VwGH Ra 2016/05/0065

VwGHRa 2016/05/006512.12.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz sowie die Hofrätinnen Dr. Pollak und Mag. Rehak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Lorenz, über die Revision des Gemeindevorstandes der Gemeinde M, vertreten durch die bpv Hügel Rechtsanwälte OG in 1220 Wien, Ares-Tower, Donau-City-Straße 11, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 4. Mai 2016, Zl. LVwG-AV-699/001-2015, betreffend einen Abbruchauftrag (mitbeteiligte Partei: Ing. J T, vertreten durch Mag. Peter Abmayer, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Riesgasse 3/14), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §18 Abs4;
AVG §58 Abs3;
BauO NÖ 1996 §2 Abs1;
BauO NÖ 2014 §2 Abs1;
BauRallg;
GdO NÖ 1973 §27 Abs1;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Die als Bescheid bezeichnete erstinstanzliche Erledigung vom 21. Jänner 2014 lautet auszugsweise:

"Die Vizebürgermeisterin der Gemeinde M... als Baubehörde I. Instanz ordnet an, dass gemäß § 35 NÖ Bauordnung ... o der Betonsockel an der Badelosgrenze B...

o die auf dem Betonsockel errichtete Edelstahlkonstruktion ...

abzutragen ist.

...

Die Vizebürgermeisterin:

(eigenhändige Unterschrift)

H... R..."

2 In der Begründung wird ausgeführt, dass die Baubehörde gemäß § 35 Abs. 2 Z 3 NÖ Bauordnung 1996 (im Folgenden: NÖ BauO 1996) unter den näher angeführten Voraussetzungen einen Abbruch einer Baulichkeit anzuordnen habe.

3 Der gegen diese Erledigung der "Baubehörde I. Instanz" erhobenen Berufung des Mitbeteiligten wurde vom revisionswerbenden Gemeindevorstand der Gemeinde M mit Bescheid vom 24. April 2014 nicht stattgegeben und die angefochtene Entscheidung unter Setzung einer neuen Frist bestätigt.

4 Der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten an das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich wurde Folge gegeben und der Spruch des bekämpften Berufungsbescheides dahingehend abgeändert, dass die Berufung als unzulässig zurückgewiesen werde. Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, die Vizebürgermeisterin habe die Erledigung vom 21. Jänner 2014 ohne Hinweise auf eine etwaige Vertretung des Bürgermeisters gefertigt. Im Gegensatz zum Bürgermeister sei sie keine Behörde iSd NÖ Gemeindeordnung 1973 (NÖ GO 1973) iVm der NÖ Bauordnung 2014 (im Folgenden: NÖ BO 2014). Die Fertigung durch die Vizebürgermeisterin wäre nur mit dem Beisatz "iV" als rechtskonform anzusehen (wurde unter Verweis auf die hg. Judikatur näher ausgeführt). Dies gelte auch, wenn der Vizebürgermeisterin gemäß § 37 Abs. 2 NÖ GO 1973 Geschäfte des eigenen Wirkungsbereiches mit Verordnung zugewiesen worden seien. In schriftlichen Ausfertigungen sei daher mit der Wendung "für den Bürgermeister", "im Auftrag" oder "i.V." auf die erteilte Ermächtigung hinzuweisen. Das Unterlassen eines solchen Hinweises in der Fertigungsklausel führe dann zur absoluten Nichtigkeit, wenn dadurch die Zurechnung zum ermächtigenden Organ unmöglich werde (Hinweis auf VwGH 22.4.2010, 2009/04/0050). Es liege somit eine absolut nichtige Erledigung vor, weshalb die Berufung dagegen als unzulässig zurückzuweisen sei. Gleichzeitig wurde gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision unzulässig sei.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, unter Anschluss der Verfahrensakten vorgelegte außerordentliche Revision, zu der der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet hat, die Revision kostenpflichtig abzuweisen.

 

6 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7 Die Revision ist im Hinblick auf die in ihrer Zulässigkeitsbegründung aufgeworfene Frage der Zurechnung der erstinstanzlichen Erledigung zulässig und berechtigt.

8 Der revisionswerbende Gemeindevorstand führt in den Revisionsgründen näher aus, die Auffassung des Verwaltungsgerichtes, die von der Vizebürgermeisterin der Gemeinde M. im eigenen Namen gefertigte Erledigung vom 21. Jänner 2014 wäre schon allein deshalb ein Nichtbescheid, weil der Vizebürgermeisterin keine eigene Behördenqualität zukäme und vor diesem Hintergrund ihre Fertigung im eigenen Namen anstatt für den Bürgermeister rechtswidrig wäre, vermische unzulässiger Weise zwei Aspekte: Nämlich einerseits die Frage der rechtlich korrekten Fertigung entsprechend § 18 Abs. 4 iVm. § 58 Abs. 3 AVG und andererseits die Frage, ob auch eine rechtlich nicht korrekt gefertigte Erledigung dem zuständigen Organ zurechenbar sei, was die absolute Nichtigkeit der betreffenden Erledigung ausschließe. Dass diese beiden Aspekte voneinander zu trennen seien, ergebe sich aus dem Erkenntnis VwGH 22.4.2010, 2009/04/0050. Nach diesem Erkenntnis führe nämlich in Situationen, in denen die Genehmigung durch einen approbationsbefugten Organwalter erfolge, das Unterlassen eines Hinweises auf den Behördenleiter in der Fertigungsklausel nur dann zur absoluten Nichtigkeit der Ausfertigung, wenn dadurch die Zurechnung zur ermächtigenden Behörde unmöglich werde.

Dass eine Erledigung durch den Vizebürgermeister im Sinne der NÖ GO 1973 ein solches Einschreiten auf Grund einer Approbationsbefugnis darstelle, sei durch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt (Hinweis auf VwGH 21.8.2014, 2011/17/0019, und VwGH 17.9.1996, 95/05/0231 - letzteres Erkenntnis betreffe die Ermächtigung von Gemeindevorstandsmitgliedern durch Verordnung des Bürgermeisters im Sinne des § 37 Abs. 2 NÖ GO 1973).

Vor diesem Hintergrund sei die Schlussfolgerung des Verwaltungsgerichtes rechtsirrig, der fehlende Hinweis auf den Bürgermeister in der Erledigung der Vizebürgermeisterin führe zur absoluten Nichtigkeit der Ausfertigung, weil eine Zurechnung dieser Erledigung zum Bürgermeister unmöglich würde. Gerade im vorliegenden Fall erschließe es sich unmittelbar aus den einschlägigen Rechtsgrundlagen und unabhängig davon aus den notorischen Kenntnissen von der Funktion eines Vizebürgermeisters, dass die Erledigung vom 21. Jänner 2014 der ermächtigenden Behörde Bürgermeister zuzurechnen sei. Dies insbesondere aus folgenden Gründen:

Dass eine vom Vizebürgermeister im eigenen Namen gefertigte Erledigung dem Organ Bürgermeister zuzurechnen sei, ergebe sich schon allein daraus, dass zum einen § 18 Abs. 1 NÖ GO 1973 den Vizebürgermeister nicht als eigenes Gemeindeorgan eingerichtet habe und zum anderen § 27 Abs. 1 NÖ GO 1973 den Vizebürgermeister zur Vertretung des Bürgermeisters berufe. Dies gelte unabhängig davon, dass in der vorliegenden Gemeinde der Bürgermeister gemäß § 37 Abs. 2 NÖ GO 1973 die Besorgung der behördlichen Agenden der Baubehörde an die Vizebürgermeisterin übertragen habe, sodass die vorliegende Verordnung im Sinne des § 37 Abs. 2 NÖ GO 1973 für die Zurechnung von Akten der Vizebürgermeisterin der Gemeinde M. zum Bürgermeister im Bereich der baubehördlichen Agenden zwar nicht konstitutiv sei, die Zurechnung aber verstärke.

Weiters sei die Funktion des Vizebürgermeisters auch nach allgemeinem Verständnis dadurch gekennzeichnet, dass diesem die Vertretung des Bürgermeisters obliege. Unabhängig von einer Kenntnis der einschlägigen Rechtsgrundlagen liege die Zurechnung von Akten der Vizebürgermeisterin zur Behörde Bürgermeister klar auf der Hand.

Schließlich habe im vorliegenden Fall die Vizebürgermeisterin die dort verfügte Anordnung "als Baubehörde I. Instanz" getroffen. Da § 2 Abs. 1 NÖ BauO 2014 als Baubehörde erster Instanz, außer im hier nicht einschlägigen Fall der Statutarstädte, den Bürgermeister berufe, ergebe sich auch daraus eine Zurechnung der Erledigung der Vizebürgermeisterin zur Behörde Bürgermeister. Dies gelte umso mehr, wenn man ganz im Sinne des Erkenntnisses VwGH 19.1.1993, 92/05/0222, in diesem Zusammenhang auch dem Bescheidwillen Bedeutung zumesse. Die Vizebürgermeisterin wollte im vorliegenden Fall nach dem Bescheidspruch klar und eindeutig als Baubehörde I. Instanz einschreiten. Baubehörde erster Instanz sei - wie bereits erwähnt - gemäß NÖ BauO 2014 der Bürgermeister. Eine Bestätigung dieser Ansicht ergebe sich auch daraus, dass der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Ausfertigung des Beschlusses eines gemeindlichen Kollegialorgans durch den Vizebürgermeister im eigenen Namen als rechtswirksam anerkenne, obwohl die einschlägigen Gemeindeordnungen zum Vollzug der Beschlüsse gemeindlicher Kollegialorgane regelmäßig den Bürgermeister berufen (Hinweis u.a. auf VwGH 19.1.1993, 92/05/0222). Der Verwaltungsgerichtshof nehme also auch in diesen Fällen an, dass diesfalls zwar nicht die inhaltliche Erledigung, aber ihr Vollzug, auch wenn er durch den Vizebürgermeister im eigenen Namen erfolge, dem Organ Bürgermeister zuzurechnen sei.

9 Dazu ist Folgendes auszuführen:

10 Im vorliegenden Fall war die NÖ GO 1973 in der Fassung LGBl. 1000-23 anzuwenden.

Die §§ 27 und 37 leg. cit. lauten auszugsweise:

"§ 27

Verhinderung und Vertretung des Bürgermeisters

(1) Der Bürgermeister wird im Falle seiner Verhinderung durch den Vizebürgermeister vertreten. Sind mehrere Vizebürgermeister gewählt, so vertreten sie den Bürgermeister in der Reihenfolge ihrer Wahl.

(2) ..."

"§ 37

Bürgermeister

(1) Der Bürgermeister vertritt die Gemeinde nach außen. Er ist Vorstand des Gemeindeamtes und Vorgesetzter der Gemeindebediensteten. ...

(2) Der Bürgermeister ist Vorsitzender des Gemeindevorstandes; er hat das Recht, in allen Angelegenheiten des Gemeindevorstandes Anträge zu stellen. Die Mitglieder des Gemeindevorstandes haben den Bürgermeister in Ausübung seines Amtes zu unterstützen. Sie haben die Geschäfte des eigenen Wirkungsbereiches, die er ihnen mit Verordnung zuweist, unter seiner Verantwortung nach seinen Weisungen zu besorgen. Sie sind ihm für die ordnungsgemäße Besorgung verantwortlich."

11 Gemäß § 2 Abs. 1 NÖ Bauordnung 1996 (wie seit 1. Februar 2014 gemäß § 2 Abs. 1 NÖ BO 2014) war bzw. ist Baubehörde erster Instanz der Bürgermeister oder in Städten mit eigenem Statut der Magistrat.

12 Im vorliegenden Fall hat der Bürgermeister die Vizebürgermeisterin gemäß § 37 Abs. 2 NÖ GO 1973 mit der Besorgung der baurechtlichen Angelegenheiten betraut.

13 Ob eine Erledigung einer bestimmten Behörde bzw. welcher Behörde sie zuzurechnen ist, ist anhand des äußeren Erscheinungsbildes, also insbesondere anhand des Kopfes, Spruches, der Begründung, der Fertigungsklausel und der Rechtsmittelbelehrung, also nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG I2 § 18 Rz 16 und die dort zitierte hg. Judikatur). Die Behörde, der die Erledigung zuzurechnen ist, muss aus der Erledigung selbst hervorgehen (vgl. VwGH 7.7.1992, 91/08/0065).

14 Der revisionswerbende Gemeindevorstand weist zutreffend darauf hin, dass sich aus der erstinstanzlichen Entscheidung eindeutig ergibt, dass die Vizebürgermeisterin als Baubehörde erster Instanz eingeschritten ist. Baubehörde erster Instanz war und ist gemäß § 2 Abs. 1 NÖ BO 1996 wie auch § 2 Abs. 1 NÖ BO 2014 - außer im Fall einer Stadt mit eigenem Statut - der Bürgermeister. § 27 Abs. 1 NÖ GO 1973 sieht weiters vor, dass der Vizebürgermeister den Bürgermeister im Falle seiner Verhinderung vertritt. Dieser Bestimmung ist die zentrale Aufgabe des Vizebürgermeisters, nämlich die Vertretung des Bürgermeisters im Verhinderungsfalle, zu entnehmen, wie dies auch dem allgemeinen Verständnis der Aufgaben eines Vizebürgermeisters entspricht. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtes ist somit die erstinstanzliche Erledigung dem Bürgermeister der Gemeinde M. zuzurechnen (vgl. VwGH 13.9.2002, 2000/12/0071, und VwGH 11.12.2002, 99/12/0206, in diesen Fällen wurden ausdrücklich von der "Dienstbehörde" erlassene und von einem Organwalter des Bundesministeriums ohne Zusatz "für den Bundesminister" gefertigte Erledigungen dem Bundesminister als der gemäß dem DVG einzig in Betracht kommender Dienstbehörde zugerechnet). Das Unterlassen des Zusatzes "im Auftrag" oder "i.V" bei der Fertigung der erstinstanzlichen Erledigung durch die Vizebürgermeisterin führt somit schon deshalb nicht zur absoluten Nichtigkeit der an den Mitbeteiligten ergangenen Ausfertigung (vgl. VwGH 22.4.2010, 2009/04/0050). Die verfahrensgegenständliche erstinstanzliche Entscheidung ist somit als Bescheid zu qualifizieren, weshalb sich die vom Verwaltungsgericht angeordnete Zurückweisung der Berufung des Mitbeteiligten als rechtswidrig erweist.

15 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 12. Dezember 2017

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