VwGH Ra 2015/08/0073

VwGHRa 2015/08/00732.9.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten, die Hofrätin Dr. Julcher und den Hofrat Mag. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gruber, über die außerordentlichen Revisionen des 1. Mag. H W in F und 2. R P T in W, beide vertreten durch Dr. Tassilo Wallentin, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Gonzagagasse 14/10, gegen die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichts Wien jeweils vom 23. März 2015, Zlen. VGW-041/069/193/2015-10 (hg. Ra 2015/08/0073) und VGW-041/069/192/2015-11 (hg. Ra 2015/08/0075), betreffend Bestrafung nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien), den Beschluss gefasst:

Normen

ASVG §111 Abs1 Z1;
ASVG §111;
ASVG §33 Abs1;
ASVG §33;
VStG §5 Abs1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2015:RA2015080073.L00

 

Spruch:

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Begründung

1.1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird.

1.2. Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichts nach § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

2. Mit den angefochtenen Erkenntnissen bestätigte das Verwaltungsgericht die Bestrafung der Revisionswerber jeweils wegen Übertretung des § 111 Abs. 1 Z 1 iVm. § 33 Abs. 1 ASVG, weil der Erstrevisionswerber als bis 1. Jänner 2014 und der Zweitrevisionswerber als ab 1. Jänner 2014 bestellter handelsrechtlicher Geschäftsführer und damit als gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen Berufener der S Handels GmbH (im Folgenden nur: GmbH) zu verantworten habe, dass der von 1. Oktober 2010 bis zumindest 30. April 2014 von der GmbH als Lagerarbeiter und LKW-Fahrer beschäftigte H R nicht vor Arbeitsantritt beim zuständigen Krankenversicherungsträger zur Pflichtversicherung angemeldet wurde.

3.1. In den dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionen machen die Revisionswerber geltend, das Verwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs - im Wesentlichen wie folgt - abgewichen:

Zwischen der GmbH und H R habe kein Arbeits- sondern ein Werkvertrag bestanden. Maßgebliches Kriterium für die Abgrenzung sei die Freiheit von persönlichen Weisungen, hier auf Grund der weitgehenden Gestaltungsfreiheit des H R bei der Auslieferung der Ware. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts erfolge die Auslieferung auch nicht üblicherweise im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses, zumal Transportunternehmen ebenso derartige Liefertätigkeiten (im Rahmen von Werkverträgen und unter Beachtung von Öffnungszeiten) durchführten. Bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses und Fortsetzung der Tätigkeit als Selbständiger (wie hier durch H R ab 1. Oktober 2010) müssten klare Unterschiede, besonders eine freie Einteilung und Weisungsfreiheit sowie eigene Betriebsmittel, erkennbar sein. Das Verwaltungsgericht habe diese Unterschiede - vor allem den Einsatz von Mitarbeitern und die Verwendung eigener Betriebsmittel durch H R - klargestellt, dem jedoch in den Erkenntnissen keine entscheidende Bedeutung beigemessen.

Ferner sei das Verwaltungsgericht zu Unrecht vom Vorliegen eines Verschuldens der Revisionswerber ausgegangen, indem es die Einholung der Mitteilung eines Steuerberaters im Rahmen der Erkundigungspflicht als nicht ausreichend erachtet habe. Richtiger Weise hätten die Revisionswerber die zumutbaren Schritte gesetzt, um sich über eine Meldepflicht sachkundig zu machen. Das Unterbleiben der Anmeldung sei auf das Ergebnis dieser Bemühungen ursächlich zurückzuführen.

3.2. Mit diesem Vorbringen zeigen die Revisionswerber jedoch keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG auf, weshalb - nach Verbindung der Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung - die außerordentlichen Revisionen zurückzuweisen sind.

4.1. Das Verwaltungsgericht ist unter eingehender Würdigung der in den angefochtenen Erkenntnissen dargestellten Erhebungsergebnisse auf vertretbare Weise zur Überzeugung gelangt, dass nach den im Sinn der ständigen Rechtsprechung (vgl. etwa das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senats vom 10. Dezember 1986, VwSlg. 12.325/A, uva.) anzuwendenden Abgrenzungskriterien, bezogen auf das Gesamtbild der konkret zu beurteilenden Beschäftigung, von einem Überwiegen der Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit und damit vom Vorliegen eines (echten bzw. abhängigen) Dienstverhältnisses im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG - und nicht bloß vom Vorliegen eines freien Dienstvertrags im Sinn des § 4 Abs. 4 ASVG oder eines Werkvertrags im Sinn der §§ 1165 ff ABGB - ausgegangen werden kann.

4.2. Soweit die Revisionswerber insbesondere das Vorliegen der persönlichen Abhängigkeit in Abrede stellen, ist darauf hinzuweisen, dass aus dem festgestellten Sachverhalt (vgl. etwa die Konstatierung, dass H R "seine Arbeitsverrichtung" jeweils mit Wochenplan von der GmbH "vorgeschrieben" bekam) durchaus eine weitreichende Bindung an die Ordnungsvorschriften des Dienstgebers in Bezug auf Arbeitsort, Arbeitszeit und arbeitsbezogenes Verhalten, und zwar sowohl bei den Lagerarbeiten als auch bei den Liefertätigkeiten, mit entsprechenden Weisungs- und Kontrollbefugnissen im Sinn einer weitgehenden Ausschaltung der Bestimmungsfreiheit (vgl. das schon zitierte Erkenntnis vom 10. Dezember 1986, sowie RIS-Justiz RS0021306), abgeleitet werden kann. Auch gegen das Vorliegen der für die persönliche Abhängigkeit essenziellen persönlichen Arbeitspflicht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 25. Juni 2013, 2013/08/0093) bestehen keine Bedenken, war doch H R nach dem festgestellten Sachverhalt jahrelang und ausschließlich sowie mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von durchschnittlich 30 bis 40 Stunden (was einer hauptberuflichen Beschäftigung entspricht) für die GmbH tätig. Soweit die Revisionswerber relevieren, H R habe eigene "Mitarbeiter beschäftigt", kommt dem fallbezogen ebenso keine entscheidende Bedeutung zu, übte er die zu beurteilende Tätigkeit doch regelmäßig selbst aus und war nach seinen Angaben nur einmal auf Urlaub, wobei er von den "Mitarbeitern" vertreten wurde. Dass er - darüber hinaus - ein generelles (unbeschränktes) Vertretungsrecht mit der GmbH vereinbart oder regelmäßige Vertretungen tatsächlich praktiziert hätte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. April 2014, 2013/08/0258), wurde nicht (ausdrücklich) behauptet und auch nicht festgestellt.

4.3. Die wirtschaftliche Abhängigkeit folgt bereits aus der persönlichen Abhängigkeit, ist mit jener doch ein Fehlen der (eigenen) Verfügungsmacht über die wesentlichen organisatorischen Einrichtungen und Betriebsmittel verbunden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 29. Juni 2005, 2001/08/0053). Dem entspricht im konkreten Fall, dass nach dem festgestellten Sachverhalt die Arbeiten in den Betriebsräumen der GmbH (vor allem im Lager) sowie mit den Betriebsmitteln (insbesondere dem Firmenfahrzeug) der GmbH, die auch den Treibstoff bezahlte, erfolgten, wohingegen H R nur einzelne untergeordnete Wirtschaftsgüter (Handy, Schreibtisch, Hubwagen) beistellte.

4.4. Aus den dargelegten Erwägungen kann daher im Einklang mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs durchaus von einem Überwiegen der Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegenüber den Merkmalen selbständiger Ausübung einer Erwerbstätigkeit und damit vom Vorliegen eines (echten) Dienstverhältnisses ausgegangen werden.

5.1. Das Verwaltungsgericht ist weiters auf vertretbare Weise zum Ergebnis gelangt, dass nach den im Sinn der Rechtsprechung maßgeblichen Kriterien auch von einem Verschulden der Revisionswerber an der Verletzung ihrer Meldepflicht ausgegangen werden kann.

5.2. Übertretungen des § 111 iVm. § 33 ASVG sind Ungehorsamsdelikte im Sinn des § 5 Abs. 1 VStG. Bei Zuwiderhandeln ist Fahrlässigkeit ohne Weiteres anzunehmen, wenn der Täter nicht glaubhaft macht, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft. Der Beschuldigte hat daher initiativ alles darzulegen, was für seine Entlastung spricht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Februar 2011, 2011/08/0004).

Einen - nicht über die notwendigen Kenntnisse verfügenden - Meldepflichtigen trifft grundsätzlich eine Erkundigungspflicht, im Zuge derer er sich über die Vertretbarkeit seiner Rechtsauffassung bei der Behörde und/oder einer zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugten Person oder Stelle Gewissheit zu verschaffen hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 27. April 2011, 2007/08/0220, uva.). Er hat dabei den maßgeblichen Sachverhalt mit allen einzelnen Momenten der konkreten Beschäftigung genau darzulegen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 22. März 1994, 93/08/0177, und vom 25. September 1990, 90/08/0060) und sich bei zu Tage tretenden Widersprüchen gewissenhaft mit allem Für und Wider eingehend auseinanderzusetzen und allenfalls weitere Nachforschungen anzustellen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 17. Dezember 1991, 90/08/0005, und vom 14. September 2005, 2004/08/0104).

5.3. Vorliegend wurde von den Revisionswerbern nicht behauptet und bescheinigt, dass sie im Rahmen ihrer unstrittig gegebenen Erkundigungspflicht den soeben aufgezeigten Sorgfaltsanforderungen entsprochen hätten:

Die Revisionswerber brachten zwar vor, dem "Geschäftsmodell" der GmbH sei "eine ausführliche steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Beratung vorangegangen", der eingeschaltete Wirtschaftsprüfer sei zum Ergebnis gelangt, dass "in keiner Weise ein arbeitnehmerähnliches Verhältnis" vorliege, dies aus den Gründen: "Auftraggeber ist selbständiger Unternehmer; Zeit- und Ressourceneinteilung ist unabhängig; der Auftragnehmer rechnet die Leistung gemäß Lieferschein ab und beschäftigt seine eigenen Mitarbeiter".

Aus diesem (allgemeinen bzw. unbestimmten) Vorbringen geht jedoch nicht hervor, dass die Revisionswerber bei Inanspruchnahme der Beratung den maßgeblichen Sachverhalt - wie er nunmehr vom Verwaltungsgericht festgestellt wurde - mit allen wesentlichen Momenten der konkreten Beschäftigung genau und richtig dargelegt hätten. Dagegen spricht vor allem, dass die behaupteten Aussagen des Wirtschaftsprüfers über die Gründe einer fehlenden Meldepflicht auf krasse Weise vom (nunmehr) festgestellten Sachverhalt abweichen (vgl. schon die Ausführungen zu Punkt 4., wonach H R keineswegs als selbständiger Unternehmer agierte, in der Zeit- und "Ressourceneinteilung" nicht frei war, die Arbeiten nicht durch seine Mitarbeiter sondern selbst verrichtete usw.). Dem Vorbringen ist auch nicht zu entnehmen, dass - selbst im Fall einer richtigen Bekanntgabe des Sachverhalts - sich die Revisionswerber mit den damit evident im Widerspruch stehenden Aussagen des Wirtschaftsprüfers pflichtgemäß auseinandergesetzt und weitere Erhebungen veranlasst hätten.

5.4. Davon ausgehend ist jedoch das Verwaltungsgericht auf vertretbare Weise bzw. ohne einen aufzugreifenden Rechtsirrtum zum Ergebnis gelangt, dass die Revisionswerber auch den Freibeweis in Ansehung der subjektiven Tatseite nicht erbracht haben.

6. Insgesamt werden daher in den Revisionen keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

Die Revisionen waren deshalb zurückzuweisen.

Wien, am 2. September 2015

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