Normen
VwGVG 2014 §24;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2015:RA2015080101.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 24. Juli 2014 sprach die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde (im Folgenden: AMS) aus, dass der Revisionswerber den Anspruch auf Notstandshilfe gemäß § 38 iVm § 10 AlVG für die Zeit vom 20. Juni bis 31. Juli 2014 verloren habe.
Der Revisionswerber erhob Beschwerde in der er u.a. Folgendes vorbrachte:
"Ich habe ein Jobangebot von T. (für einen Transitarbeitsplatz in einem sozialökonomischen Betrieb (SÖB) bzw. in einem gemeinnützigen Beschäftigungsprojekt (GBP) iSd § 9 Abs. 7 AlVG) als Abwäscher erhalten. Ich habe noch nie in diesem Bereich gearbeitet. Ich sagte zu meinem Berater, dass ich mir eine Arbeit als Haustechniker oder Elektrotechniker wünsche. Es ist wahr, dass ich den Job als Abwäscher nicht wollte. Es tut mir sehr leid, aber ich habe nicht gewusst, dass ich dann für 6 Wochen kein AMS Geld bekomme. Ich dachte, dass ich weiter eine Arbeit als Techniker suchen kann. Es hat mir bei T. niemand gesagt, dass ich vom AMS gesperrt werde (...). Bitte haben Sie Nachsicht mit mir."
Mit Beschwerdevorentscheidung vom 1. Oktober 2014 wies das AMS die Beschwerde ab und führte unter anderem aus, der zuständige Trainer bei T., W B., habe als Zeuge ausgeführt, dass er den Revisionswerber grundsätzlich auf die Möglichkeit einer Sperre der Leistungen hingewiesen habe. Er habe dem Revisionswerber erklärt, dass er für die Verhängung der Sperre nicht zuständig sei und der Revisionswerber dem zuständigen Berater beim AMS erklären solle, warum er das Jobangebot als Abwäscher nicht annehme. Die dieser Zeugenaussage entsprechende Feststellung legte das AMS seiner abweisenden Entscheidung zugrunde.
In der Ergänzung zum Vorlageantrag vom 16. Oktober 2014 brachte der Revisionswerber am 29. Oktober 2014 vor, er habe nicht vorsätzlich gehandelt und außerdem sei das Transitdienstverhältnis unzumutbar gewesen. Er sei nicht darüber informiert gewesen, dass eine Sanktion drohen könne. Die Aussage des Zeugen W B. sei unrichtig. In einem weiteren von seinem nunmehrigen Vertreter am 14. Jänner 2015 eingebrachten Schriftsatz brachte der Revisionswerber vor, aus den Betreuungsvereinbarungen vom 30. Jänner und 6. August 2014 ergebe sich ebenfalls, dass ihm der Vorwurf eines vorsätzlichen Handelns nicht zu machen sei.
Mit dem angefochtenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht die Beschwerde abgewiesen und die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt. Es stellte ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung unter anderem fest, der genannte Betreuer bei T. habe den Revisionswerber am 20. Juni 2010 darauf hingewiesen, dass eine Ablehnung der Beschäftigung eine Sperre der Notstandhilfe zur Folge haben könne. Der Revisionswerber habe durch sein Verhalten das Zustandekommen einer vom AMS bzw. von T. angebotenen zumutbaren kollektivvertraglichen Beschäftigung vereitelt. Beweiswürdigend führte das Verwaltungsgericht aus, W B. sei (vom AMS) als Zeuge einvernommen worden. Dieser habe "glaubwürdig" angegeben, den Revisionswerber darauf hingewiesen zu haben, dass eine Ablehnung der Stelle eine Bezugssperre nach sich ziehen könne.
Das Verwaltungsgericht begründete die Unterlassung der Durchführung einer mündlichen Verhandlung damit, dass der Sachverhalt zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Sanktion nach § 10 AlVG aus der Aktenlage hinreichend geklärt erschien. Das AMS habe ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und den Sachverhaltsfeststellungen, insbesondere jenen in der Beschwerdevorentscheidung, sei in der Beschwerde bzw. im Vorlageantrag nicht substantiiert entgegen getreten worden. Das Verwaltungsgericht habe ausschließlich über eine Rechtsfrage zu erkennen.
Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision. Das AMS erstattete eine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die Revision ist zulässig und begründet.
Gemäß § 24 VwGVG hat das Verwaltungsgericht (selbst bei anwaltlich Vertretenen) auch ohne Antrag von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen, wenn es dies für erforderlich hält, wobei die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ohne Parteiantrag nicht im Belieben, sondern im pflichtgemäßen Ermessen des Verwaltungsgerichtes steht. Dies ist nach der Rechtsprechung etwa dann anzunehmen, wenn die Beweiswürdigung der Verwaltungsbehörde substanziiert bekämpft oder ein konkretes sachverhaltsbezogenes Vorbringen erstattet wird (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 20. Mai 2015, Zl. Ra 2015/20/0027, mwN, und vom 8. Juli 2015, Ra 2015/11/0036).
Der Revisionswerber hat auf Sachverhaltsebene bestritten, bei der Vereitelung iSd § 10 Abs. 1 AlVG vorsätzlich gehandelt zu haben. Er habe gedacht, er könne weiter eine Arbeit als Techniker suchen, und aus den Betreuungsvereinbarungen ergebe sich, dass ihm der Vorwurf eines vorsätzlichen Handelns nicht zu machen sei.
Es gehört gerade im Fall widersprechender prozessrelevanter Behauptungen zu den grundlegendsten Pflichten des Verwaltungsgerichts, dem auch in § 24 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsprinzip Rechnung zu tragen und sich als Gericht einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien zu verschaffen und insbesondere darauf seine Beweiswürdigung zu gründen.
Da die Unterlassung der Durchführung einer mündlichen Verhandlung auf einer Verkennung der Vorgaben des § 24 VwGVG beruhte, war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Zuerkennung von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014.
Wien, am 14. Oktober 2015
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