Normen
AsylG 2005 §11;
AsylG 2005 §3 Abs1;
AsylG 2005 §8 Abs1;
AufwandersatzV VwGH 2014;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §48;
VwGG §50;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2015:RA2015200048.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Pakistans, stellte am 15. Dezember 2011 einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er im Wesentlichen damit, dass er der Volksgruppe der Hazara angehöre und Schiite sei. In der Stadt Quetta, wo er gelebt habe, seien die Hazara nicht erwünscht und würden in vielen Fällen umgebracht. Als Lehrer gehöre er außerdem zu einer gebildeten Schicht der Hazara und diese sei besonders in Gefahr. Er habe mit einer Organisation zusammengearbeitet und sei auch in den USA zur Ausbildung gewesen. Er habe Drohanrufe erhalten, in denen er aufgefordert worden sei, nicht mehr bei diesen Organisationen zu arbeiten. Einem Anschlag auf ein Auto sei er nur zufällig entkommen und er gehe davon aus, dass der Anschlag ihm gegolten habe.
Das Bundesasylamt (nunmehr Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) wies diesen Antrag mit Bescheid vom 24. September 2012 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten ab. Aufgrund der dagegen gerichteten Beschwerde hob der damals zuständige Asylgerichtshof den Bescheid mit Erkenntnis vom 20. Juni 2013 auf und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Verwaltungsbehörde zurück.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20. März 2014 wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen, dem Revisionswerber aber der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.
In ihrer Begründung führte die Verwaltungsbehörde aus, der Revisionswerber habe zwar glaubhaft darlegen können, dass es in der Gegend um die Stadt Quetta für die ethnische Minderheit der Hazara nicht sicher sei, konkret gegen seine Person gerichtete Verfolgungshandlungen seien jedoch nicht gesetzt worden. Der Revisionswerber habe lediglich die allgemeine Situation der Hazara in Quetta für sich auszunutzen versucht, um daraus eine Verfolgungshandlung zu konstruieren. Es komme aber immer wieder zu Übergriffen auf die ethnische Gruppe der Hazara und diese würden durch die Sicherheitskräfte nicht ausreichend unterbunden. Der Revisionswerber verfüge über ein gehobenes Bildungsniveau und daher könne davon ausgegangen werden, dass er einer höheren Gefährdung ausgesetzt sein könnte als die übrigen Hazara in Pakistan. Daher sei subsidiärer Schutz zu erteilen gewesen.
Gegen die Abweisung der Beschwerde hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
Mit der nunmehr beim Verwaltungsgerichtshof in Revision gezogenen Entscheidung wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde als unbegründet ab. Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.
Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, der Revisionswerber sei pakistanischer Staatsangehöriger, stamme aus der Provinz Belutschistan, gehöre der Volksgruppe der Hazara an und bekenne sich zum schiitischen Glauben. Die Identität des Revisionswerbers stehe fest. Die Mutter, die Ehefrau und die zwei Kinder des Revisionswerbers würden nach wie vor im Herkunftsstaat leben.
Beweiswürdigend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, das Vorbringen des Revisionswerbers, er sei als gebildeter Hazara und Schiite mit westlicher Orientierung, welcher in der Lehrerausbildung tätig sei, konkret gegen ihn gerichteten Verfolgungshandlungen ausgesetzt, sei unglaubwürdig. Zwar sei es richtig, dass die Lage der Hazara-Minderheit vor allem in Belutschistan durchaus prekär sei, von einer Gruppenverfolgung der schiitischen Hazara sei dennoch nicht auszugehen. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass jeder Schiite in Pakistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der landesweiten Gefahr ausgesetzt sei, Opfer von sektiererischer Gewalt zwischen Sunniten und Schiiten zu werden. Schiiten seien allein aufgrund ihrer Glaubenszugehörigkeit keiner daran anknüpfenden gruppengerichteten religiösen oder politischen Verfolgung durch extremistische Sunniten ausgesetzt. Es könne nach der "Auskunftslage" nicht festgestellt werden, dass auch für alle Schiiten, welche circa 10- 15% der rund 193 Millionen Pakistani ausmachten, eine aktuelle Gefahr eigener und persönlicher Betroffenheit bestünde.
Die geschilderten Verfolgungshandlungen seien aufgrund der teilweise unschlüssigen und widersprüchlichen Aussagen als nicht nachvollziehbar und nicht glaubwürdig anzusehen. Es sei dem Revisionswerber nicht gelungen, eine Verfolgungsgefahr glaubhaft zu machen.
Dem Umstand, dass für den Revisionswerber als gebildeten, schiitischen Hazara im Fall einer Rückkehr in sein Heimatland eine Gefährdung im Hinblick auf die Sicherheitslage nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden könne, habe das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl durch die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten entsprochen. Diese Gefährdung reiche aber nicht aus, um die Forderung nach Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu begründen.
Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe rechtfertige für sich alleine für gewöhnlich nicht die Anerkennung als Flüchtling. Für die Gewährung von Asyl müsse eine Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintreten, es genüge nicht, dass sie bloß nicht ausgeschlossen werden könne. Eine konkrete Gefährdung bzw. eine konkret gegen den Revisionswerber gerichtete Verfolgungshandlung habe der Revisionswerber nicht glaubhaft machen können. Zudem könne aufgrund der Berichtslage nicht davon ausgegangen werden, dass es eine systematische Diskriminierung bzw. Verfolgung von westlich orientierten Lehrern bzw. westlich orientierten Lehrern mit schiitischem Glauben und Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara in Pakistan gebe. Die vom Revisionswerber vorgebrachte Verfolgung von Dritten richte sich nicht nur gegen bestimmte Berufsgruppen und es seien die pakistanischen Sicherheitsbehörden bestrebt, Übergriffe seitens terroristischer Organisationen, die sich keineswegs nur gegen bestimmte Berufsgruppen richteten, jedenfalls teilweise erfolgreich zu unterbinden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diese Entscheidung erhobene außerordentliche Revision nach Vorlage derselben sowie der Verfahrensakten durch das Bundesverwaltungsgericht und nach Einleitung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen:
Die Revision ist schon im Hinblick auf das Vorbringen zur möglichen Asylrelevanz der Gefährdung als gebildeter, schiitischer Hazara zulässig. Sie ist auch begründet.
Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, dass es sich beim Revisionswerber um einen pakistanischen Staatsangehörigen aus der Stadt Quetta in der Provinz Belutschistan handelt, er der Volksgruppe der Hazara angehört und sich zum schiitischen Glauben bekennt. Er verfügt über eine fundierte Ausbildung und Berufserfahrung. Die vom Revisionswerber angegebenen beruflichen Tätigkeiten - Lehrer für Physik und Englisch, tätig an der Schule und in der Lehrerausbildung - wurden vom Bundesverwaltungsgericht als wahr erachtet.
Das Bundesverwaltungsgericht erachtete weiters das Vorbringen des Revisionswerbers, in Quetta seien die Hazara und Schiiten nicht sicher, unter Hinweis auf die getroffenen herkunftslandspezifischen Feststellungen als wahr, geht aber dennoch nicht von einer asylrelevanten Verfolgung des Revisionswerbers aus, weil sich die Übergriffe seitens extremistischer Gruppierungen nicht nur gezielt gegen Angehörige der Hazara-Gemeinde richten bzw. nicht landesweit mit gleicher Intensität ereignen würden, sodass das Vorliegen einer Gruppenverfolgung zu verneinen wäre.
Die Gefahr der Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK kann nicht nur ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Sie kann auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. April 2015, Ra 2014/20/0151, mwN).
Für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung ist nicht entscheidend, dass sich die Verfolgung gezielt gegen Angehörige nur einer bestimmten Gruppe und nicht auch gezielt gegen andere Gruppen richtet. Schutz für Angehörige einer verfolgten Gruppe ist unabhängig davon, ob auch andere Gruppen in vergleichbarer Intensität verfolgt werden, zu gewähren (vgl. VfGH vom 18. September 2015, E 736/2014).
Ausgehend von den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes, die Hazara würden in Quetta "als Vogelfreie" leben, systematisch attackiert und es würde ein Klima der Straflosigkeit herrschen, sowie der Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts, Hazara seien in Quetta nicht sicher, müsste von der Wohlbegründetheit der Furcht des Revisionswerbers vor Verfolgung aus Gründen der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara ausgegangen werden, auch wenn die Handlungen sich bislang nicht konkret gegen seine Person gerichtet haben.
Dass die Übergriffe nicht überall in der gleichen Intensität erfolgen, mag zutreffen, würde aber nur dann zu einer anderen rechtlichen Beurteilung führen, wenn vom Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative auszugehen wäre. Der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative stünde aber im vorliegenden Fall die bereits erfolgte Gewährung von subsidiärem Schutz entgegen, weil § 11 AsylG 2005 die Annahme einer inländischen Fluchtalternative nur erlaubt, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben sind (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 13. November 2014, Ra 2014/18/0011, und vom 25. März 2015, Ra 2014/20/0022).
Da das Bundesverwaltungsgericht die Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung verkannt hat, war die angefochtene Entscheidung schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben; ein Eingehen auf das weitere Revisionsvorbringen erübrigt sich.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das Mehrbegehren (ERV-Zuschlag) war abzuweisen, weil es für die Zuerkennung eines solchen Aufwandersatzes an einer gesetzlichen Grundlage mangelt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. Oktober 2015, Ro 2015/21/0029).
Wien, am 17. Dezember 2015
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