Normen
AWG 2002 §15 Abs3;
AWG 2002 §79 Abs1 Z1;
AWG 2002 §87c Abs3;
B-VG Art133 Abs8;
VStG §27 Abs1;
VStG §44a Z1;
VStG §45 Abs1 Z2;
VStG §9;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §27;
VwGVG 2014 §28 Abs1;
VwGVG 2014 §38;
VwGVG 2014 §50;
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha (in weiterer Folge: BH) vom 28. Mai 2014 wurde der mitbeteiligten Partei als nach § 9 VStG Verantwortlichem angelastet, am 26. November 2013 (irrtümlich als 26. November 2003 bezeichnet) und am 27. November 2013 auf der Baustelle der M GmbH in Wien 23 gefährliche Abfälle, nämlich Dachplatten aus Asbestzement, außerhalb einer hierfür genehmigten Anlage oder eines zur Sammlung oder Behandlung vorgesehenen geeigneten Ortes gelagert zu haben. Dadurch habe die mitbeteiligte Partei § 15 Abs. 3 AWG 2002 in Verbindung mit § 79 Abs. 1 Z 1 AWG 2002 übertreten, weshalb über sie eine Geldstrafe in Höhe von EUR 4.200,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 641 Stunden) verhängt wurde. Als "Betretungsort" gab die BH die Baustelle der M GmbH in Wien 23 und als "Tatort" den Sitz der mitbeteiligten Partei, nämlich H (im Bezirk Bruck an der Leitha), an.
In der gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Beschwerde vom 3. Juli 2014 an das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (in weiterer Folge: LVwG) beantragte die mitbeteiligte Partei neben der Durchführung einer mündlichen Verhandlung die ersatzlose Behebung des angefochtenen Straferkenntnisses und die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens gemäß § 38 VwGVG in Verbindung mit § 45 Abs. 1 VStG, in eventu eine Ermahnung gemäß § 38 VwGVG in Verbindung mit § 45 Abs. 1 letzter Satz VStG auf Grund der geringen Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und der geringen Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat sowie auf Grund seines geringen Verschuldens, in eventu die Herabsetzung der Strafhöhe auf ein tat- und schuldangemessenes Maß.
Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gab das LVwG mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 11. August 2015 unter Spruchpunkt I. der Beschwerde gemäß § 50 VwGVG Folge, hob das Straferkenntnis der BH vom 28. Mai 2014 auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG in Verbindung mit § 38 VwGVG ein. Unter Spruchpunkt II. erklärte es die Unzulässigkeit der ordentlichen Revision an den Verwaltungsgerichtshof.
Das LVwG führte begründend aus, die BH habe der mitbeteiligten Partei im Straferkenntnis vom 28. Mai 2014 zur Last gelegt, sie habe zu verantworten, dass Asbestzement ungeschützt entgegen der Bestimmung des § 15 Abs. 3 AWG 2002 gelagert worden sei. Die der mitbeteiligten Partei angelastete Tathandlung sei jedoch aus abfallrechtlicher Sicht als Sammeln und nicht als Lagern zu werten, weshalb die mitbeteiligte Partei die ihr vorgeworfene Straftat schon aus diesem Grund nicht begangen habe. Eine Konkretisierung der Tatanlastungen im gerichtlichen Verfahren sei aufgrund bereits eingetretener Verfolgungsverjährung nicht möglich. Daher sei das Straferkenntnis der BH vom 28. Mai 2014 aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.
Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision führte das LVwG aus, es sei keine Rechtsfrage zu lösen gewesen, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukomme, insbesondere weil das angefochtene Erkenntnis nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweiche.
Gegen dieses Erkenntnis erhob der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft eine Amtsrevision, in der er als Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung ein Abweichen des LVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geltend machte. Die örtliche Zuständigkeit in Verwaltungsstrafsachen richte sich nach dem Tatort. Tatort im Sinne des § 27 VStG sei bei Begehungsdelikten der Ort, an dem der Täter gehandelt habe und bei Unterlassungsdelikten der Ort, an dem der Täter hätte handeln sollen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei das Lagern von Abfällen entgegen § 15 Abs. 3 AWG 2002 als Begehungsdelikt zu qualifizieren und sei Tatort jener Ort, an dem das verpönte Tun stattgefunden habe. Diese Rechtsprechung sei auch für den hier gegenständlichen Fall maßgeblich. Weder dem Wortlaut noch der Struktur des § 15 Abs. 3 AWG 2002 seien Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass mit dem Begriff "gelagert" in der Wortfolge "gesammelt, gelagert oder behandelt" ein Tun und damit ein Begehen und keine Unterlassung beschrieben werde, nicht aber auch mit den Begriffen "gesammelt" oder "behandelt". Indem das LVwG die Rechtsauffassung der BH übernommen habe, dass als Tatort der Sitz der mitbeteiligten Partei in H und nicht die Liegenschaft in Wien 23 anzusehen sei, sei es von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen und habe die von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens wahrzunehmende Unzuständigkeit der Verwaltungsstrafbehörde zu Unrecht nicht durch ersatzlose Behebung des Straferkenntnisses wahrgenommen.
Mit Schriftsatz vom 19. November 2015 erstattete die BH eine Revisionsbeantwortung, in der sie die kostenpflichtige Zurückbzw. Abweisung der Revision beantragte.
Mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2015 erstattete auch die mitbeteiligte Partei eine Revisionsbeantwortung; auch sie beantragte die kostenpflichtige Zurück- bzw. Abweisung der Revision.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
Gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
Der Amtsrevisionswerber macht zur Zulässigkeit der Revision im Wesentlichen geltend, das LVwG weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, weil es bei einer Übertretung des § 15 Abs. 3 AWG 2002 nicht den Betretungsort, sondern den Sitz der mitbeteiligten Partei als Tatort angesehen und die Unzuständigkeit der BH nicht von Amts wegen aufgegriffen habe.
Die Revision erweist sich als zulässig. Sie ist auch berechtigt.
2. Die entscheidenden Bestimmungen des AWG 2002, in der hier anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 193/2013, lauten auszugsweise:
"Allgemeine Behandlungspflichten für Abfallbesitzer
§ 15. (1) Bei der Sammlung, Beförderung, Lagerung und Behandlung von Abfällen und beim sonstigen Umgang mit Abfällen sind
1. die Ziele und Grundsätze gemäß § 1 Abs. 1 und 2 zu beachten und
2. Beeinträchtigungen der öffentlichen Interessen (§ 1 Abs. 3) zu vermeiden.
(2) ...
(3) Abfälle dürfen außerhalb von
- 1. hiefür genehmigten Anlagen oder
- 2. für die Sammlung oder Behandlung vorgesehenen geeigneten Orten nicht gesammelt, gelagert oder behandelt werden. Eine Ablagerung von Abfällen darf nur in hiefür genehmigten Deponien erfolgen.
(...)
Strafhöhe
§ 79. (1) Wer
1. gefährliche Abfälle entgegen § 15 Abs. 1, 3 oder 4 oder entgegen § 16 Abs. 1 sammelt, befördert, lagert, behandelt oder beim sonstigen Umgang mit gefährlichen Abfällen entgegen § 15 Abs. 1 die Ziele und Grundsätze nicht beachtet oder Beeinträchtigungen der öffentlichen Interessen nicht vermeidet oder entgegen § 15 Abs. 2 vermischt oder vermengt,
(...)
begeht - sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet oder nach anderen Verwaltungsstrafbestimmungen mit strengerer Strafe bedroht ist - eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe von 850 EUR bis 41 200 EUR zu bestrafen ist; wer jedoch gewerbsmäßig im Bereich der Abfallwirtschaft tätig ist, ist mit einer Mindeststrafe von 4 200 EUR bedroht.
(...)"
§ 27 VStG, in der hier anzuwendenden Fassung
BGBl. I Nr. 33/2013, lautet:
"§ 27. (1) Örtlich zuständig ist die Behörde, in deren Sprengel die Verwaltungsübertretung begangen worden ist, auch wenn der zum Tatbestand gehörende Erfolg in einem anderen Sprengel eingetreten ist.
(...)"
3. Vorauszuschicken ist, dass sich das LVwG im angefochtenen Erkenntnis zur örtlichen Zuständigkeit der BH nicht äußert. Durch seine abändernde Entscheidung bejahte das LVwG jedoch implizit die örtliche Zuständigkeit der BH als Verwaltungsstrafbehörde, hätte es doch ansonsten das Straferkenntnis wegen Unzuständigkeit aufzuheben gehabt.
Die gemäß Art. 133 Abs. 8 B-VG in Verbindung mit § 87c Abs. 3 AWG 2002 erhobene Amtsrevision dient der Wahrung der objektiven Rechtmäßigkeit der Entscheidung des LVwG. Dazu zählt auch die Beachtung der örtlichen Zuständigkeit der Verwaltungsstrafbehörde.
4. Gegenständlich ist somit zu prüfen, ob die BH (örtlich) zuständig war, das Straferkenntnis vom 28. Mai 2014 zu erlassen. Die BH und das LVwG stellten als Sitz des Unternehmens der mitbeteiligten Partei als nach § 9 VStG Verantwortlichem den im örtlichen Zuständigkeitsbereich der BH liegenden Ort H, als Betretungsort hingegen die Baustelle in Wien 23 fest.
4.1. Eine Verwaltungsübertretung gemäß § 27 Abs. 1 VStG wird dort begangen, wo der Täter gehandelt hat oder hätte handeln sollen (§ 2 Abs. 2 VStG). Bei Delikten von juristischen Personen kommt es dabei vielfach auf den Sitz der Unternehmensleitung an, wobei jedoch auf das betreffende Tatbild Bedacht zu nehmen ist (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 15. September 2011, 2009/07/0180 bis 0183, vom 6. Juli 2006, 2005/07/0118, sowie vom 15. Jänner 1998, 97/07/0137).
4.2. Aus den unter Punkt 4.1. zitierten Erkenntnissen ergibt sich, dass für die Feststellung der örtlichen Zuständigkeit das Tatbild, also die Art des Deliktes, zu klären ist.
Das LVwG führte im angefochtenen Erkenntnis aus, die mitbeteiligte Partei habe entgegen § 15 Abs. 3 AWG 2002 Abfälle gesammelt (und nicht, wie die BH annahm, entgegen § 15 Abs. 3 AWG 2002 Abfälle gelagert). Entscheidend für diese rechtliche Einschätzung war die Art der Tätigkeit der mitbeteiligten Partei an der Baustelle in Wien.
4.3. Nun qualifizierte der Verwaltungsgerichtshof bereits den Verwaltungsstraftatbestand des Lagerns von nicht gefährlichen Abfällen entgegen § 15 Abs. 3 AWG 2002 (§ 79 Abs. 1 Z 1 leg. cit.) als Begehungsdelikt und ging dabei von der örtlichen Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde des Begehungsortes (Tatortes) aus; auf den Sitz der Unternehmensleitung kam es dabei nicht an (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Juli 2014, 2012/07/0129).
4.4. Auch beim Straftatbestand des Sammelns von nicht gefährlichen Abfällen entgegen § 15 Abs. 3 AWG 2002 (ebenfalls § 79 Abs. 1 Z 1 leg. cit.) handelt es sich - gleich wie beim Tatbestand des Lagerns - um ein Begehungsdelikt. Dies ergibt sich einerseits aus der Struktur der Bestimmung des § 15 Abs. 3 AWG 2002 in Verbindung mit § 79 Abs. 1 Z 1 leg. cit., welche keinerlei Hinweise enthält, die den Schluss nahelegen, dass es sich beim Sammeln von Abfällen um ein Unterlassungsdelikt handelt, während das Lagern von Abfällen ein Begehungsdelikt darstellt. Bereits aufgrund der Vergleichbarkeit der Tatbestände des Sammelns und des Lagerns ist daher auch beim Sammeln von nicht gefährlichen Abfällen entgegen § 15 Abs. 3 AWG 2002 von einem Begehungsdelikt auszugehen.
4.5. Unabhängig davon, ob das LVwG zu Recht davon ausgegangen ist, dass die mitbeteiligte Partei den Straftatbestand des Sammelns anstelle des Lagerns entgegen § 15 Abs. 3 AWG 2002 erfüllt hat, liegt somit in jedem Fall ein Begehungsdelikt vor.
4.6. Tatort eines Begehungsdeliktes ist der Ort, an dem die verpönte Handlung gesetzt wurde. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass für die Verwaltungsübertretung ein verantwortlicher Beauftragter im Sinne des § 9 VStG einzustehen hat. Begehungsdelikte werden nicht dadurch zu Unterlassungsdelikten, dass ein verantwortlicher Beauftragter für die Einhaltung der Verwaltungsvorschrift verantwortlich ist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 29. Mai 1995, 94/10/0173, und vom 24. Juli 2014, 2012/07/0129).
4.7. Die in den von der BH und von der mitbeteiligten Partei in ihren Revisionsbeantwortungen zitierten hg. Erkenntnisse, insbesondere das hg. Erkenntnis vom 6. Juli 2006, 2005/07/0118, haben nicht das hier verfahrensgegenständliche Zuwiderhandeln gegen die Vorschrift des § 15 Abs. 3 AWG 2002 zum Gegenstand. Diese Entscheidungen beziehen sich auf Unterlassungsdelikte; ein Unterlassungsdelikt liegt hier aber nicht vor.
Dass gerade dem zitierten hg. Erkenntnis vom 6. Juli 2006, 2005/07/0118 (wie auch dem hg. Erkenntnis vom 21. Juni 2007, 2006/07/0118) zu entnehmen ist, dass stets auf das betreffende Tatbild Bedacht zu nehmen ist, hat der Verwaltungsgerichtshof zudem im hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 2009, 2008/05/0078, betont.
Aus diesen Erkenntnissen ist für den gegenteiligen Revisionsstandpunkt daher nichts zu gewinnen.
4.8. Tatort ist daher im gegenständlichen Fall Wien 23, und nicht - wie von der BH angenommen und vom LVwG bestätigt - der Sitz der Unternehmensleitung der mitbeteiligten Partei in H.
Hätte das LVwG die örtliche Zuständigkeit der Verwaltungsstrafbehörde richtig beurteilt, hätte es den Bescheid der BH vom 28. Mai 2014 aufheben müssen und das Verwaltungsstrafverfahren nicht einstellen dürfen. Das LVwG ist somit von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen.
5. Hat eine unzuständige Behörde entschieden, so hat das mit Beschwerde angerufene LVwG diese Unzuständigkeit wahrzunehmen und diese Entscheidung zu beheben. Eine anstelle dessen erfolgte Entscheidung des LVwG in der Sache belastet diese mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes (vgl. das hg. Erkenntnis vom 10. Juni 2015, Ra 2015/11/0005).
6. Das angefochtene Erkenntnis war aus diesen Erwägungen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 28. Jänner 2016
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