VwGH Ra 2015/20/0038

VwGHRa 2015/20/003829.4.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck und die Hofräte Mag. Eder und Mag. Straßegger, die Hofrätin Dr. Leonhartsberger und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Ortner, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 169, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Jänner 2015, Zl. G306 2017176-1/2E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: F F), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §13 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §14;
VwGVG 2014 §28 Abs3;
VwGVG 2014 §28;

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Begründung

1.1. Die mitbeteiligte Partei, ein kosovarischer Staatsangehöriger, stellte am 23. Dezember 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 30. Dezember 2014 gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 55 und 57 AsylG 2005, erließ gegen die mitbeteiligte Partei eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass ihre Abschiebung in den Kosovo gemäß § 46 FPG zulässig sei. Weiters wurde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Gegen diesen abweisenden Bescheid erhob die mitbeteiligte Partei Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Das Deckblatt der Beschwerde beschränkt sich auf Angaben zur Person der mitbeteiligten Partei und zum angefochtenen Bescheid sowie auf den Titel "Beschwerde und Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gem. § 18 Abs 5 BFA-VG". Dem Beschwerdedeckblatt wurden handschriftliche Ausführungen in albanischer Sprache angeschlossen. Eine Begründung oder ein bestimmtes Begehren in deutscher Sprache enthält die Beschwerde nicht.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl legte dem Bundesverwaltungsgericht zwei Tage nach Einlangen der Beschwerde ohne weitere Verfahrensschritte, insbesondere ohne Einholung einer Übersetzung des albanischsprachigen Beiblatts und ohne Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung, die Verwaltungsakten samt Beschwerde vor.

1.2. Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss behob das Bundesverwaltungsgericht den genannten Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 30. Dezember 2014 und verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurück.

Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe es unterlassen, sich mit der Möglichkeit, eine Beschwerdevorentscheidung zu treffen, auseinanderzusetzen. Es könne erst mit Kenntnis des Beschwerdeinhalts entschieden werden, ob von einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen sei. Zudem habe es vor Neuerlassung des Bescheides den Beschwerdeinhalt zu prüfen, um feststellen zu können, ob von einer Beschwerdevorentscheidung Abstand zu nehmen sei oder nicht.

Des Weiteren erklärte das Bundesverwaltungsgericht mit einem Hinweis auf Art. 133 Abs. 4 B-VG die ordentliche Revision für unzulässig.

1.3. Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

1.4. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Revision und die Verfahrensakten vor.

 

2. Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - über die Revision erwogen:

2.1. Die revisionswerbende Behörde macht zur Zulässigkeit der Revision unter anderem geltend, das Bundesverwaltungsgericht weiche von der Rechtsprechung zu § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG ab, wonach nur krasse oder besonders gravierende Ermittlungsmängel zur Behebung und Zurückverweisung berechtigten. Solche Ermittlungsmängel könnten naturgemäß nur den Bescheid und das zu Grunde liegende Verwaltungsverfahren betreffen, nicht aber die Beschwerdeschrift selbst. Eine Partei habe - nach der auf die neue Rechtslage übertragbaren Judikatur zur Berufungsvorentscheidung - kein subjektives Recht auf eine Beschwerdevorentscheidung, sodass deren Unterlassung nicht zur Bescheidbehebung und Zurückverweisung des Verfahrens berechtige.

Schon deshalb erweist sich die Revision als zulässig. Sie ist auch begründet.

2.2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG) lauten auszugsweise:

"Beschwerdevorentscheidung

§ 14. (1) Im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG steht es der Behörde frei, den angefochtenen Bescheid innerhalb von zwei Monaten aufzuheben, abzuändern oder die Beschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen (Beschwerdevorentscheidung). § 27 ist sinngemäß anzuwenden.

(2) Will die Behörde von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung absehen, hat sie dem Verwaltungsgericht die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen.

...

Anzuwendendes Recht

§ 17. Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

...

Erkenntnisse

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

  1. 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
  2. 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

..."

§ 13 Abs. 3 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991

(AVG) lautet:

"Anbringen

§ 13. ...

(3) Mängel schriftlicher Anbringen ermächtigen die Behörde nicht zur Zurückweisung. Die Behörde hat vielmehr von Amts wegen unverzüglich deren Behebung zu veranlassen und kann dem Einschreiter die Behebung des Mangels innerhalb einer angemessenen Frist mit der Wirkung auftragen, dass das Anbringen nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist zurückgewiesen wird. Wird der Mangel rechtzeitig behoben, so gilt das Anbringen als ursprünglich richtig eingebracht.

..."

2.3. Eingangs ist darauf hinzuweisen, dass eine Kassation nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG eine Ausnahme von der grundsätzlich meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt. Die normative Zielsetzung des § 28 VwGVG ist die Verfahrensbeschleunigung bzw. die Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer, sodass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden darf (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Ro 2014/03/0063).

Die Amtsrevision zeigt zutreffend auf, dass die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hätte eine Übersetzung des albanischsprachigen Beschwerdeteils veranlassen müssen, um beurteilen zu können, ob eine Beschwerdevorentscheidung getroffen wird, verfehlt ist. Die vom Bundesverwaltungsgericht vertretene Ansicht geht schon deshalb ins Leere, weil § 14 VwGVG alleine keine Pflicht der Behörde zu entnehmen ist, eine Beschwerdevorentscheidung zu treffen (vgl. Gruber in Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte (2014), § 14 Rn 4). Die Parteien haben dementsprechend auch keinen Rechtsanspruch auf Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung (vgl. Martschin/Schmid in Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahren der Verwaltungsgerichte, K10 zu § 14 VwGVG; Pabel, Das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten, in:

Fischer/Pabel/Raschauer (Hrsg), Handbuch der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 2014, S 397 (Rz 37); Müllner, Beschwerdevorentscheidung und Vorlageantrag, ZfV 6/2013, S 883;

Grabenwarter/Fister, Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit4 (2014), S 221;

Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), § 14 VwGVG Anm 5, und das hg. Erkenntnis vom 7. September 2007, Zl. 2007/02/0180, zur insofern vergleichbaren Berufungsvorentscheidung). Demnach kann aber - wenn sie von ihrer Befugnis, eine Beschwerdevorentscheidung zu erlassen, keinen Gebrauch macht - auch keine Pflicht der Behörde bestehen, sich mit dem Inhalt der Beschwerde näher befassen zu müssen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht als rechtswidrig zu erkennen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl von einer Beschwerdevorentscheidung abgesehen hat, ohne zuvor eine Übersetzung der fremdsprachigen Beschwerde zu veranlassen.

Daraus folgt aber auch, dass eine Ermittlungslücke hier von vornherein nicht darin bestehen kann, dass sich nicht schon die Verwaltungsbehörde Kenntnis vom Inhalt der Beschwerde verschafft hat. § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bietet keine Rechtsgrundlage für eine Bescheidaufhebung und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Verwaltungsbehörde zur Erlassung eines neuen Bescheides in dem Fall, dass die Verwaltungsbehörde, die von einer Beschwerdevorentscheidung keinen Gebrauch macht, die fremdsprachige Beschwerde (oder Teile davon) ohne Veranlassung einer Übersetzung dem Verwaltungsgericht vorlegt.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl war mangels sonstiger gesetzlicher Grundlage auch sonst nicht verpflichtet, die mit Mängeln behaftete Beschwerde vor deren Vorlage an das Bundesverwaltungsgericht verbessern zu lassen.

2.4. Aus den dargelegten Erwägungen war der angefochtene Beschluss gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Wien, am 29. April 2015

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte