VwGH Ra 2016/04/0143

VwGHRa 2016/04/014330.12.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und den Hofrat Dr. Kleiser sowie die Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Mitter, über die Revision der Marktgemeinde S, vertreten durch die Nistelberger & Parz Rechtsanwälte OG in 1010 Wien, Bräunerstraße 3, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 6. April 2016, Zl. LVwG-AV-135/001-2016, betreffend Bewilligung nach dem NÖ Elektrizitätswesengesetz 2005 (mitbeteiligte Partei: e GmbH in M, vertreten durch Haslinger/Nagele & Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Mölker Bastei 5; belangte Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht: Niederösterreichische Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §8;
BauO NÖ 2014 §56;
ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §10 Abs1 Z6;
ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §10;
ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §7;
ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §8;
ROG NÖ 2014 §20 Abs3a;
AVG §8;
BauO NÖ 2014 §56;
ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §10 Abs1 Z6;
ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §10;
ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §7;
ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §8;
ROG NÖ 2014 §20 Abs3a;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich (Verwaltungsgericht) vom 6. April 2016 wurde die Beschwerde der Revisionswerberin gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 30. November 2015 betreffend eine Genehmigung nach dem NÖ Elektrizitätswesengesetz 2005 (NÖ ElWG 2005) und eine Bewilligung nach dem NÖ Starkstromwegegesetz nach öffentlicher mündlicher Verhandlung abgewiesen (I.) und die Revision für nicht zulässig erklärt (II.).

2 Begründend führte das Verwaltungsgericht im Hinblick auf das Vorbringen der Revisionswerberin, der Flächenwidmungsplan der Standortgemeinde sei wegen Nichteinhaltung des Mindestabstandes zu den genehmigten Windkraftanlagen gesetzwidrig, aus, die Parteistellung der Revisionswerberin als unmittelbar angrenzende Gemeinde sei gemäß § 10 Abs. 1 Z 6 NÖ ElWG 2005 auf die in § 56 NÖ Bauordnung 2015 begründeten öffentlichen Interessen beschränkt. Die Wahrnehmung der Flächenwidmung obliege hingegen gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 NÖ ElWG 2005 der Standortgemeinde.

Selbst wenn § 20 Abs. 3a NÖ Raumordnungsgesetz 2014 (NÖ ROG 2014) ein Recht der Nachbargemeinde begründete, welches im elektrizitätsrechtlichen Genehmigungsverfahren geltend zu machen wäre, könne dies im konkreten Fall dahingestellt bleiben, da die betreffenden Standortflächen unstrittig die erforderliche Widmung für Windkraftanlagen aufwiesen.

3 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

Die Revisionswerberin erachtet sich im einfachgesetzlich gewährleisteten Nachbarrecht verletzt, keine Zustimmung zu einer Widmung von Flächen für Windkraftanlagen in der (benachbarten) Gemeinde in einem geringeren Mindestabstand als dem in § 20 Abs. 3a letzter Satz NÖ ROG 2014 genannten, erteilt zu haben. Zur Zulässigkeit der Revision bringt sie vor, es fehle höchstgerichtlich Judikatur zum Zustimmungsrecht der Nachbargemeinde nach § 20 Abs. 3a NÖ ROG 2014, vor allem bezogen auf ein elektrizitätsrechtliches Genehmigungsverfahren. Sollte die Wahrnehmung der Flächenwidmung gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 NÖ ElWG 2005 lediglich der Standortgemeinde und nicht der Nachbargemeinde zukommen, so würde die Zustimmungspflicht der Nachbargemeinde nach § 20 Abs. 3a NÖ ROG 2014 umgangen und verletzt. Eine verfassungskonforme Interpretation gebiete es, im Genehmigungsverfahren nach § 8 NÖ ElWG 2005 der Nachbargemeinde im Hinblick auf die Einhaltung der in § 20 Abs. 3a NÖ ROG 2014 angeführten Abstandsregeln eine (eingeschränkte) Parteistellung zuzusprechen.

7 Das Fehlen einer Rechtsprechung zu einer bestimmten Norm führt nicht unbedingt zur Zulässigkeit der Revision. Das ist etwa dann nicht der Fall, wenn die Rechtslage eindeutig ist und daher trotz fehlender Rechtsprechung keiner Klärung durch den Verwaltungsgerichtshof bedarf (vgl. den hg. Beschluss vom 16. Dezember 2015, Ra 2014/04/0053, mwN).

8 Ein solcher Fall liegt hier vor:

Gemäß § 20 Abs. 3a Z 2 NÖ ROG 2014, LGBl. Nr. 3/2015 in der Fassung LGBl. Nr. 63/2016, müssen bei der Widmung einer Fläche für Windkraftanlagen (unter anderem) folgende Mindestabstände eingehalten werden: 2.000 m zu gewidmetem Wohnbauland (ausgenommen Bauland-Gebiete für erhaltenswerte Ortsstrukturen), welches nicht in der Standortgemeinde liegt. Wenn sich dieses Wohnbauland in einer Entfernung von weniger als 800 m zur Gemeindegrenze befindet, dann beträgt der Mindestabstand zur Gemeindegrenze

1.200 m. Mit Zustimmung der betroffenen Nachbargemeinde(n) kann der Mindestabstand von 2.000 m auf bis zu 1.200 m reduziert werden.

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 6 NÖ ElWG 2005, LGBl. 7800-5 in der Fassung LGBl. Nr. 94/2015, hat eine unmittelbar angrenzende Gemeinde in Verfahren gemäß den §§ 7 und 8 NÖ ElWG 2005 Parteistellung, wenn durch eine Erzeugungsanlage mit einer Engpassleistung von mehr als 500 kW die im § 56 der NÖ Bauordnung 2014, LGBl. Nr. 1/2015 in der geltenden Fassung, begründeten öffentlichen Interessen dieser Gemeinde wesentlich beeinträchtigt werden können.

Gemäß § 56 NÖ Bauordnung 2014, LGBl. Nr. 1/2015, sind Bauwerke, die einer Bewilligung nach § 14 bedürfen oder nach § 15 der Baubehörde anzuzeigen sind, so zu gestalten, dass sie in einem ausgewogenen Verhältnis mit der Struktur und der Gestaltungscharakteristik bestehender Bauwerke im Bezugsbereich stehen. Dabei ist auf die dort festgelegten Widmungsarten sowie auf die Charakteristik der Landschaft, soweit sie wegen des Standorts des geplanten Bauwerks in den Bezugsbereich einzubeziehen ist, Bedacht zu nehmen (Abs. 1). Bezugsbereich ist der von allgemein zugänglichen Orten zugleich mit dem geplanten Bauwerk sichtbare Bereich, in dem die für eine Beurteilung relevanten Gestaltungsprinzipien wahrnehmbar sind. Struktur ergibt sich aus den Proportionen der einzelnen Bauwerke, deren Baumassen und deren Anordnung zueinander. Gestaltungscharakteristik ergibt sich aus den im Bezugsbereich überwiegenden Gestaltungsprinzipien wie z. B. Baukörperausformung, Dach-, Fassaden-, Material-, Farbgestaltung unabhängig von Baudetails und Stilelementen (Abs. 2). Bei besonders ortsbildwirksamen Bauwerken ist weiters auf deren Wirkung in Bezug auf das regionalspezifische sowie bau- und kulturhistorisch gegebene Erscheinungsbild Bedacht zu nehmen (Abs. 3).

9 § 10 NÖ ElWG 2005 regelt ausdrücklich, wer Parteistellung in den Genehmigungsverfahren nach den §§ 7 und 8 leg. cit. hat. Somit kann nicht davon gesprochen werden, dass eine Bestimmung, wem in diesem Verfahren Parteistellung zukommt, fehlt und ein Rückgriff auf § 8 AVG notwendig ist (vgl. so das hg. Erkenntnis vom 15. Juni 2004, 2003/05/0103 zur Bauordnung für Oberösterreich 1875). In § 10 Abs. 1 Z 6 NÖ ElWG 2005 wird die Parteistellung der unmittelbar angrenzenden Gemeinde ausdrücklich geregelt. Damit erübrigt sich ein Rückgriff auf § 20 Abs. 3a NÖ ROG 2014. Diese Bestimmung regelt ihrem klaren Wortlaut zu Folge alleine die Voraussetzungen für die Widmung einer Fläche für Windkraftanlagen im Grünland.

10 § 10 Abs. 1 Z 6 NÖ ElWG 2005 beschränkt die Parteistellung der unmittelbar angrenzenden Gemeinde mit der Möglichkeit einer wesentlichen Beeinträchtigung der in § 56 NÖ Bauordnung 2014 begründeten öffentlichen Interessen dieser Gemeinde. Nur diese können daher von der unmittelbar angrenzenden Gemeinde geltend gemacht werden (vgl. zu einer derartigen beschränkten Parteistellung der Gemeinde nach § 102 Abs. 1 lit. d iVm § 13 Abs. 3 WRG 1959 den hg. Beschluss vom 3. August 2016, Ra 2016/07/0058).

11 Im Rahmen der von der benachbarten Gemeinde gemäß § 10 Abs. 1 Z 6 NÖ ElWG 2005 wahrzunehmenden Ortsbildgestaltung (nach § 56 NÖ Bauordnung 2014) ist die Flächenwidmung insofern von Relevanz, als auf die festgelegten Widmungsarten Bedacht zu nehmen ist (vgl. § 56 Abs. 1 zweiter Satz NÖ Bauordnung 2014). Eine Parteistellung zur Wahrnehmung des Zustimmungsrecht der Nachbargemeinde nach § 20 Abs. 3a NÖ ROG 2014 wird mit § 10 Abs. 1 Z 6 NÖ ElWG 2005 in Verbindung mit § 56 NÖ Bauordnung 2014 nicht eingeräumt.

12 Soweit die Revision verfassungsrechtliche Bedenken gegen das angefochtene Erkenntnis geltend macht, ist auf den Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 22. September 2016, E 956/2016- 17, hinzuweisen, mit dem die Behandlung der Beschwerde der Revisionswerberin gegen das angefochtene Erkenntnis abgelehnt wurde.

13 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher schon aus diesem Grund zurückzuweisen.

Wien, am 30. Dezember 2016

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