichtlich der genannten Gerichtsentscheidungen zwar keine Bindungswirkung, sie kämen aber gemäß § 46 AVG als Beweismittel in Betracht.

8 In seiner rechtlichen Beurteilung erklärte das Bundesverwaltungsgericht, es sei zu beurteilen, ob der Zweitrevisionswerber als Dienstnehmer im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG beschäftigt gewesen sei oder ob er "in Ansehung einer selbständigen Ausübung seiner Tätigkeit im Rahmen eines Werkvertrages" keiner Pflichtversicherung nach dem ASVG unterlegen sei. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts liege schon im Hinblick auf die Weisungsfreiheit des Zweitrevisionswerbers und die mangelnde Bindung an bestimmte Arbeitszeiten kein Dienstverhältnis vor; außerdem habe er ein rein erfolgsabhängiges Entgelt bezogen. Im Anschluss gab das Bundesverwaltungsgericht die Entscheidungen des Landegerichts Salzburg, des Oberlandesgerichts Linz und des Bundesfinanzgerichts auszugsweise wieder und meinte dann, dass es "dieser Beurteilung" nichts mehr hinzuzufügen vermöge.

9 Zusammengefasst könne somit der Argumentation der GKK, es sei von der Dienstnehmereigenschaft des Zweitrevisionswerbers im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG auszugehen, nicht gefolgt werden.

10 Am Ende der Entscheidungsbegründung erklärte das Bundesverwaltungsgericht nach Wiedergabe des § 24 VwGVG und dazu ergangener Rechtsprechung noch, es ergebe sich im gegenständlichen Fall aus der Aktenlage, dass von einer mündlichen Erörterung keine weitere Klärung des Sachverhalts zu erwarten sei; der entscheidungswesentliche Sachverhalt stehe auf Grund der Aktenlage fest.

11 Gegen dieses Erkenntnis richten sich die vorliegenden Revisionen. Die mitbeteiligte Partei hat zu beiden Revisionen eine Revisionsbeantwortung erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

12 1. Zur Zulässigkeit der Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG bringt die Erstrevisionswerberin - die GKK - vor, dass das Ermittlungsverfahren mangelhaft geblieben sei. So hätte sich das Bundesverwaltungsgericht insbesondere problemlos den Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom 30. März 2016 beschaffen können, in dem dieser - abweichend von den Vorinstanzen - ausgesprochen habe, dass die rechtliche Qualifikation des Verhältnisses zwischen dem Zweitrevisionswerber und der Mitbeteiligten als freier Dienstvertrag im Sinn des § 4 Abs. 4 ASVG naheliege. Es wäre auch geboten gewesen, eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses sei ebenfalls grob mangelhaft, werde doch im Wesentlichen auf die Entscheidungen der Zivilgerichte und des Bundesfinanzgerichts verwiesen. Außerdem habe sich das Bundesverwaltungsgericht überhaupt nicht mit der Frage des Vorliegens eines freien Dienstverhältnisses auseinandergesetzt.

13 Der Zweitrevisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision insbesondere vor, dass das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei, indem es vom Vorliegen eines Werkvertrags anstelle eines freien Dienstverhältnisses im Sinn des § 4 Abs. 4 ASVG ausgegangen sei.

14 Die Revisionen sind zulässig, weil das Bundesverwaltungsgericht - wie im Folgenden zu zeigen sein wird - von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist.

15 2. Nach § 4 Abs. 1 Z 1 ASVG sind die bei einem Dienstgeber beschäftigten Dienstnehmer in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung versichert. Gemäß § 4 Abs. 2 ASVG ist Dienstnehmer im Sinne dieses Bundesgesetzes, wer in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt beschäftigt wird; hiezu gehören auch Personen, bei deren Beschäftigung die Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegenüber den Merkmalen selbständiger Ausübung der Erwerbstätigkeit überwiegen.

16 Gemäß § 4 Abs. 4 ASVG stehen - unter in dieser Bestimmung näher genannten weiteren Voraussetzungen - den Dienstnehmern im Sinne dieses Bundesgesetzes Personen gleich, die sich auf Grund freier Dienstverträge auf bestimmte oder unbestimmte Zeit zur Erbringung von Dienstleistungen verpflichten, wenn sie aus dieser Tätigkeit ein Entgelt beziehen, die Dienstleistungen im Wesentlichen persönlich erbringen und über keine wesentlichen eigenen Betriebsmittel verfügen.

17 3. Das Bundesverwaltungsgericht hat nur die Dienstnehmereigenschaft im Sinn des § 4 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 ASVG verneint. Mit der Frage, ob ein freies Dienstverhältnis im Sinn des § 4 Abs. 4 ASVG vorgelegen ist, hat es sich hingegen überhaupt nicht befasst, wobei es davon ausgegangen ist, dass der Vertrag zwischen dem Zweitrevisionswerber und der mitbeteiligten Partei als Werkvertrag zu qualifizieren war.

18 Dies war jedoch verfehlt: Für die Abgrenzung zwischen Dienstverträgen und Werkverträgen kommt es nach der - auch vom Bundesverwaltungsgericht wiedergegebenen - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darauf an, ob sich jemand auf gewisse Zeit zur Dienstleistung für einen anderen (den Dienstgeber) verpflichtet (diesfalls liegt ein Dienstvertrag vor) oder ob er die Herstellung eines Werkes gegen Entgelt übernimmt (in diesem Fall liegt ein Werkvertrag vor), wobei es sich im zuletzt genannten Fall um eine im Vertrag individualisierte und konkretisierte Leistung, also eine in sich geschlossene Einheit handelt, während es im Dienstvertrag primär auf die rechtlich begründete Verfügungsmacht des Dienstgebers über die Arbeitskraft des Dienstnehmers, also auf die Bereitschaft des Letzteren zur Erbringung von Dienstleistungen für eine bestimmte Zeit ankommt. Der Werkvertrag begründet in der Regel ein Zielschuldverhältnis. Die Verpflichtung besteht darin, die genau umrissene Leistung - in der Regel bis zu einem bestimmten Termin - zu erbringen. Mit der Erbringung der Leistung endet das Vertragsverhältnis. Das Interesse des Bestellers und die Vertragsverpflichtung des Werkunternehmers sind lediglich auf das Endprodukt als solches gerichtet (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 21. September 2015, Ra 2015/08/0045, mwN).

19 Die laufende "Akquisition von verkäuflichen und vermietbaren gewerblichen Immobilienobjekten und Anlageobjekten sowie die Vermittlung von Käufern bzw. Mietern für diese Objekte" stellt kein Werk im Sinn einer in sich geschlossenen Einheit dar; vielmehr hat sich der Zweitrevisionswerber mit diesem Vertragsinhalt zur Erbringung von Dienstleistungen für die mitbeteiligte Partei im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses verpflichtet.

20 Zur Verneinung der Pflichtversicherung nach dem ASVG auf Grund dieses Vertragsverhältnisses genügte nicht die Begründung, dass keine persönliche Abhängigkeit im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG gegeben gewesen sei. Vielmehr hätte sich das Bundesverwaltungsgericht auch damit auseinandersetzen müssen, ob die Pflichtversicherung auf Grund eines freien Dienstverhältnisses gemäß § 4 Abs. 4 ASVG begründet worden ist. Dafür wäre fallbezogen insbesondere festzustellen gewesen, ob und in welchem Zeitraum der Zweitrevisionswerber über eine - die Pflichtversicherung nach § 2 Abs. 1 Z 1 GSVG begründende - Gewerbeberechtigung verfügt hat (vgl. § 4 Abs. 4 lit. a ASVG, wonach die Pflichtversicherung (u.a.) nach § 2 Abs. 1 Z 1 GSVG jene nach § 4 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 4 ASVG ausschließt).

21 4. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

22 Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das auf den Ersatz der Eingabengebühr gerichtete Mehrbegehren war im Hinblick auf die sachliche Abgabenfreiheit nach § 110 ASVG abzuweisen.

Wien, am 23. Dezember 2016

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